Mit Rauchschatten (2010) wurden Sie als Schriftsteller bekannt, Aus dem Fluss und Minus folgten vier Jahre später. Der Literaturwissenschaftler Holger Englerth schreibt über Rauchschatten und Minus: »Beide Romane liefern keine >realistischen< Abbilder des von ihnen Dargestellten, sondern entziehen sich durch ihre reflektierten Erzählverfahren einer wie auch immer gearteten >Eindeutigkeit<.« Stimmt das?
Ob das stimmt, kann ich nicht beurteilen. Das Schreiben hat für mich viel von Improvisation. Natürlich sitze ich dann und arbeite die Sachen oft um. Es kommt aber ein Punkt, an dem ich einfach nur noch schreibe und mich nicht mehr fähig fühle, mich mit dem Ergebnis auseinanderzusetzen. Ein Zeitpunkt, an dem man auf einen erfahrenen Lektor angewiesen ist, um einen Zugang zum eigenen Text zu finden. Die Abhandlung von Holger Englerth war für mich als Autor sehr hilfreich. Ich wollte ursprünglich nichts als schreiben. Über das Veröffentlichen habe ich nicht nachgedacht. Ich wusste nicht, was für ein schwieriger, mitunter nervenaufreibender, entmutigender und desillusionierender Prozess die Publikation sein kann. Genau so habe ich diesen Prozess kennengelernt. Dann kamen einige Besprechungen, und ich hatte den Eindruck, dass der Ausgangspunkt für die Kritik nie der Text und nicht einmal ich als Autor war, sondern stets meine Herkunft. Wie gesagt, das hat natürlich mit dem Setting zu tun. Tatsache ist aber, dass mich dieser verfehlte Ausgangspunkt keineswegs irritiert hat. Man ist ja so dankbar, dass man wahrgenommen wird! Worauf ich aber hinauswill: Durch die Veröffentlichung, die Besprechungen, die Lesungen, den Betrieb habe ich eigentlich meinen Ausgangspunkt, den Text, völlig aus den Augen verloren. Obwohl ich in diesen Betrieb äußerst marginal involviert bin. Die Auseinandersetzung von Holger Englerth mit meinen zwei Texten war in gewisser Weise eine Rettung. Ob es stimmt, was darin steht, kann ich trotzdem nicht beurteilen. Meine einzige Hoffnung bei einem Text ist, dass er ein Eigenleben entwickelt. Bei dem Gedränge, das da herrscht, ist das gar nicht einfach, aber ich hoffe es. Wenn der Text dann lebt, stimmt alles, was darüber gesagt wird, und gleichzeitig stimmt es nicht. So sehe ich das.
Rauchschatten sei keine Biografie, schreibt Englerth, sondern illustriere »die Brüche, die Macht und Machtverlust in den Erinnerungen der Betroffenen hinterlassen«. Richtig?
Ich weiß nicht, was »Biografie« bedeuten soll. Ich weiß es wirklich nicht. Ich weiß nur, dass ich weder Angelina Jolie noch Putin bin und also nicht denke, dass meine Biografie wahnsinnig interessant sein könnte. Würde ich eine Biografie schreiben wollen, würde ich mich zwischen diesen zwei Personen entscheiden. Oder vielleicht über Trump schreiben. Ich finde ihn sehr spannend. In meinen Texten kommt oft ein Ich-Erzähler zu Wort. Der ist dann auch noch Albaner. Ich kann nachvollziehen, dass man, wenn man zehn Bücher in acht Stunden lesen muss, in solchen Texten die Attribute einer (Auto-) Biografie wiederfindet und dann die Texte auch so bezeichnet. Ich habe in einem Wettlokal gearbeitet, weil ich Minus schreiben wollte. Also gehöre ich einer Spezies an, die sich die Biografie erschafft, um sie dann als Stoff zu verwenden. Ich würde das salopp Entpersonalisierung des Schicksals nennen: Ein Leben wird wie ein Kleidungsstück ausgezogen, und jeder kann das dann anziehen und damit eine Perspektive einnehmen, die gewisse Einsichten verschaffen könnte.
So viel zum Thema »Biografie«. Ihre Frage war eine ganz andere, aber die habe ich ja oben beantwortet. Ich weiß, abgesehen von höchstens zwei grundlegenden Sachen, nicht, was richtig ist. Am wenigsten, wenn es um eine Aussage über meine Texte geht. Ich kann einen Text von mir genauso wenig beurteilen oder deuten wie mich selbst. Ich kann nur sagen, was meine Absicht war und worum ich mich am meisten bemüht habe – und das ist eben, meine Erfahrung von mir selbst loszulösen, damit sie für den Leser dann als seine eigene funktioniert. Natürlich finde ich es inzwischen anmaßend, dem heutigen Leser das zuzumuten. Aber das war der Hintergrund von Rauchschatten und Minus . Jetzt bin ich auf der Suche nach einem neuen Standpunkt, der dem Leser und vor allem dem Feuilleton, sagen wir, eher entgegenkommt.
