Georg Nagler
Die Rhetorik-Matrix
Erfolgreich reden mit neurolingualer Intervention
A. Francke Verlag Tübingen
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E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen
ePub-ISBN 978-3-8463-5025-6
Ich widme dieses Buch meiner Frau Kerstin
in Liebe
und
Dankbarkeit für viele – auch rhetorische – Einsichten
Gute und erfolgreiche Rhetorik: Seit Jahrtausenden wissen Redner, Zuhörer und die Rhetorik als Wissenschaft um die enorme Bedeutung des überzeugenden Redens. Eine erfolgreiche Rede kann sowohl an der Hochschule, etwa in einem Seminar, als auch im Berufsleben, etwa bei einer Projektpräsentation, entscheidende Vorteile bringen. Gute Redner sammeln daneben viele Pluspunkte im gesellschaftlichen Leben. Erfolgreichen Rednern wird viel Vertrauen gerade in ihre charakterlichen Eigenschaften und ihre Führungsfähigkeiten entgegengebracht. Dabei bieten sich dem Redner in unserer Zeit umwälzender wissenschaftlicher Erkenntnisse neue Chancen, aber auch enorme Herausforderungen. Immer deutlicher zeigt sich, dass neben der klassischen Rhetorik auch die neuen Ergebnisse neurolingualer Forschung eine wichtige Rolle für Erwerb und Anwendung rhetorischen Könnens spielen. Wer sie nicht verinnerlicht, wird das anspruchsvolle Ziel eines erfolgreichen Redners künftig kaum mehr erreichen können.
Die Rhetorik durchlebt in den letzten 20 Jahren eine tiefgreifende Revolution. Was früher als sogenannte klassische Rhetorik für Jahrhunderte galt und auch heute noch weitgehend an den Universitäten gelehrt wird, steht aktuell auf dem Prüfstand. Ausgangspunkt dieser Umwälzung sind die modernen Forschungsergebnisse der messenden, analytischen Psychologie. Sie führen zu neuen, sehr plausiblen Modellen dafür, welche psychologischen Prinzipien in vielen Kommunikationssituationen auf die Adressaten wirken. Denken Sie nur an das sogenannte Neuro-Marketing, die Psychometrie oder die modernen Aussagen der Verhaltensökonomie. Es gibt zunehmend neue wissenschaftliche Erkenntnisse auch dazu, wann ein Zuhörer bei vielen Rednern und Reden schlichtweg seine Aufmerksamkeit abschaltet oder gelangweilt weghört – aber bei anderen gebannt zuhört und sich zu dem ver-führen lässt, was dieser Redner beabsichtigt. Für viele Studierende, aber auch Praktiker in allen Bereichen von Wirtschaft und Gesellschaft stellt sich daher eine zentrale Frage: Sind die Regeln der klassischen Rhetorik heute noch ausreichend, um eine gute Rede zu schreiben, ein guter Redner zu werden? Oder kann ich auch moderne Ansätze für meine eigene Redepraxis nutzen?
Die klassischen Leitlinien und Lehrmeinungen von 2500 Jahren rhetorischer Wissenschaft können heute wirkungspsychologisch unterlegt werden. Die Ziele der Kommunikation bleiben zwar an sich unverändert: Es geht darum, im wissenschaftlichen Disput argumentativ die Oberhand zu behalten, den Zuhörer zu einer politischen Entscheidung in einer Wahl zu motivieren oder ihn zu einem Kauf oder einer zentralen Meinungseinstellung zu bringen. Aber was als rhetorische Strategie oder als Wirkmechanismus schon lange bekannt war, das kann nunmehr mit den sogenannten Urteils- und Kognitionsheuristiken psychologisch sehr genau analysiert und beschrieben werden.
Bislang glaubte man, es sei für eine Rhetorik-Ausbildung ausreichend, wenn man auf der Grundlage der klassischen Rhetorik eine Selbstanalyse des Redners durchführen und dann das Wesentliche an rhetorischer Wirkung durch Üben der einzelnen Teilbereiche verbessern würde. Wichtig war es dabei, den Verstanddes Einzelnen als Ausgangspunkt und Zielwert im Auge zu behalten: Was logisch und vernünftig war, das sollte im logisch-vernünftigen Vortrag unter Verwendung der rhetorischen Stilmittel verbal und nonverbal an den Adressaten weitervermittelt werden. Wer etwa an der Universität im akademischen Disput unter Verwendung korrekter Argumentation überzeugender wirkte, der sollte logischerweise der erfolgreichere Redner sein (s. dazu beispielhaft den Bericht zum Münchner Debattier-Club der Universität „Ein Leben für Argumente“, SZ vom 23.10.2017, S. R 6).
