Seufzend beobachtete sie, wie sich der Himmel im Osten langsam erhellte. Als es etwa halb sieben sein musste, straffte sie die Schultern und stellte sich dem Tag.
Nachdem sie geduscht und sich angezogen hatte, ging sie nach unten in die Küche. Sie tat so, als habe sie Phillip, dessen transparente Form sie gerade noch durch die Wand hatte verschwinden sehen, nicht bemerkt. Er wusste, dass sie es nicht mochte, wenn er nachts vor ihrer Tür wachte. Was sollte ihr im Haus schon geschehen?
Maj werkelte wie immer bereits in der Küche. Als Tabatai brauchte sie wenig Schlaf und verfügte über immense Energie. Rylee sorgte sich oft, dass sie die ehemalige Sklavin zu viel arbeiten ließ, doch Maj weigerte sich beharrlich, Hilfe von ihr anzunehmen. Nur widerwillig erlaubte sie Rylee ab und zu einzelne Handreichungen. Immerhin.
Zu ihrer Überraschung saß die Wächterkatze Amelie auf einem der Küchenstühle und sah Maj zu. Es war richtig gewesen, die Wächterin aus dem Haus des superreichen Gargosian zu befreien. Doch er hatte sie nicht aus niederen Beweggründen eingesperrt, sondern um ihre Art zu erhalten. Sie hatte in seinen eigenen Räumen gelebt, und man konnte auf den ersten Blick erkennen, dass beide eine tiefe Zuneigung verband. Obwohl Amelie frei sein wollte, vermissten sich die beiden, und Gargosian hatte sich schon mehrere Male nach ihr erkundigt.
„Guten Morgen Amelie“, sagte Rylee. „Wo ist denn Boh?“
Die Katzendame sah sie stumm aus unergründlichen grünen Augen an. Sie war zierlich und ihr weißes Fell war etwas länger als das des größeren und stämmigeren Katers. Sie schien sich in Securus Refugium wohlzufühlen, war aber allen außer Boh gegenüber zurückhaltend und kommunizierte auch nicht mental mit Rylee, wie Boh es tat.
Rylee war damit zufrieden. Amelie war ihr eigener Herr und konnte selbst entscheiden, wo und mit wem sie später leben wollte. Rylee würde ihr ein Zuhause geben, solange sie wollte. Und wenn sie für immer hierbleiben würde … umso besser.
Rylee zuckte mit den Achseln und setzte sich an den Küchentisch, wo ein großer Becher schwarzen Kaffees auf sie wartete. Sie gähnte und hielt sich verlegen die Hand vor den Mund.
„Hast du wieder nicht gut geschlafen?“, fragte Maj besorgt.
„Doch“, sagte Rylee schnell und erntete einen zweifelnden Blick.
„Was liegt heute an?“, fragte sie, um Maj abzulenken.
Maj zählte an den Fingern ab.
„Ein gewisser Richard kommt, um mit Zwergen zu handeln. Du wüsstest Bescheid. Ein gewisser Exo kommt, um Wein einzukaufen. Auch mit ihm hast du wohl eine Art Abmachung. Ansonsten ist es heute eher ruhig. Die Pflanzenforscher sind schon ganz früh abgereist. Ihr Raumschiff ging um fünf.“
„Die Pflanzenforscher“, sagte Rylee. „Die habe ich ganz vergessen. Ich hätte doch aufstehen können, um sie zu verabschieden. Wo ich doch sowieso …“ Sie verstummte.
Maj schüttelte den Kopf. „Das ist meine Arbeit. Ich brauche wenig Schlaf, wie du weißt. Und du solltest etwas gegen deine Schlaflosigkeit tun.“
Zu Rylees Glück kam Percival in die Küche. Er sah besser aus als noch vor ein paar Tagen. Seine Gesichtsfarbe war nicht mehr ganz so blass, und es schien fast, als hätte er an Gewicht zugelegt. Maj stopfte aber auch Unmengen an Essen in ihn hinein, dachte Rylee amüsiert. Und richtig. Während Percival alle inklusive Amelie höflich begrüßte, wandte sich Maj schon dem Herd zu und begann, Eier in eine Pfanne zu schlagen.
„Legen die Hühner gut?“, fragte Rylee neugierig.
Vor ein paar Tagen war Maj vom Einkaufen mit dem Material für einen Hühnerstall und drei lebenden Hühnern zurückgekommen. Als Antwort hielt die Tabatai stolz einen kleinen Korb mit Eiern hoch.
