„Ich habe dich sehr geliebt. Und ich war sehr traurig, als du mich verlassen hast. Du warst mein Leben. Aber jetzt, Frank, jetzt bist du nicht mehr mein Leben. Ich liebe dich nicht mehr. Und wenn ich ganz ehrlich bin, dann weiß ich nicht einmal mehr, ob ich dich in den letzten Jahren, die wir zusammen waren, überhaupt noch geliebt habe. Oder ob du einfach so selbstverständlich warst wie das tägliche Brot. Liebe, Frank, ist deutlich mehr als das, was wir zusammen erlebt haben. Das weiß ich heute. Das weiß ich, seitdem mir klar ist, dass man nur sein eigenes Leben leben kann, nicht aber das eines anderen. Ich habe gerade gesagt, du warst mein Leben. Ja, das warst du. Und das war nicht gut. Ich will mein Leben leben. Mein ureigenstes Leben. Nicht deines. Ich will nicht mehr zu dir und deiner Welt gehören. Ich will nicht mehr klein sein. Ich bin kein Mäuschen, Frank! Ich bin Petra! Eine Frau aus Fleisch und Blut. Mit Wünschen und Bedürfnissen. Mit Träumen und Hoffnungen. Wann hast du mich zuletzt gefragt, was meine Träume sind? Was ich mir fürs Leben wünsche? Ich kann mich nicht daran erinnern.“ Sie sah ihn an und schaute in seine Augen, wobei sie nichts, aber auch rein gar nichts empfand. „Frank, es ist vorbei.“
Dann stand Petra auf, reichte ihm die Hand und fügte hinzu: „Andere sagen an dieser Stelle: Lass uns Freunde bleiben. Das sage ich nicht. Ich möchte nicht, dass du künftig zu meinem Leben dazugehörst. Ich möchte nicht, dass wir Freunde sind. Ich wünsche dir alles Glück dieser Welt. Und ich sage dir ...“ Petra unterbrach sich noch einmal. „Ich sage dir Lebewohl ... für immer.“ Dann drehte sie sich um und ließ einen ziemlich erstaunt dreinblickenden Mann zurück.
Frank rief ihr nach: „Mäuschen, du kannst doch nicht ...“, doch das hörte Petra schon nicht mehr. Für sie hatte in diesem Moment die Zukunft begonnen. Mit der Vergangenheit hatte sie endgültig abgeschlossen.
Franks Abfahrt bekam Petra nicht mit. Nach einer Weile vergewisserte sie sich nur mit einem Blick aus ihrem Badezimmerfenster, dass sein Auto den Parkplatz verlassen hatte. Jetzt war sie frei. Petra packte ihre Schwimmsachen, ihr Buch und eine Decke ein und verbrachte den Tag so, wie sie ihn ursprünglich einmal – vor Franks unerwarteter Ankunft – für sich geplant hatte.
Als sich der Tag dem Abend zuneigte, erwartete Petra mit großer Sehnsucht Matteo. Doch er kam nicht. Sie wartete eine Stunde und dann noch eine und eine dritte. Inzwischen war es 22 Uhr geworden und sie noch immer alleine.
Sollte sie sich so in Matteo getäuscht haben?
War sie doch nur ein flüchtiges Abenteuer gewesen?
Eine Frau, die er hatte erobern wollen?
Oder hatte sie im Bett seinen Erwartungen nicht entsprochen?
Es stimmte, sie hatte nicht wirklich viel Erfahrungen mit Männern, Frank und eine flüchtige Beziehung namens Thomas, die sie einmal mit 17 gehabt hatte, waren bis gestern die einzigen Männer gewesen, mit denen sie verkehrt hatte.
Und Frank? Hatte er nicht heute Morgen erst noch zu ihr gesagt, der Sex mit ihr sei zuletzt ziemlich langweilig gewesen?
Da waren sie also wieder, diese Selbstzweifel. Petra ging ins Bett, doch einschlafen konnte sie nicht.
Und dann fiel ihr diese Bewegung an der Tür wieder ein, die sie aus dem Augenwinkel heraus wahrgenommen hatte, als Frank sie küsste. War das vielleicht doch Matteo gewesen? Dann wäre es verständlich, warum er heute Abend nicht gekommen war ...
In dieser Nacht schlief Petra verdammt schlecht. Sie wälzte sich von einer Seite auf die andere, wachte jede Stunde einmal auf, weil böse Träume sie verfolgten, und stand am Morgen wie gerädert auf. Immer wieder hatte sie über die Bewegung an der Tür nachgedacht. Sie musste wissen, ob das Matteo gewesen war. Sie musste ihm erklären, was da zwischen ihr und Frank passiert war.