Donald Trump steht (aktuell) an der Spitze einer neuen – zwar total „unkorrekten“, aber dennoch enorm wirkmächtigen – Rhetorik-Strategie: Sprich nicht an, was logisch und vernünftig ist! Sprich an, wovon du subjektiv eigentlich überzeugt bist, auch wenn es nicht logisch und nicht objektiv vernünftig ist. Und weil es sehr viele gibt, die das Gleiche tun (nicht nur in den USA, sondern auch in Europa), wirst du dann erfolgreich sein, wenn du bei den Hörern ihre tief im Unterbewusstsein verankerten und daher schon unbewusst wirkmächtigen subjektiven Überzeugungen adressierst. Verstärke diese emotional verankerten Einstellungen gezielt und so auch deinen Standpunkt, zumindest wenn du ihn der relativen Mehrheit deiner Sympathisanten vermitteln willst. Praktiziere das in einem Ausmaß, dass gerade diese Klientel sich vom Redner bestärkt fühlt und ihn deswegen umso mehr unterstützt.
Diese Rhetorik-Trends zeigen etwas Revolutionäres: Der Schlüssel zum neuen Verständnis der Rhetorik liegt nichtim bewussten Verstand – er liegt im Unterbewusstsein! Die Neuroökonomiker um Daniel Kahneman und die Neurobiologen um David Eagleman haben eine tiefgreifende Erkenntnis herausgearbeitet: Eigentlich alles, wovon wir glauben, bewusst überzeugt zu sein, ist weit überwiegend ein Produkt unserer unbewussten Voreinstellungen und Vorbewertungen. Nicht nur bei den klassischen sogenannten optischen Täuschungen, sondern auch bei den argumentativen und rhetorischen Überzeugungen und Äußerungen bestimmt im Wesentlichen das, was der Mensch in vielen Jahren gelernt und im Unbewussten abgespeichert hat, sein Denken und Reden. Und zwar so umfassend, dass alles, was er letztlich bewusst als richtige Wahrheit auszusprechen glaubt, überwiegend vom Unterbewusstsein voreingestellt wurde. Selbst wenn der Mensch abstrakt zu denken glaubt, mit klarem Verstand und völlig unbeeinflusst – in den meisten Fällen gibt hier das unbewusste Denken mit abgespeicherten Beispielen, Bildern und Emotionen die Denkweise vor.
Wie findet der Mensch etwa die Beispiele für die Argumente und die Thesen, die er in einer abstrakten Erörterung anführt? Die klassische Rhetorik glaubt, dass der Redner nur eine vernünftige Argumentationsstrategie entwickeln müsse, dann füge sich alles automatisch ein. Dieses Credo dominiert auch heute noch weithin die Hörsäle. Aus der Sicht der Neuroökonomie ist es genau umgekehrt: Demnach werden die Beispiele und ihre Argumente im Unterbewusstsein aufbereitet. Diese vorfabrizierten Gedankengänge beeinflussen bereits messbar die Thesen sowie die Rede- beziehungsweise Antwortstrategie des Redners oder Diskutanten. In vielen Fällen gibt daher das Unterbewusstsein dem bewussten Reden Lösungstendenz und Argumentationsform vor – selbst wenn der Redner felsenfest davon überzeugt ist, aus vollem Bewusstsein heraus zu reden.
So stellt das neue Verständnis der Rhetorik die Prinzipien der klassischen Rhetorik teilweise auf den Kopf. Die provokante These, mit der wir uns in diesem Buch intensiv beschäftigen, lautet: Es kann nicht darum gehen, in erster Linie das Bewusstseinzu überzeugen. Wer den Zugang zu den unbewussten, lange vor der Rede abgespeicherten Bildern, Beispielen, Erfahrungen, Gedankenrahmen oder Denkmechanismen findet, der wirkt automatisch auch für das Bewusstsein überzeugend. Was als plausibel für das Unterbewusstsein und die dort neurobiologisch und neuroökonomisch abgespeicherten Denkweisen gilt, das findet das Bewusstsein plausibel. Und es geht sogar noch weiter: Es hält manches für wahr, obwohl man den Gegenbeweis führen könnte (wenn man Zeit hätte). Wir werden sehen, dass es für das Denken nicht nur optische Täuschungen gibt, sondern auch massive kognitive Irrtümer.
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