1 ...6 7 8 10 11 12 ...15 Eine Dreiviertelstunde darauf parkte Mark seinen BMW vor dem Anwesen der Dahlmanns, das in der Nähe des Südparks lag. Mit den heruntergelassenen Jalousien und dem verwilderten Vorgarten wirkte das Einfamilienhaus wie eine seit Jahren zum Verkauf angebotene leerstehende Immobilie. Doch je länger er das Grundstück betrachtete, desto befremdlicher wirkte es.
Er stieg aus und ging die dreistufige Sandsteintreppe hinauf. Oben angekommen blieb er stehen und blickte auf seine Uhr. Sein Magen krampfte sich zusammen, als ihm ein Gedanke kam, während sein Blick auf den Jalousien ruhte. Vielleicht waren sie schon länger unten? Er trat zur Haustür, spähte durch das Seitenfenster und klingelte. Dabei stach ihm sein dreckiger Schuh ins Auge, den er hastig an seinem Hosenbein abrieb. Er klingelte erneut, doch weiterhin blieb im Haus alles ruhig. Keine Schritte. Kein Geschirrklappern. Kein Staubsauger, der ausgestellt wurde. Mark drückte ein drittes Mal auf den Klingelknopf, aber außer Laubrascheln und das weit entfernte Gebell eines Hundes hörte es nichts. Diese vordergründige Idylle stank bis zum Himmel. Irgendetwas stimmte nicht.
Er hämmerte gegen die Haustür. „Herr Dahlmann? Hallo? Ist jemand zu Hause?“
Hastig zog er sein Smartphone aus der Jackentasche und wählte die Handynummer seines Chefs. Er hatte nicht mitgezählt, wie oft er versucht hatte, ihn zu erreichen. Bisher hatte es immer geklingelt, ehe die Mailbox angesprungen war, doch dieses Mal schaltete sie sich direkt an.
Erst jetzt bemerkte er die ebenfalls geschlossenen Fensterläden in der oberen Etage. Der Garten, schoss es ihm durch den Kopf. Gut möglich, dass er von dort aus mehr erreichte.
Ein kühler Wind wehte ihm ins Gesicht und trieb ihm Tränen in die Augen, als er um die Hausecke bog. Verdutzt blieb er stehen und ließ seinen Blick über das Grundstück schweifen. Zuerst begriff er nicht, was er da sah. Sollte das tatsächlich dasselbe Paradies sein, das er im Sommer noch so bewundert hatte? Einige Monate waren seitdem vergangen. Längst waren die Blumen verblüht. Welke Blätter schwebten von den Bäumen zu Boden. Moosstraßen und Wegerich kämpften sich durch die schmalen Ritzen der Steinplatten. Der hohe Rasen erinnerte an eine abgelegene Waldwiese.
Nachdenklich drehte er sich zur großen Fensterfront. Immerhin versperrten keine Rollläden die Sicht zum Wohnbereich. Langsam näherte er sich der Terrassentür und registrierte die hängenden Köpfe der Kübelpflanzen und die unzähligen vertrockneten Blätter, die verstreut auf dem Teppich lagen. Kein Zustand, der sich innerhalb von zwei Tagen entwickelte. Irritiert drehte er sich zum Garten. Seit wann ließen die Dahlmanns ihr Anwesen so verkümmern? Und wo steckte seine Frau?
Vielleicht war sie für längere Zeit verreist? Und vielleicht war das der Grund, weshalb Dahlmann alles über den Kopf gewachsen war? Das wäre zumindest eine Erklärung für den desolaten Zustand der Pflanzen, denn jeder auf dem Revier wusste, dass sein Chef alles andere als einen grünen Daumen hatte. Doch was, wenn der Grund ein anderer wäre? Immerhin war er seit letztem Jahr gesundheitlich angeschlagen und noch längst nicht wieder der Alte. Welche Frau würde ihren Mann in so einer Situation allein lassen? Hinzu kamen Stefans Beobachtungen, die die Lage nicht gerade verbesserten.
Wieso hatten sie nicht bemerkt, wie es um Dahlmann bestellt war? Blödsinn, dachte Mark, natürlich hatten sie es mitbekommen. Innerhalb weniger Wochen hatte er stark abgenommen und war in schlechter physischer Verfassung zurückgekehrt, um die Suche nach einem vermeintlichen Serienkiller zu unterstützen. Sie hatten schlicht und ergreifend ignoriert, wie blass und dürr Dahlmann zu dem Zeitpunkt ausgesehen hatte. Über eineinhalb Jahre waren seitdem vergangen, und es war nicht zu übersehen, dass nach wie vor mit ihm etwas nicht stimmte. Spekuliert wurde allerdings nur hinter seinem Rücken, weil sich niemand traute, offen darüber zu sprechen. Vielmehr versuchten alle, dem Thema aus dem Weg zu gehen, so wie Bluter einer abgebrochenen Glasscherbe.
