Wir werden diesen und andere Effekte noch bei der Analyse wichtiger Strategien der Argumentation und scheinlogischer Schlüsse intensiv bearbeiten. Und wir werden sehen: Auch das unbewusste System 1 der Zuhörerist mit Inhalten des Redners einverstanden, die mit den plausiblen Eigenerfahrungen übereinstimmen, auch wenn sie nicht wirklich richtig sind! Und dies gilt auch dann, wenn wir „rhetorische Pralinen verteilen“ …
Lieber angehender Redner: Dies ist kein Appell an Sie, die Unwahrheit zu sagen! Aber es rechtfertigt die rhetorische Neigung, mit Plausibilität – rhetorisch geschickt verpackt – weiter zu kommen und effektiv zu sein.
Die Erkenntnis, dass das bewusste System 2 durch die unbewussten Plausibilitätslösungen von System 1 massiv beeinflusst werden kann, ist aber nur die eine Seite der Medaille: Natürlich können wir mit gezielten Eingriffen des bewusst arbeitenden und entsprechend trainierten System 2 wichtige Effekte nutzen, um das unbewusste System 1 massiv seinerseits zu beeinflussen oder auch zu manipulieren. Lassen Sie uns dazu drei Interventionsmethoden näher betrachten, die mittlerweile psychologisch gesicherte Erkenntnisse darstellen.
3. Drei wichtige Instrumente der neurolingualen Intervention
a) Priming
Die Erkenntnis, dass unser unbewusstes System 1 mit Plausibilität und auch Assoziationen intensiv arbeitet, führte in der Psychologie zu mittlerweile berühmten und auch allgemein anerkannten Experimenten, in denen reproduzierbar wissenschaftlich beschrieben und belegt wird, wie man auch mit Rhetorik auf das Unbewusste unmittelbar einwirken kann.
Einen wesentlichen Prozess nennt man „Priming“ (vgl. Eagleman, Inkognito, S. 79ff., S. 110ff.; Kahneman, S. 72ff.): Ein Redner spricht ein bestimmtes Thema an – dann formuliert das Unterbewusstsein des Hörers dazu sofort Assoziationsketten, die zu messbaren und vorhersagbaren Ergebnissen in seiner Reaktion führen. Ein einfaches Experiment kann diesen Prozess veranschaulichen. Ich nenne Ihnen den Begriff „Essen“ und bitte Sie dann, folgenden Leertext zu ergänzen: „S…e“. Fast niemandem würde jetzt als Lösung „Seife“ einfallen, die meisten Testpersonen assoziieren „Suppe“. Sie sind also durch das „primäre“ Ausgangswort in ihren Assoziationen gezielt unbewusst „geprimt“ worden (vgl. Kahneman, S. 72).
So wurde etwa eine Versuchsgruppe dazu gebracht, sich mit dem Thema „Altern“ in einer bestimmten Situation zu beschäftigen. Der Versuch brachte den klar messbaren Effekt, dass sich die Probanden danach langsamer fortbewegten als eine Vergleichsgruppe, die sich mit derselben Situation beschäftigten, ohne dass das Altern dabei eine Rolle spielte (s. dazu auch Wehling, S. 37f.). Allein die Reihenfolge zweier Fragen an Probanden führt zu geradezu unglaublichen Ergebnissen:
Erste Frage: Wie glücklich sind Sie zurzeit?
Zweite Frage: Wie viele Verabredungen hatten Sie im letzten Monat?
Wenn Sie diese beiden Fragen vertauschen und zuerst nach der Zahl der Verabredungen fragen, denken bildhaft gesagt zwei Drittel der Probanden tatsächlich, sie seien glücklicher, je mehr Verabredungen sie hatten (gleichgültig wie sie verliefen). Unser assoziativ arbeitendes Unterbewusstsein (System 1) ist also für das Angebot des Redners für Assoziationen nachweislich empfänglich – ohne dass dies je dem „Überwachungssystem 2“ bewusst wird. Im Gegenteil: System 2 lässt sich von System 1 geleitet auf diesen Holzweg weiterführen!
Wer etwa Zuhörer in einer Rede assoziativ auf die positiven Eigenschaften von Geld bringt, löst messbar folgende Effekte aus: eine egoistischere Einstellung, weniger Hilfsbereitschaft und Solidarität, mehr Tendenz zum Individualismus (s. dazu eingehend Kahneman, S. 75ff.). Wer Zuhörer mit vertrauten Erfahrungen, Beispielen bekannter Persönlichkeiten oder plausiblen Assoziationen anspricht, dem glaubt der Zuhörer mit erhöhter „kognitiver Leichtigkeit“ auch nachfolgende Behauptungen des Redners: Damit haben Sie einen Wirkmechanismus verstanden, der die Macht von Zitaten zuvor genannter bedeutender Persönlichkeiten erklärt.
