Onans Kirchen spielt im südlichen Afrika und ist damit auf jeden Fall ein Afrikaroman. Ein ungewöhnlicher, ziemlich schräger allerdings, immer wieder durchsetzt mit brillanten zivilisationskritischen Tiraden und voll von sprachwütenden Abrechnungen mit Rassismus und Kolonialismus. Ein politischer und ein philosophischer Roman ist Onans Kirchen also auch. Seinen Protagonisten Parsifal, einen sehr bald in die Wildnis flüchtenden vierzigjährigen Regionaldirektor eines europäischen Firmenkonsortiums, der auf eine von »ständigen Weibergeschichten« durchsetzte Karriere zurückblickt, hat die »Afrikanische Krankheit« erwischt: »Wenn man plötzlich nichts mehr werden will, sondern nur noch ist.« Die Arbeit kann er getrost seinem Assistenten Munashe überlassen: »Mein Telefon ist hübsch, aber es klingelt nicht.« Als er aber in einer alten Schweizer Zeitung ein Inserat entdeckt, in dem eine nicht mehr ganz junge Frau einen Mäzen sucht, »Kennwort Parsifal« – da klingelt es gewaltig, und zwar in seinem Innersten. Leider lebt das Objekt seiner Begierde in Wien und studiert dort angeblich Philosophie. Leider hat er sie noch nie gesehen, meint aber alles von ihr zu wissen. Bis zum recht überraschenden Ende in Richard Wagners Bayreuth bleibt sie unerreichbar und geheimnisvoll. Eine literarische Folge dieser vertrackten Konstellation ist die Ich-Form. Die Tagebuchnotizen, die wir lesen, kreisen um einen Mann, der mitten im dunklen Kontinent den Gespenstern seines virilen, durchaus auch beängstigenden Innenlebens begegnet. »Jedenfalls war ich, Parsifal, ein Wüstling, der Herr Hans oder Don Juan, welcher ganze Blumenwiesen leer zu pflücken verstand. Und ich wusste, ich wusste jedes Mal schon in der ersten Nacht, dass im Bett der Beginn der Trennung liegt.« Und jetzt? Ein einsamer Parsifal in Omombo, einem Ort, der so etwas wie das Gegenteil von Wien zu sein scheint. »So weit das Auge reicht: nirgends Spuren von Zivilisation. Nur dieses Endlose, das über den Horizont hinausreicht, bis dorthin, wo vielleicht keine Welt mehr ist.« Ein altes Radiogerät gibt es, einen Generator, Dynamit, vielleicht sogar Diamanten. Hauptsächlich aber Hitze, Dornbüsche, Steinhaufen, Ameisen und Termiten, auch Ziegen und ausgemergelte Kühe. »Omombo ist für den, der weiß, was Liebe ist.« Dem Fast-Nichts wird ein fulminantes Selbstgespräch entgegengesetzt – die trockene Natur wird durch feuchte Träume und wilde Fantasien belebt, und es entsteht ein erregendes Sprachkunstwerk, dessen Lektüre auch den zunächst befremdlichen Romantitel plausibel erscheinen lässt. »Der transfunktionale Mensch verlangt, dass man endlich Onan Kirchen baut, diesem Propheten, der, radikal das Wachset und Werdet mehr! verweigernd, von allen Propheten der weitsichtigste ist. Weniger müssen wir werden, nicht mehr!« Prophetisch? Zuallererst: Spracherotik pur!
Christoph Braendle: Onans Kirchen. Roman. Wien 2012: Czernin Verlag. 269 S.
Ein Maler in Rom. Erotisches von Christoph Braendle
Bei Christoph Braendle, dem Schweizer Weltenbummler aus Wien, geht es selten ganz ohne Erotik ab. Braendle hat als Journalist und Reporter gearbeitet, er hat skurrile Theaterstücke und glänzende Essays verfasst, und er hat eine beachtliche Menge an literarischen Büchern publiziert, unglücklicherweise in ganz unterschiedlichen Verlagen. Was seiner Sichtbarkeit nicht guttat. Seinen Werken gemeinsam sind ihre hohe sprachliche Qualität, der wache, neugierige Blick auf die Welt sowie die immer wieder verblüffende Originalität des jeweiligen Themas und der dafür gewählten literarischen Form. Und darüber hinaus eben: die Beschäftigung mit der Lust und der Liebe, mit den zahllosen Spielarten des Erotischen. Das gilt auch für seinen jüngsten Roman.