„So viele“, wunderte Rylee sich. „Ich dachte, Hühner legen jeden Tag nur ein Ei.“
„Es ist das Haus“, sagte Percival und ließ seine Augen über Wände und Decke schweifen. „Die magische Umgebung.“
Rylee sah ihn überrascht an. Sie vergaß oft, dass Percival ebenfalls ein Hüter war, der lange ein magisches Haus auf Aldibaran geleitet hatte. Die Gesellschaft hatte es ihm aus Habgier abgenommen und ihn auf den unwirtlichen und extrem lebensfeindlichen Planeten 3546 verbannt. Es war eine unglaubliche Leistung, dass er dort überlebt und aus den Überresten einer alten verfallenen Hütte ein neues Haus geschaffen hatte. Heaven hatte er es genannt. Zu allem Überfluss hatte er es noch bewerkstelligt, von dem Planeten zu entkommen, und sein Haus, dessen Essenz er in einem kleinen Stück Holz gespeichert hatte, mitzunehmen.
„Hast du eigentlich schon Pläne für die Zukunft?“, fragte sie aus diesem Gedanken heraus und setzte schnell hinzu: „Bitte versteh die Frage nicht falsch. Du kannst so lange hierbleiben, wie du möchtest.“
Der Blick, den er ihr zuwandte, war sorgenvoll. „So gern ich hier bin, ich muss eine neue Heimat für Heaven und mich finden. Es wird sterben, wenn es nicht bald einen Platz bekommt, wo es dauerhaft leben kann.“ Er sah ihren erschrockenen Blick. „Es erfordert viel Magie, die Essenz eines Hauses auf diese Art zu speichern und zu transportieren, und so gebunden kann die Essenz nur eine gewisse Zeit überleben.“
Besorgt fragte sie. „Kann man denn ein Haus an jeder beliebigen Stelle errichten?“
„Von der Magie her schon“, antwortete er. „Aber man muss natürlich lokale Gesetze und die Gesetze der Gesellschaft“, bei diesem Wort verzog er das Gesicht, „beachten. Sie passen zum Beispiel auf, dass die Häuser sich nicht gegenseitig Konkurrenz machen. Normalerweise vergeben sie Plätze. Aber du weißt ja, wie mein Verhältnis zu ihnen ist.“
Das wusste Rylee, und ihr eigenes Verhältnis zu der Leitung auf Aldibaran war nicht viel besser, seit Antrax ihr aus politischen Gründen die Hilfe bei der Befreiung von Amelie verweigert hatte. Er hatte ihr sogar gedroht, im Falle, dass sie nicht kooperieren würde. Obwohl sie auf Drohungen äußerst allergisch reagierte, stand es für sie außer Frage, Percival zu helfen, und sollte der Weg nur über die Gesellschaft gehen, dann musste sie die Kröte schlucken. Sie hatte auch schon eine Idee, wie sie es anstellen würde.
Doch zuerst musste sie sich vergewissern, dass ihre Informationen noch aktuell waren. Sie entschuldigte sich und ging ins Wohnzimmer, um ungestört zu telefonieren.
Gregor, der Hüter des Hauses Bayern meldete sich beim zweiten Klingeln. „Rylee“, sagte er atemlos. „Wie geht´s dir?“
„Gut“, antwortete sie und fragte. „Und dir? Was machen deine Umzugspläne?“
Er stöhnte. „Wir räumen seit Tagen das Haus aus, damit ich es mitnehmen kann. Die Essenz lässt sich leichter speichern, wenn es leer ist. Die Gesellschaft unterstützt mich zum Glück. Alleine hätte ich nicht genug magische Kraft.“
„Das ist … nett von denen.“
„Ach was!“, sagte Gregor. „Niemand will ein neutrales Haus auf einem Planeten errichten, wo kaum Menschen leben. Sie freuen sich, dass sie endlich einen Dummen gefunden haben und helfen mir, bevor ich es mir anders überlegen kann.“
Rylee lachte leise. „Ich hoffe, du tust das Richtige.“ Dann legte sie ihm ihre Idee dar, Percival zu helfen.
Der nächste, mit dem sie sprechen wollte, war der neue Abgesandte der Gesellschaft für die Erde, Amadeus Borwinkel. Sie musste zunächst mit seiner Sekretärin vorliebnehmen, wurde nach einigem Hin und Her jedoch mit ihm verbunden. Auch ihm erklärte sie, dass sie vorhatte, Percival zu helfen, und stieß damit auf bedingte Zustimmung. „Meinen Segen haben Sie“, erklärte er. „Aber ich weiß, dass die Zentrale andere Pläne hat.“
„Lassen Sie das meine Sorge sein“, erklärte sie fest. Anders als beim letzten Gespräch mit dem Leiter der Gesellschaft, wusste sie jetzt nicht nur mehr, sondern hatte auch einen einflussreichen Verbündeten.
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