Die Macht eines Zitates
a) Standardsetting: Der Redner liest
„Es gibt nur eines, was teurer ist als Bildung – keine Bildung.“ (John F. Kennedy)
b) Intervention: Der Redner liest
„John F. Kennedy formulierte einmal zum Wert von Bildung: ‚Es gibt nur eines, was teurer ist als Bildung – keine Bildung.‘“
Indem Sie zuerst den Autor des Zitates nennen, führt dessen enorme Bekanntheit und Wertschätzung dazu, dass der rhetorische Effekt für das Bewusstsein messbar höher wird (sogenannter Mere-Exposure-Effekt, vgl. Kahneman, S. 89ff.).
Aber diese Effekte wirken auch umgekehrt – sind also reziprokin Richtung auf den Redner selbst: Wenn das bewusste System 2 beim Redner gezielt die Körpersprache positiv beeinflusst, also eine positive Stimmungslage etwa durch (situationsangemessenes) Lächeln oder gute Laune erzeugt, dann bewirkt dies auch beim Zuhörer eine positive Stimmungslage, die die kognitive Akzeptanz des Gesagten und die intuitive „Leichtigkeit“ begünstigt. Dasselbe gilt „selbstinduktiv“ aber auch für den Redner selbst; auch seine Stimmung verbessert sich spürbar (vgl. Kahneman, S. 81f., S. 84).
Vor diesem Hintergrund gewinnt das alte chinesische Sprichwort eine ungeahnte Aktualität: „Wer nicht lächeln kann, soll kein Geschäft aufmachen“ (Achtung: Autor vor Zitat – jetzt sind Sie mir mit dem eingesetzten Mere-Exposure-Effekt auf den Leim gegangen …).
Allerdings möchte ich hier eine Warnung anbringen: Die sogenannten Priming-Effekte führen zwar statistisch nachweisbar zu verändertem Verhalten. Das muss allerdings im Einzelfall nicht gelten. Wie so oft können wir uns daher nicht blind und gesetzmäßig auf automatisch ausgelöste Effekte verlassen. Deswegen seien Sie vorsichtig, wenn man Sie glauben machen will, man könne quasi automatisch „linguistisch programmieren“ oder manipulieren (vgl. Kahneman, S. 77ff.). Aber schon eine kleine Steigerung Ihrer positiven rhetorischen Effizienz mithilfe einiger bewusst eingesetzter einfacher Mittel kann, im Zusammenspiel mit anderen Faktoren, Ihre Überzeugungskraft als guter Redner deutlich verbessern.
b) Ankern
Die Wirkungsweise des Priming-Effektes führt zu einem weiteren Wirkfaktor, der gerade bei Verkaufsansprachen enorme Bedeutung hat und auch auf andere Redearten ausstrahlt. Es handelt sich um das Phänomen des sogenannten „Ankerns“, das wir sogleich an einem belegten Fall betrachten (vgl. auch Fälle nach den Vorgaben von Northcraft/Neale bei Kahneman, S. 157ff.; s.a. Kitz/Tusch, Psycho? Logisch!, S. 98ff.):
Ein Immobilienhändler, der ein Immobilienprojekt vorstellt, erwähnt scheinbar beiläufig ein vergleichbares Projekt und die dabei erzielten Konditionen – gezielt mit einem Preisaufschlag von ca. 15 Prozent. Verblüffenderweise wird in den darauf folgenden Verhandlungen dieser Wert eine Orientierungsfunktion haben, die geeignet ist, den angestrebten Preis nach oben in diese Richtung zu verhandeln. Auch hier erleben wir unmittelbar einen erstaunlichen Effekt: Das bewusste System 2 glaubt völlig rational die wertbildenden Faktoren für ein Immobiliengeschäft ohne fremde Einflüsse zu ermitteln. Und dennoch arbeitet es auf der Grundlage von Assoziationen und Informationen, die es unbewusst aus den im System 1 dazu laufenden Erkenntnisprozessen abruft. Da auf jeden Fall System 1 unbewusst den vom Verkäufer aufgerufenen Preis registriert und verarbeitet hat, orientiert sich das „Entscheidungskonvolut“, mit dem System 2 letztlich weiterverhandelt, tatsächlich in die Richtung des angesprochenen Preises – solange er plausibel klingt; ja manchmal selbst dann, wenn er völlig überhöht erscheint.
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