Es regnete wirklich, und der Vater kam, mit ergrauten Schläfen, rätselhaft klein geworden und behaftet mit dem Duft von Jodoform, Hygiene, Rotem Kreuz und Eisenbahn.
Eine Granate hatte ihn Gott sei Dank verschüttet; nun war er da, für immer vielleicht, aber ratlos inmitten seiner gesunden Familie, betäubt von der Ankunft in seinem eigenen Haus, heimatlos in der Heimat und außergewöhnlich zwischen dem Gewöhnlichen, mit suchenden Blicken, die immer abglitten und zurückzukehren schienen in eine Ferne, in die verlassene Ferne, deren Schattenriß wir kaum ahnen konnten, deren Wirklichkeit uns niemals erkennbar war.
In Fini lebte er als der große, starke Mann, der sie in die Arme nahm, als er schied, jetzt war er klein und gedrückt und ihn umarmte Fini. »Lauter sprechen«, bat er und erzählte, daß er schwerhörig geworden. Man sprach lauter, man schrie, und er hatte doch nicht verstanden, er war stocktaub, und nach zwei Tagen kam er mit einem schwarzen Hörrohr, das seltsam und schrecklich aus der oberen Tasche seines Uniformrocks einen langen Hals mit breitem Trichter reckte. Verwandelt war er ohne Instrument und noch mehr, wenn er es ans Ohr legte. Jeden Tag humpelte er an seinem Stock ins Spital und brachte den Geruch der Medikamente nach Hause und manchmal einen großen, länglichen Brotlaib, den man beim Bäcker nicht bekam. Die Verwandten kamen, ihn zu begrüßen, sie schrien mit Lust und weideten sich an seinen Mißverständnissen und lachten verstohlen. Arnold, der Onkel, wollte seine guten Touren partout nicht verkaufen, und man sprach von einer Neugründung der Existenz.
Dann waren die lauten Besuchstage verrauscht, und einmal entstand ein Streit wegen einer Zündholzschachtel, die der Vater im Spital vergessen hatte oder im Wirtshaus – wer konnte es wissen? Ein wenig trank er, dann war er stiller als gewöhnlich, und manchmal stahl er kleine Dinge aus dem Hause. Die Mutter schrie, nur sie allein verstand er gut, und er blieb die Antwort nicht schuldig. Aber sprach die Mutter leise, verstand er dennoch nichts, und sie durfte fluchen – und Worte, die sie tief zurückgedrängt hätte, wäre er nicht taub gewesen, tanzten jetzt frech über ihren Mund und trafen ihn nicht, so daß er lächeln konnte, wenn sie »Schubiak« sagte.
In der Nacht aber hörte man sie zärtlich flüstern im Bett, wenn Fini zufällig erwachte; spät nach Mitternacht drang das Wispern schwül aus dem Schlafzimmer. Da belebte sich wahrscheinlich sein Gehör, denn es ging um Liebesdinge. Merkwürdig war, daß sie ihren Streit vergessen konnten, wenn sie Körper an Körper lagen; der warme Milchduft, der von der Mutter kam, versöhnt ihn, dachte Fini.
Warm war die Nacht, und das Bett strömte Wärme aus; Fini stand auf und ging ans offene Fenster, während Vater und Mutter im Schlafzimmer eine Kerze anzündeten mit heiserem Kichern.
Rührung überfällt uns in der klaren Nachtluft, wenn die Sehnsucht aus den blauen Gründen zu uns kommt und am Fenster der Pfiff einer weitrollenden Lokomotive hängenbleibt, auf dem Bürgersteig gegenüber liebesdurstig eine Katze schleicht, in einem Kellerfenster verschwindet, hinter dem der Kater lauert. Groß und sternenreich ist der Himmel über uns, zu hoch, um gütig zu sein, zu schön, um nicht einen Gott zu enthalten. Die nahen Kleinigkeiten und die ferne Ewigkeit haben einen Zusammenhang, und wir wissen nicht, welchen. Vielleicht wüßten wir ihn, wenn die Liebe zu uns käme; sie ist mit den Sternen verwandt und mit dem Schleichen der Katze, mit dem Pfiff der Sehnsucht und mit der Größe des Himmels.
Zwei Menschen entkleideten sich drüben, hinter den Jalousien sah man ihre Schatten, eine Hand löschte mit wehendem Schwung die Kerze aus, und Mann und Frau gingen schlafen – jetzt flüsterten sie, wie die Eltern flüsterten. Fini fühlte die Nachtluft nicht mehr, rote Kreise vor den Augen sah sie, ein jäher Blutstrom rann in die Schenkel, und die Spitzen ihrer Brüste wuchsen, streckten sich dem Draußen, den Lokomotiven, den Pfiffen, den Sternen entgegen.
Der neue Tag graute; hinter den Häusern erhob sich ein weißes Leuchten. Sonntag war es. Der Morgen breitete sich aus, schnell hellte das Zimmer auf, am Nachmittag gehen wir mit Tilly ins Atelier; wir werden neue, wunderbare Dinge erleben, in einer unbekannten Welt, neue, große Dinge, kleine, kleine Fini.
Dieser Nachmittag im Atelier behielt seine leuchtende Seltsamkeit noch Jahre später, als Fini schon in einer anderen Welt lebte und die süße Dummheit ihrer jungen Tage vergessen und vergraben hatte. Mitten zwischen den großen und klugen Menschen war sie noch einsamer als daheim, geringer als in den weiten, großen Straßen der großen Stadt, wenn sich das Leben eisern über ihrem kleinen Kopfe wölbte. Aus allen Bereichen der wunderbaren, ungekannten und kaum erahnten Welt strömten die Gedanken der Menschen, die schönen, die zarten, die unverständlichen, die weichen Gedanken, die Musik aus unzähligen, verstreuten und verborgenen Instrumenten. Die Hälfte verstand sie nicht und wußte nicht, wen zu fragen; denn unerreichbar war Tilly, die Erwachsene, Gewandte, die kühn zuhause war, wo man sie hinstellte und aus der glanzvollen Mitte, die sie einnahm und die ihr gebührte, in den stillen Winkel Finis kühles Lächeln schickte und strahlend kühlen Blick. Fini fühlte, daß keine Hilfe kam und es war ihr, als müßte sie, ungelernt, wie sie war, in der nächsten Stunde zur Prüfung treten. Stolz und mutig waren die Menschen, gewiß kamen sie aus den großen, kühlen, bewachten Häusern und aus den reichen Zimmern, in denen Spiegel an jeder Wand die Haltung ihrer Besitzer unter stetiger Aufsicht halten und bis zur Vollkommenheit verbessern. Wer aber, wie wir, aus den engen Häusern kommt und in den Zimmern mit den blinden Spiegeln heranwächst, bleibt zage und gering sein ganzes Leben lang.
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