„Danke fürs nach Hause bringen.“
„Nichts lieber als das. Dann träum süß, schöne Helena.“
Sie kicherte mädchenhaft. „Du auch“, flüsterte sie und näherte sich bereits dem Hauseingang, als sie ihn fragen hörte: „Sehen wir uns wieder?“
Freudestrahlend drehte sie sich um. „Gerne.“
„Passt dir morgen?“
„Da kann ich leider nicht. Aber du kannst mich anrufen, wenn du magst. Hast du ein Handy dabei?“
Er schüttelte seinen Kopf.
„Warte mal. Dann schreib ich dir am besten meine Handynummer auf.“
Sie kramte einen Stift und ein Stück Papier aus ihrer Handtasche, notierte ihre Nummer und reichte ihm den Zettel mit zittriger Hand.
„Verlier ihn bloß nicht.“
„Ich werde ihn hüten wie meinen Augapfel.“ Er stopfte ihn in seine Hosentasche, zwinkerte ihr zu und entfernte sich ohne ein weiteres Wort in Richtung Innenstadt. Verwundert schaute sie ihm nach und wartete vergeblich darauf, dass er sich noch einmal umdrehte.
Mark und Stefan erreichten das Anwesen des Bauingenieurs Daniel Hofberg. Das Einfamilienhaus lag nur wenige Fahrminuten vom Forstbotanischen Garten entfernt. Schwaches Licht schimmerte durch die geschlossenen Rollläden, als sie das Grundstück betraten und die Steintreppe hinauf gingen. Ein Mann mit dunklen Haaren empfing sie am Eingang und sah sie mit einem fragenden Blick an. Er trug eine Jeans. Unter seinem Langarmshirt zeichnete sich seine Brustmuskulatur ab.
„Kripo Köln. Mark Birkholz mein Name. Und mein Kollege Herr Rauhaus. Herr Hofberg, nehme ich an?“
Der Mann nickte und musterte Marks Dienstausweis. „Polizei? Was verschafft mir die Ehre zu solch später Stunde?“
„Wir müssen dringend mit Ihnen über Ihren Vater reden.“
Daniel Hofberg fiel alles aus dem Gesicht, und es dauerte einen Moment, ehe er sich wieder gefangen hatte. „Und das kann nicht bis morgen warten?“
Stefan und Mark schüttelten synchron ihre Köpfe.
„Na gut. Wenn‘s unbedingt sein muss. Dann mal hereinspaziert in die gute Stube.“
Er machte den Weg frei und gab ihnen mit einer Handbewegung zu verstehen, dass sie eintreten durften. Anschließend führte er sie durch einen langen Flur. Ihre Schritte hallten durch das hellhörige Haus, doch übertönten sie nicht die Männerstimmen, die an Marks Ohr drangen. Nur konnte er nicht zuordnen, aus welcher Richtung sie kamen.
An den Wänden hingen Schwarzweißbilder. Eine Aufnahme zeigte einen Wasserfall. Auf zwei weiteren Bildern erkannte Mark zwei nackte Männer, die sich an einem naturbelassenen Sandstrand in der Sonne räkelten. Sie passierten eine bläulich schimmernde Lichtsäule, hinter der der Flur in einer scharfen Linksbiegung abknickte.
Kurz darauf betraten sie den Wohnbereich. Zentraler Punkt war ein hüfthoher Chromblock mit fest installiertem Induktionskochfeld, der das Wohnzimmer von der offenen Küche abgrenzte. Zwei Männer lehnten an der Arbeitsplatte, während ein Dritter gerade ihre leeren Gläser auffüllte. Die Stimmung schien ausgelassen, allerdings kippte sie schlagartig, als Daniel Hofberg den Grund ihres Besuches verkündete. Irritierte Blicke unterlegt mit Neugierde und Argwohn wechselten zwischen den Männern hin und her.
„Darf ich vorstellen: Luis Borchert, Sebastian Meinert und Ben Winter, drei alte Schulfreunde von mir“, stellte Daniel Hofberg die Männer vor.
Was ihr körperliches Erscheinungsbild anbelangte, standen die Drei ihrem Freund in nichts nach. Alle waren größer als Mark, der mit ein Meter fünfundachtzig alles andere als zu den Kleinwüchsigen zählte. Durch die Reihe wirkten sie sportlich und unterschieden sich nicht sonderlich in ihrer Körperstatur, doch während Sebastian Meinert und Luis Borchert mit dichtem Kopfhaar gesegnet waren, nagte an Ben Winter offensichtlich der Zahn der Zeit. Sein Deckhaar war am Hinterkopf licht und im vorderen Bereich zeigten sich tiefe Geheimratsecken. Außerdem hatte er ein Mondgesicht, was ihn fülliger erscheinen ließ. Sebastian Meinert fiel durch seine ausgeprägten, grobporigen Nasenflügel auf. Der letzte im Bunde, Luis Borchert, machte durch seine in Form gezupften Augenbrauen und die Narbe am Kinn auf sich aufmerksam.
