Max protestierte lautstark: »Aber das geht nicht, Mama, ich muss …!« Weiter kam er nicht, denn der Blick seiner Mutter ließ ihn erst gar nicht weiterreden. Er gab auf und mit hängendem Kopf und genügend an Nahrung machte er sich wenig später auf den Weg.
Da habe ich mir etwas Schönes eingebrockt . Ein tiefer Seufzer entkam seiner Brust. Er suchte einen bequemen Platz, von dem aus er den Eingang zum Pavillon im Auge behalten konnte.
»Oh Mann, nie hört sie mir zu!«, stöhnte er laut. Bei sich dachte er: Ich muss doch heute zum Troddeln, das wird ja nun ins Wasser fallen. Meine Mannschaftskameraden werden sauer auf mich sein. Ohne mich verlieren die garantiert. Wer wird für sie jetzt die meisten Punkte holen? Der Gegner ist das Team der schnellen Wiesel, meine Kameraden brauchen mich. Mist, was soll ich nur tun? Wie von Geisterhand gezogen stand er auf und machte sich auf den Weg. Soll auf Klaus aufpassen wer will, d achte er trotzig , um nichts in der Welt werde ich das Endspiel heute verpassen. Was habe ich mit dem da im Pavillon zu tun, der wird schon nicht gleich herauskommen. Mit etwas Glück bin ich rechtzeitig zurück. Das merkt meine Mama gar nicht.
Er rannte los, als sei ein Rudel Wölfe hinter ihm her. Gerade noch rechtzeitig erreichte er das Spielfeld, zog rasch sein Trikot über und stürzte sich ins Getümmel. Im Spiel vergaß er schnell, dass er eigentlich gar nicht hier sein durfte. Die Troddel flogen hin und her, doch zu allem Überfluss ergab die reguläre Spielzeit nur ein Unentschieden, sodass eine Verlängerung nötig wurde. Max und seine Kameraden berieten kurz und stürzten sich erneut mit Feuereifer ins Gefecht. Die flinken Wiesel setzten sich zur Wehr, so gut sie konnten. Aber auch die Verlängerung brachte kein anderes Ergebnis. Ein Stechen musste die Entscheidung bringen. Wer den nächsten Punkt holte, würde als Sieger vom Platz gehen. Max erzielte den entscheidenden Treffer für seine Mannschaft.
Es dauerte eine Zeit lang, bis er nach den vielen Jubelszenen endlich zurück zum Kreiselpavillon kam. Von Weitem sah er, dass Mutter und Vater sich voneinander verabschiedeten. Sein Papa blieb dort stehen. Max brach der Schweiß aus. Das Beste würde sein, er ginge gleich hin und holte bei seinem Vater die nicht abzuwendende Strafpredigt ab. Mit gesenktem Kopf lief er zu ihm hinüber.
»Drei Monate Troddel-Verbot!«, sagte Herr Baumschubs, ohne Max auch nur eines Blickes zu würdigen. Der Junge überlegte eine Weile, ob es Sinn machen würde, es zu erklären, ließ es dann aber doch bleiben.
Vaters nächste Frage riss den Jungen aus seinen Gedanken: »Habt ihr wenigstens gewonnen?«
Hinter dem Eingang zum Irrgarten sah es dunkel aus, obwohl die Sonne hoch am Himmel leuchtete. Als Lichtquelle hatten sie nur den Teddy Leuchtie. Anna griff nach ihm und meinte: »Gib her, ich gehe zuerst!«
»Kommt nicht infrage!«, protestierte Lotte und klammerte sich an ihren Bären. »Wir brauchen auch Licht. Otto, hast du sowas wie eine Taschenlampe?« Bevor der antworten konnte, entstand ein Gezerre um das arme Stofftier.
»Lass los!« Anna hatte einen roten Kopf vor Zorn. »Du sollst ihn loslassen, ich bin älter und werde, wenn es sein muss, allein gehen!«
»Leuchtie gehört mir!«, keifte Lotte. »Also gehe ich.« Sie hielt den Bären so fest wie möglich. Schließlich riss Anna in ihrem Übereifer dem Stofftier einen Arm ab. Lotte begann zu weinen und hielt ihn fester als vorher. Dicke Tränen liefen ihr über das Gesicht.
»Du hast Leuchtie kaputtgemacht. Tante Grete wird traurig sein. Sie hat ihn selbst so lange gehabt.« Mit ihrer freien Hand schlug sie nach ihrer Schwester. Otto hatte sich das Ganze zunächst nur angesehen, ging nun aber energisch dazwischen.
»Es ist genug, meine Damen!«, schimpfte er. »Wir beruhigen uns erst einmal.« Er griff in seine Hosentaschen und zog zwei kleine Kugeln heraus. »Bitte schön, für jeden eine Leuchtkugel.« Jetzt schluchzte Lotte erst recht. Sie konnte sich gar nicht mehr beruhigen.
»Du dummer Otto!«, stieß sie wütend hervor. »Jetzt ist Leuchtie ganz umsonst kaputtgegangen.«
»Na, na, so schlimm ist das nicht«, versuchte er Lotte zu beruhigen. »Frau Pfefferminz kann ihn bestimmt reparieren.«
»Meinst du wirklich?« Sie schaute ihn skeptisch von der Seite an und schniefte hörbar.