Aus den Augen spielt in Rom, wo ein aus dem geistfeindlichen und intriganten Wiener Künstlermilieu geflüchteter junger Maler die alten Meister studiert, vor allem die Marien- und sonstigen Frauenfiguren in den zahlreichen Kirchen der Ewigen Stadt. Langweilig? Nein, denn gleich zu Beginn begegnet er in seinem Stammcafé nahe der Piazza Navona einem alten und offenbar sehr reichen Mann, der ihm ein ungewöhnlich hohes Honorar verspricht, wenn er dessen wesentlich jüngere Gattin Lisa porträtiert. Nackt natürlich. Öl auf Leinwand, zwei Meter fünfzig mal ein Meter sechzig. Zum Deal gehört, dass ihm der alte Herr in aller Ausführlichkeit seine Lebens- und Liebesgeschichte erzählen darf – was dem Maler anfangs gar nicht recht ist. Doch diese Geschichte, dominiert von der Jagd nach einem erfüllten und glücklichen, einem erotischen und zugleich ästhetischen Leben, ist extrem spannend. Zumal die üppige, kluge und lebensweise Gemahlin und der in den Sog der pikanten Konstellation hineingezogene Ich-Erzähler ganz andere, vielleicht zeitgemäßere Sichtweisen einbringen als der alte Herr, »der typische Repräsentant einer verzweifelten Linken, saturierten Wohlstand genießend inmitten einer finsteren, Depression erzeugenden Welt«. Aus den Augen entfaltet drei auf ganz unterschiedliche Weise vom Eros getriebene Lebensläufe mit oft überraschenden Wendungen und jähen Volten. »Wir sind Gefangene unseres Schicksals«, heißt es einmal, und womöglich ist das durchaus programmatisch gemeint. Drei Hauptfiguren also. Das bedeutet hier auch: häufige Perspektiven- und Sprachwechsel, Vermischung und Verschachtelung der Erzählebenen und -zeiten, Zitate aus der Kunst-, Literatur- und Filmgeschichte – modernes Erzählen eben. Der Lesbarkeit schadet das nicht, und die Leserneugier bleibt bis zum Schluss erhalten. Ja, vielleicht hat der junge Maler am Ende wirklich ein vollendetes Meisterwerk geschaffen! Doch hat es ihm geholfen? Kann Kunst helfen? Und wenn nicht, wozu ist sie dann überhaupt da? Aus den Augen ist, ganz nebenher, auch ein kunstphilosophischer Roman. Mehr wird nicht verraten.
Christoph Braendle: Aus den Augen. Roman. Weitra 2019: Verlag Bibliothek der Provinz. 226 S.
Vom kleinen großen Leben. Ein ergreifender Roman über Armut und Glück
Den Ton dieser Prosa lässt schon ihr Prolog anklingen: »Einmal wird die Sonne untergehen, abends um acht werden die Nachrichten gesendet und später wird das Wetter für den folgenden Tag angekündigt. All das wird geschehen, aber du wirst nicht mehr da sein.« Der fünfjährige Josef hat Angst, der Krieg kommt ins Dorf. Die einjährige Rosa schläft im Arm ihres Vaters, plötzlich zischt es, der Apfelbaum zerbirst – die Granate hat beide nur um eine Armlänge verfehlt. So fangen zwei Leben an, die füreinander bestimmt sein werden. Die Magie, die von Motoren ausgehen kann, wird Josef seit seinem dreizehnten Geburtstag begleiten: zuerst das Moped, dann der jahrelang mit Hingabe instand gesetzte Fiat Topolino, später der rote Buick. Mit zwanzig besucht er den Jahrmarkt in der nahen Kreisstadt, und sein Herz ahnt, »dass sich schon bald etwas ganz Großes ereignen würde«. Von diesem ganz Großen, einer lebenslangen innigen Liebe nämlich, handelt der nicht nur durch Vor- und Rückblenden gekonnt rhythmisierte Roman. Rosa und Josef stammen aus armen Verhältnissen, und als sie die »Anzeige einer Textilfirma im Westen« sehen, verlassen sie ihre Heimat. Die Armut wird sie begleiten, auch der Hunger. Die Fabrikarbeit ist eintönig und macht krank. Als sie heiraten, sagt Rosa: »Glücklicher kann man gar nicht sein.« Glück gibt es immer wieder, Angst und Schmerz auch. Gemeinsam werden sie alt, Rosa geht, die Liebe bleibt. Noch als sterbensmüder alter Mann gleicht Josef einem Schiff, »das niemals ein Ufer erreicht« – aber er weiß, dass es doch ein Ufer für ihn gibt, und dort wird Rosa auf ihn warten. Was bedeutet ihm die Welt noch, ohne sie? Ohne seinen roten Buick? »Gebt acht auf jeden Augenblick eures Lebens!«, hatte die Großmutter gesagt. Das taten sie, bis zum Ende.
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