„Das scheint hier ein Umschlagplatz zu werden, so oft wie du von der Polizei Besuch bekommst“, merkte Sebastian Meinert an.
„Was hat denn unser Daniel ausgefressen?“, wollte Luis Borchert wissen.
Ein Lächeln huschte über Marks Gesicht, und er überlegte, was er auf die Frage erwidern sollte.
„Die Hundertschaft kommt noch. Vielleicht sollte ich nachfragen, wo die so lange bleiben“, kam ihm Stefan zuvor.
Luis Borcherts Augen weiteten sich. „Die Hundertschaft?“
Ben Winter trank sein Glas leer und lachte. „Mensch Luis, das sollte ein Scherz sein.“
Stefan verzog amüsiert sein Gesicht und erinnerte an den eigentlichen Grund ihres Besuches. „Wo können wir uns denn ungestört mit Ihnen unterhalten, Herr Hofberg?“
Innerhalb kürzester Zeit räumten die Gäste das Feld, ohne dass es einer weiteren Aufforderung bedurfte. Mark wunderte sich über die halb vollen Gläser, die sie stehengelassen hatten. Danach fiel sein Blick auf einen Flachbildschirm, der ihm schon zu Beginn ihres Besuches ins Auge gestochen war, und zu seiner Verwunderung stieg ein Anflug von Neid in ihm hoch.
„80-Zoller?“, fragte er und ärgerte sich über den bissigen Unterton, der in seiner Stimme mitschwang. Der Bauingenieur nickte eher beiläufig, doch er war sich sicher, dass Hofbergs Gleichgültigkeit nur gespielt war, zumal Menschen wie er von der Aufmerksamkeit ihrer Mitmenschen lebten, so schätzte er ihn zumindest ein. Und weshalb sollte er in dieser Hinsicht anders sein als sein leiblicher Vater?
„4K“, startete Hofberg augenblicklich sein Angeber-Programm. Mark kam die Galle hoch.
„Dafür muss ein Normalsterblicher lange schuften“, schaltete sich Stefan ins Gespräch ein.
Hofberg winkte ab. „In ein paar Jahren sind die Dinger für jeden erschwinglich. Aber Sie wollten mit mir bestimmt nicht über Flachbildschirme plaudern. Weshalb sind Sie hier?“
„Wir haben erfahren, dass Thomas Dahlmann Ihr leiblicher Vater ist.“
Dahlmanns Sohn rümpfte verächtlich die Nase. „Mein leiblicher Vater, von dem meine Mutter jahrelang behauptet hat, dass er bei einem Unfall ums Leben gekommen ist. Aber reden wir nicht um den heißen Brei herum. Was wollen Sie von mir?“
„Ihr Vater ist seit zwei Tagen spurlos verschwunden. Sie wissen nicht zufällig, wo er sich aufhält?“
„Ich?“, fragte Hofberg ungläubig und fing zeitgleich an zu lachen. „Seit Jahren wird mir vorgegaukelt, dass mein Vater tot ist. Dass ich somit der falsche Ansprechpartner bin, müsste Ihnen doch klar sein …“
„Wann haben Sie ihn das letzte Mal gesehen?“
„Vor ein paar Tagen.“
„Wann genau?“
Er schien kurz zu überlegen. „Montag müsste das gewesen sein.“
„Also kurz bevor er verschwand. Und wo haben Sie ihn getroffen?“
„Hier. In meinem Haus. Er wollte reden.“
„Worüber?“
„Über mich … über mein Leben …“
Daniel Hofberg ging zum Kühlschrank, nahm zwei Kühlsteine aus dem Gefrierfach und legte sie in ein flaches Schwenkglas, das er vorhin auf der Arbeitsfläche abgestellt hatte.
„Sie auch?“, fragte er und deutete auf eine Flasche Whisky Lagavulin. Die Polizeibeamten lehnten dankend ab, während Hofberg den edlen Tropfen in das Glas schüttete. Mark betrachtete die tiefbraune Flüssigkeit, die über die kalten Steine floss, bis das Glas zur Hälfte gefüllt war.
„Wir müssten auch mit Ihrer Mutter sprechen. Wann erreichen wir sie am besten?“
Hofberg trank einen Schluck und schnalzte mit der Zunge. „Wenn sie nicht in einem Friseursalon abhängt, was sie kaum zu dieser Uhrzeit tun wird, werden Sie sie wahrscheinlich zu Hause antreffen. Grüngürtelstraße. Ecke Auenweg. Sie können das Haus kaum verfehlen.“
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