»Bestimmt! Ich hatte, als ich klein war, mal Pech mit meiner Hose. Beim Klettern in den Ästen riss ich sie mir auf. Den Winkelhaken hat sie mir auch heile gemacht und meine Mutter hat gar nichts davon gemerkt«, bekräftigte er und reichte ihr eine Leuchtkugel und dazu ein Taschentuch zum Nase putzen. Die zweite Kugel bekam Anna und den abgerissenen Arm steckte er in seinen Tornister. Lotte schnäuzte sich laut und vernehmlich.
»Anna, du darfst als Erste gehen!«, bestimmte Otto.
»Nö«, sagte Anna schnippisch, »jetzt will ich nicht mehr, soll Lotte gehen. Sie wird schon sehen, dass es nicht so leicht ist.« Ihre Schwester schaute Otto fragend an. Der nickte ihr aufmunternd zu.
»Geh ruhig, du schaffst das ganz bestimmt.« Er schob sie mit sanftem Druck in Richtung Eingang des Irrgartens. Lotte atmete einmal tief durch und machte sich mit einem mulmigen Gefühl im Magen auf den Weg. Sobald sie hineingegangen war, schlug das Tor hinter ihr zu und versperrte den Weg. Die beiden Zurückgebliebenen starrten gebannt auf das rote Licht neben dem Tor. Ihre Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt.
Lotte ließ langsam den dünnen Strahl ihrer kleinen Leuchtkugel über den Boden gleiten. Es sah alles normal aus. Schritt für Schritt, Leuchtie fest unter ihren linken Arm geklemmt, bewegte sie sich vorwärts, alles schien ganz einfach. Nach vielen Schritten musste sie die erste Entscheidung treffen. Linker oder rechter Gang?
»Was mache ich jetzt?«, murmelte sie. »Links? Ja, … ja, ich nehme links.« Mutig lief sie weiter. Doch diese Abzweigung endete schon nach wenigen Metern in einer Sackgasse. Also wieder zurück. Jetzt die rechte Möglichkeit, bis zur nächsten Gabelung. Viele falsche und richtige Entscheidungen später gelangte sie an eine Kreuzung, von der vier Abzweigungen wegführten. Aus einer davon kam sie gerade heraus, blieben drei zum Aussuchen. In der Mitte lagen drei kurze Stangen in verschiedenen Farben. Lotte überlegte angestrengt: Wozu die hier wohl liegen? Hm, egal, ich kann sie gebrauchen. Sie nahm eine rote Stange und steckte sie neben den Durchlass, aus dem sie soeben herausgekommen war, in die Erde. Dann holte sie eine gelbe Stange und steckte sie in den Boden an dem Weg, den sie nehmen wollte. Wieder lief sie durch viele Gänge mit noch mehr Entscheidungen. Manche erwiesen sich als falsch, andere als richtig. Schließlich gelangte sie wieder an die Kreuzung mit den Stäben. Dort steckte sie die Letzte, eine Blaue in den Boden neben dem Gang, aus dem sie dieses Mal gekommen war. Nun blieb nur einer ohne Kennzeichnung, den sie voller Hoffnung betrat. Dieser schien unendlich lang zu sein. Er hatte etliche Kurven, aber keine Abzweigungen mehr. Unvermittelt stand Lotte vor einer Schranke. Daneben saß auf einem Schemel der Frosch aus dem Turm, der seine derzeitige Gestalt Klaus’ Fantasie zu verdanken hatte.
»Kommt hier endlich mal jemand!«, meinte er unfreundlich. »Wird aber auch Zeit. Ich will nicht länger ein Frosch sein.«
»A – aber was kann ich daran ändern?«, fragte Lotte verunsichert. »Ich kann doch nichts dafür, dass du wie ein Frosch aussiehst!«
»Papperlapapp, dein Bruder kann was dafür!«, maulte der Frosch. »Streng dich gefälligst an, ich warte! So lange du es nicht geschafft hast, wirst du eben nicht weiterkommen.«
»Bitte, das kannst du nicht machen, ich muss weiter!« Lotte schaute den Frosch bittend an.
»Mir egal, ich habe Zeit.« Das Mädchen begann zu grübeln: Was hatte der Frosch gesagt, als wir ihm das erste Mal begegnet sind? Klaus muss an sein Buch gedacht haben. Dann denke ich jetzt mal intensiv an mein Lieblingsbuch. Vielleicht funktioniert das ja. Sie stellte sich ihr Buch › Der magische Würfel‹ vor, das Cover und seine Form. Bevor sie dazu kam, eine der Figuren daraus zu erdenken, nahm der Frosch die Gestalt des Buches an. Oben aus den Seiten lugte der Kopf eines alten Mannes heraus und die Arme und Beine erschienen dort, wo sie hingehörten. Das Buch selbst bildete den Körper. Das Entsetzen in seinem Gesicht sah unbeschreiblich komisch aus. Lotte versuchte krampfhaft, nicht zu lachen.
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