Nachdem Petra sich, so gut es ging, erfrischt hatte, lief sie die Treppen ins Foyer hinunter. Dort ging Pietro bereits seiner Arbeit nach und grüßte freundlich.
„Pietro, wissen Sie, wo der Tierarzt Dr. Bianchi seine Praxis hier in Griante hat?“, fragte sie ihn.
„Das weiß im Ort jeder, natürlich kann ich Ihnen sagen, wo Sie unsere Tierärzte finden“, schmunzelte der Alte und Petra wusste nicht gleich, warum. Doch dann fiel ihr ein, dass Pietro sie und Matteo gemeinsam in den Aufzug hatte steigen sehen, als sie ihre erste Nacht gemeinsam in diesem Hotel verbracht hatten.
„Er hat sie gestern Abend versetzt, oder?“, fragte der Alte nun ganz ungeniert. Und als Petra nickte, fügte er hinzu: „Ja, das habe ich mir gedacht. Matteo war gestern noch einmal hier. Als Sie mit Ihrem Mann in unserem Separee gesessen haben. Aber Matteo kam sehr, sehr schnell wieder zurück ins Foyer ...“
Also hatte Petra doch recht gehabt! Matteo war noch einmal ins Hotel gekommen und hatte sie zusammen mit Frank gesehen. Klar musste er nach diesem Kuss – hatte Petra ihn überhaupt richtig erwidert? – denken, dass sie und Frank wieder zusammengefunden hatten.
Matteo hatte schon einmal in einem Gespräch gesagt, man solle seine Vergangenheit nicht unterschätzen, sie hätte oft genug Auswirkungen auf die Gegenwart. Wenn er nur wüsste, was sie wirklich mit Frank besprochen hatte ...
„Machen Sie sich keine Gedanken, Frau Weißenburger“, hörte Petra den alten Mann nun sagen. „Ich habe Matteo noch mit auf den Weg gegeben, dass nicht alles so ist, wie es scheint. Und glauben Sie mir, er wird darüber nachdenken. Ich kenne Matteo seit Kindertagen. Er ist der Neffe des ersten Mannes meiner Frau.“ Er lächelte Petra vielsagend an. „Kommen Sie, Mädchen, ich mache uns einen leckeren Espresso und dann reden wir ein bisschen über die Liebe und das Leben. Und bald werden Sie sehen, dass alles gut wird.“
Mit diesen Worten verschwand er hinter einem Vorhang, der die Rezeption vom privaten Bereich des Mannes abtrennte. Petra vermutete schon seit ihrer Ankunft, dass Pietro hier auch selbst wohnte, in einigen Räumen im Erdgeschoss des Hotels.
Wie recht sie damit haben sollte, stellte sich schon wenige Minuten später heraus, als Pietro Petra selbst hinter seinen Vorhang bat.
Wie erstaunt war Petra jedoch, als sie dort nicht nur Pietro vorfand, sondern auch eine alte Dame, die sie freundlich lächelnd von einem Krankenbett aus musterte.
„Darf ich vorstellen, das ist Anna. Meine über alles geliebte Frau“, stellte Pietro die alte Dame vor. Und an diese gewandt sagte er: „Anna, das ist die junge Frau aus Deutschland mit den traurigen Augen, von der ich dir vor ein paar Tagen erzählt habe. Deren Augen erst wieder leuchten, seitdem sie unserem Matteo begegnet ist.“
Petra war sprachlos. Sie hatte zwar gewusst, dass Pietros Frau hier irgendwo im Hotel den Tag verbrachte, dass sie aber quasi den ganzen Tag über an seiner Seite weilte, eben nur durch einen Vorhang getrennt, und schwer krank war, das hatte sie nicht geahnt.
„Es tut mir leid“, begann sie ihren Satz, doch Anna unterbrach sie: „Papperlapapp, Ihnen muss nichts leidtun. Ich hatte ein wunderschönes Leben mit meinem geliebten Pietro. Heute bin ich krank, aber daran ist niemand schuld. Das ist jetzt eben so. Mit einem Mann wie Pietro an der Seite muss man auch das nicht fürchten. Liebe ist mehr als das, was man in jungen Jahren dafür hält. Liebe ist das, was ihn und mich heute verbindet. Ich liege zwar hier hinter dem Vorhang, damit unsere Gäste durch meinen Anblick nicht gleich abgeschreckt werden, aber ich bekomme alles mit, was hier im Hotel vor sich geht. Ich habe verdammt gute Ohren, wenn ich auch nicht mehr ganz so scharf sehen kann wie früher.“
Wie zur Unterstützung blinzelte sie mit beiden Augen und die Fältchen drumherum begannen zu hüpfen. Sie zeugten tatsächlich von einem sehr fröhlichen Leben, das die alte Frau einst geführt haben musste.
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