JEAN-LOUIS WINNEBROOTS KABELJAU IN CHORIZO-SAUCE
Man braucht für vier Personen ein etwa 15 Zentimeter langes Stück von einer weichen Chorizo-Wurst mit eher geringem Durchmesser (gut zwei Zentimeter – in Frankreich sehr gängig, bei uns etwas schwerer zu bekommen). Diese häuten und in feine Scheiben schneiden. In etwa einen halben Liter Obers geben und dieses auf die Hälfte reduzierend einkochen – ein einfacher Trick, der die Schärfe der Wurst mildert und eine würzige, dichte Sauce entstehen lässt .
Ein schönes Stück vom Kabeljaurücken mit Olivenöl beträufeln, salzen und mit etwas Fischfond und Weißwein zehn Minuten im Rohr garen. Keinesfalls zu lange im Rohr lassen – zerkocht wird der Fisch bröckelig und trocken, es wäre schade drum! Den Fisch mit der Chorizo-Sauce auf Tellern anrichten .
Dazu gab es Ratatouille und Karottenpüree, auch das geht nach Gefühl: Für die Ratatouille sechs der sieben typischen Gemüsesorten (Melanzani, Zucchini, Zwiebel, drei verschiedenfarbige Paprika) in Würfel schneiden und einzeln braten, bis sie weich sind. Zum Schluss mischen und geschälte, entkernte Tomaten dazugeben, aufkochen, mit Salz und Pfeffer abschmecken .
Für das Karottenpüree braucht es Karotten, Butter, Milch, Salz und Pfeffer. Wie viel in etwa? Jean-Louis erklärt kryptisch: Keinesfalls mit der Butter sparen, die Milchmenge richtet sich danach, ob man es mit zarten Frühlings- oder zähen Winterkarotten zu tun hat. Ganz wichtig: Ausreichend pfeffern, sonst schmeckt es wie Babybrei. Im Gegensatz zu Kartoffelpüree, das mit dem Pürierstab gemixt zu Kleister wird, kann man hier ohne Probleme den Stabmixer verwenden .
Das war es schon. Der kleine Brotkorb, der in Frankreich wie auch Leitungswasser, Salz und Pfeffer von Gesetzes wegen gratis auf dem Tisch steht und auf Verlangen jederzeit nachgefüllt werden muss, erspart französischen Köchen die bei uns stets vorhandene „Sättigungsbeilage“.
Gut gelaunt spaziere ich in Richtung Saint-Eustache weiter, dieser riesigen, von außen immer etwas unfertig aussehenden, gotisch anmutenden Renaissance-Kirche am Rande des alten Marktplatzes. So schwer sie von außen zu fassen ist, so großartig ist diese Kirche von innen: Das Raumgefühl ist einzigartig, die behäbige Riesenkirche wirkt plötzlich wunderbar leicht, ihr helles Gewölbe – das höher ist als das von Notre-Dame – zieht einen förmlich nach oben.
Nach der Kirche geht es in der Rue Montorgueil weiter. „Hochmutsberg“ würde die deutsche Übersetzung in etwa lauten, ein schön selbstironischer Name: Der Hügel, zu dem die Straße führt, besteht aus nichts anderem als aus dem Müll, der sich einst vor der Stadtmauer türmte. Diese hatte König Philippe Auguste am Ende des zwölften Jahrhunderts zur Verteidigung der Hauptstadt anlegen lassen – Gefahr drohte von den Engländern, die auch über die nahe Normandie herrschten. Von Philippe Augustes Mauer sind heute noch einige Spuren im Pariser Stadtbild erhalten, und eben auch der mittelalterliche Müllberg, in dessen Richtung ich jetzt aufbreche. Die Rue Montorgueil zählt seit jeher zu den gastronomischen Lebensadern der Metropole: Über diese Straße, die weiter stadtauswärts Rue Poissonnière heißt, also Fischhändlerinnenstraße, wurden, als man die Engländer endlich aus dem Land geworfen hatte, Fisch und Meeresfrüchte von der etwa zweihundert Kilometer entfernten Küste der Normandie in die stets hungrige Hauptstadt transportiert.