Er wandte sich der Fensterfront zu, hielt die Hand schützend an seine Stirn und spähte ins Wohnzimmer. Kahle Wände. Fehlende Bilder. Leerer Wohnzimmertisch. Die gesamte Dekoration, die das Haus wohnlich gemacht hatte, war verschwunden.
Er machte mit dem Handy ein Foto und rief danach Stefan an.
„Mark, wie lange brauchst du noch? Hier ist die Hölle los“, begrüßte ihn Stefan am anderen Ende der Leitung.
„Ich bin jetzt bei ihm zu Hause.“
„Bei wem? Etwa bei Dahlmann? Aber wolltest du nicht zum Zahnarzt?“
„Das war nur ein Vorwand. Ich wollte mir zuerst selbst ein Bild machen, bevor wir alle beunruhigen.“
„Das ist kräftig nach hinten losgegangen. Die sind doch nicht doof. Die merken doch, wenn etwas nicht stimmt. Und vergiss nicht: Wir haben einen Mordfall aufzuklären!“
Mark betrachtete schweigend den verwilderten Garten.
„Was hat der Alte denn gesagt?“
„Stefan, hier ist niemand … Halt mich für bescheuert, aber wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, hier wohnt schon seit Monaten keiner mehr.“
„Wie meinst du das?“
„Erklär ich dir gleich. Am besten wir treffen uns in einer halben Stunde in meinem Büro. Schaffst du das?“
„Ich komme, sobald sich die Wogen etwas geglättet haben.“
Mark hörte ein Knacken in der Leitung. Im unmittelbaren Anschluss daran informierte er Maja, die ebenfalls ins Polizeipräsidium kommen wollte. Er lehnte sich gegen die Terrassentür und versuchte, seine Eindrücke zu sortieren. Die zurückliegenden Wochen ließ er Revue passieren, doch im Gegensatz zu Stefan war ihm nichts Verdächtiges an seinem Chef aufgefallen. Er war wie immer gewesen, aber je länger er darüber nachdachte, desto bewusster wurde ihm, dass das nicht stimmte. Dahlmann war ihm schon verändert vorgekommen. Fröhlicher, fast schon euphorisch, als wäre er von einer schweren Last befreit worden. Vor ungefähr einer Woche war seine ausgelassene Stimmung allerdings plötzlich umgeschlagen.
Für einige Minuten verweilte Mark noch vor der Fensterfront, bis er schließlich zum Präsidium fuhr.
Konzentriert starrte Mark auf den mit Ermittlungsakten überfrachteten Schreibtisch, trank einen Schluck aus seiner 1. FC Köln Kaffeetasse und stellte sie auf den einzigen freien Fleck zwischen Tastatur und Schreibtischkante. Konzentriert lauschte er der lethargischen Frauenstimme am Telefon und nickte.
„Gut, dann weiß ich Bescheid. Vielen Dank. Auf Wiederhören“, sagte er und beendete das Telefonat mit der Angestellten des Städtischen Krankenhauses. Kopfschüttelnd sah er Maja und Stefan an. „Fehlanzeige. Keine Notaufnahme. Kein Unfall. Nichts.“
Maja verzog das Gesicht und schien nachzudenken. „Und wenn sich Thomas doch von seiner Frau getrennt hat? Angedeutet hat er es schon mal“, sagte sie.
Mark zuckte wortlos mit den Schultern.
„Das ist mein Ernst. Vielleicht haben sich die beiden schon vor Monaten getrennt, ohne dass es jemand mitbekommen hat. So was kommt vor.“
„Das ist aber längst kein Grund, nichts von sich hören zu lassen“, erwiderte er in einem etwas zu schroffen Tonfall.
Maja näherte sich bis auf wenige Zentimeter und sah ihn ernst an. „Und wenn wir in seinem Haus nachsehen?“
Marks Augen weiteten sich. „Der Alte zerfleischt uns, wenn der merkt, dass wir in seinem Haus waren.“
„Aber wenn es kein falscher Alarm ist?“
Mark seufzte, schwieg aber.
„Maja hat recht. Wenn ihm tatsächlich etwas zugestoßen ist, wovon wir leider ausgehen müssen, so wie er sich am Telefon ausgedrückt hat, dann müssen wir schnell handeln“, pflichtete Stefan bei.
Maja strich sich über ihre Augenbraue und schien zu überlegen. „Was schlagt ihr vor? Wie gehen wir am besten vor, ohne den anderen Fall zu vernachlässigen?“
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