Zwischen den zahlreichen Fischhändlern siedelten sich weitere „métiers de bouche“ an, „Mundberufe“, wie man so schön auf Französisch sagt: Fleischer, Obst- und Gemüsehändler, Bäcker … darunter auch Institutionen wie die Pâtisserie Stohrer, 1730 von einem polnischen Pâtissier eröffnet, der sein Handwerk im Elsass vervollkommnete, wo der polnische König Stanislaus nach der Teilung seines Landes im Exil lebte. Der Pâtissier folgte der Tochter seines Königs, als diese den französischen Thronfolger Ludwig XV. heiratete, nach Versailles und später nach Paris. Dort machte er das heute noch klassische Dessert „Baba au rhum“ bekannt (ja, nach dem in Rum getränkten Kuchen ist bei Asterix ein Römerlager benannt). 1864 wurde das Geschäftslokal von Paul Baudry so gestaltet, wie es heute noch aussieht. Man kann also kunsthistorisches Interesse vortäuschen, wenn man die legendäre Pâtisserie betritt, wird sie aber kaum wieder verlassen, ohne zumindest ein Éclair gekauft zu haben. Ich mochte diese länglichen, wegen ihrer Cremefüllung oft etwas „aufgeweichten“ Brandteigkrapfen früher nicht so, ließ mich aber längst durch ein Schokolade-Éclair von Stohrer bekehren.
Renaissance-Kirche Saint-Eustache
Zumindest eines der einst zahlreichen großen Fischgeschäfte liegt schräg gegenüber der Pâtisserie Stohrer, und auch das legendäre Restaurant Au Rocher de Cancale ist in Sichtweite, wenn mich auch die hellblaue Farbe und die frisch renovierte, viel zu glatte Fassade irritieren – das leicht verwitterte Äußere von früher fand ich passender. 1846 wurde das aktuelle Restaurant neu eröffnet, das viel ältere Vorgängerlokal gleichen Namens war von Balzac in zahlreichen Romanen verewigt worden. Ein Koch namens Langlais kreierte darin die „sole à la normande“, „normannische Seezunge“, ein Fischgericht mit vielen Meeresfrüchten und – wie alles, das mit dem Adjektiv „normannisch“ geschmückt wird – reichlich Obers. Wir verdanken das heute als typisch normannisch geltende Gericht dem romantischen neunzehnten Jahrhundert und seinem Bedürfnis nach Folklore, die es im Regelfall an Ort und Stelle gar nicht gab. So baute man allerorts Pseudoruinen, rekonstruierte verfallene Ritterburgen, erfand „uralte“ Trachten vom Schottenrock bis zum Steireranzug und dachte sich „typische“ Gerichte aus. Gegen Letzteres ist auch nichts einzuwenden.
Innen ist das Rocher de Cancale nach wie vor eine Augenweide – was das berühmte Rezept betrifft, verlasse ich das Lokal aber mit leeren Händen: Der aktuelle Küchenchef hat weder von der Geschichte des Hauses noch von normannischer Seezunge die leiseste Ahnung, ein Jammer.
Passage du Caire
Lohnend ist in diesem Viertel auch der eine oder andere Abstecher in eine der Nebenstraßen, etwa die Rue Tiquetonne, zu der ich nun zurückspaziere. Bei Hausnummer 56 befindet sich das 1951 gegründete Pâtisserie- und Küchenbedarfsgeschäft G. Detou , das heute noch wie ein Kaufmannsladen aus dieser Zeit aussieht, freilich wie einer für Experten, in dem es von Jahrgangssardinen über feine Senfsorten bis zur Chocolatier-Basisausstattung einfach alles gibt. Bei meinem Bummel in Richtung Osten komme ich an zahllosen winzigen Geschäftslokalen, Cafés und Restaurants vorbei, deren Enge ihre Inhaber zu kreativen Lösungen zwingt und in denen modernes Design, altes Gebälk und Mauerwerk reizvolle Kombinationen ergeben. Ich lande in der Passage du Grand-Cerf, an deren Stelle sich einst das Hôtel du Grand-Cerf befand, der zentrale Postkutschenbahnhof der Hauptstadt – unglaublich turbulent muss es damals zugegangen sein. Heute strahlt die Passage eher diskrete Eleganz aus, viele Designer-Büros sind hier zu Hause, ein schönes und teures Geschäft für afrikanische Möbel, Stoffe und Kunsthandwerk auf zwei Etagen, kleine Boutiquen. Bei einem Vintage-Laden finde ich Schuhspanner des österreichischen Bundesheers in einer Wühlkiste.
Die Passage bringt mich zurück zur Königsstraße. Bis vor Kurzem war sie gerade in diesem Abschnitt noch Tag und Nacht ein einziger lang gezogener Straßenstrich, doch davon ist so gut wie nichts mehr geblieben. Die Straße atmet sichtlich auf, Sex-Shops weichen Bio-Weinhandlungen, Gemüseläden und Frühstückslokalen. Zahlreiche Passagen mit teils schillernder Vergangenheit öffnen sich links und rechts der Rue Saint-Denis, zum Beispiel die Passage du Bourg-l’Abbé gleich gegenüber, in der sich einige Handwerker und ein hübsches Café angesiedelt haben, oder, ein paar Schritte stadtauswärts, die Passage de la Trinité, eine der engsten dieses Viertels.
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