Minus sei keine Reportage aus einem Wettlokal, sondern reflektiere in erster Linie »die Unmöglichkeit des objektiven Erzählens über >fremde< Welten«. Auch richtig?
Zu Rauchschatten habe ich einen gewissen zeitlichen Abstand, zu Minus ist er kleiner. Trotzdem ist es nicht meine Absicht, meine eigenen Texte zu interpretieren. Ich kann das nicht. Vor allem, wenn es sich um Rauchschatten und Minus handelt . Sobald ich diese Texte zu lesen beginne, spüre ich, dass da etwas zugange ist, das mich sehr stark, vielleicht zu stark beschäftigt hat. Ich wüsste nicht, womit ich diesen Zustand vergleichen soll. Ist es eine Erinnerung, ein Einschnitt, der einen viel zu sehr vereinnahmt hat? Ich kann es nicht sagen. Deshalb kann ich meine Bücher auch nicht beurteilen, bewerten oder positionieren. Wenn ich das tue, geschieht es meistens nur auf einer einzigen Ebene. Auf der Ebene nämlich, auf die ich mich im laufenden Gespräch beziehe. Aber ich spüre immer, während ich das tue, dass das eine Verallgemeinerung, eine Einschränkung des Textes ist. Also bin ich am Ende oft selbst derjenige, der die Schubladisierung durchführt. Ich liebe Bücher, die von unterschiedlichen Lesern unterschiedlich gelesen werden. Offenbar bieten auch meine Texte solche Möglichkeiten. Der Moment, in dem ich mit dieser Erkenntnis konfrontiert werde, bildet eine der wesentlichsten und wenigen Belohnungen, die ich als Autor überhaupt erfahre. In erster Linie freue ich mich darüber, weil das auf eine Auseinandersetzung mit dem Text hinweist. Trotzdem kann ich diese Betrachtungen nicht beurteilen. Genauso wenig wie die Gleichgültigkeit des Feuilletons in Bezug auf Minus . Ich ziehe Schlüsse daraus, aber ich beurteile sie nicht.
Aber um auf Ihre Frage zurückzukommen, diese Beobachtung nehme ich als einen Hinweis darauf, dass das Buch organisch geworden ist und sich je nach Perspektive und Voraussetzungen der Leser verändern kann – und das strebe ich auf jeden Fall an.
Ihre Bücher werden oft als authentische Texte über fremde Welten gelesen und auf Inhalte reduziert. Kränkt Sie das? Oder haben Sie sich damit abgefunden und bedienen erfolgreich eine Marktlücke? Sind Sie »Berufsalbaner« geworden?
Für einen Autor ist es wichtig, dass seine Bücher gelesen werden. Für mögliche Missverständnisse, so glaube ich, ist nicht der Leser, sondern der Autor verantwortlich. Das hat bei mir zu einer massiven Reflexion über meine Arbeit und meine Herangehensweise geführt. In der Tat fühle ich mich missverstanden, wenn ständig nur gewisse Hintergründe meiner Erzählerfiguren stark in den Vordergrund rücken, während die Kernaussagen der Texte völlig übergangen werden. Aber laut Holger Englerth sind sie vorhanden und auch erkennbar. Die Tatsache, dass sie übersehen werden, scheint im Rückschluss gewisse Ansichten meiner Erzählerfiguren zu bestätigen. In welchem Maße bin ich selber diese Erzählerfiguren? Tatsache ist, ich bin diese Erzählerfiguren, ich bin sie eigentlich in der Zeit, in der ich schreibe, zu einhundert Prozent Aber ich bin sie nur vorübergehend. Eine Art Method-Acting, das ich bislang oft als Herangehensweise angewendet habe. Ich habe den Eindruck, dass ich mich inzwischen davon entferne. Natürlich ist das für mich auch ein Spiel gewesen: mal sehen, wer es schafft, dahinterzukommen, was sich da abspielt, mal sehen, wer sich auf dieses Identitätsspiel einlässt. In der Entstehungszeit von Rauchschatten und Minus kamen solche Identitätsspiele in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur oft vor. Ich habe Rezensionen anderer Bücher gelesen, die dieser spielerischen Komponente besondere Aufmerksamkeit schenkten. Da habe ich mich schon gewundert – wie kann es sein, dass der Perspektivenwechsel bei Rauchschatten , der namenlose Ich-Erzähler bei Minus bestenfalls in einem Nebensatz erwähnt wurden? Während das, literarisch betrachtet, meine Spielwiese war. Aber vielleicht fand dieses Identitätsspiel in der Literatur in einem umzäunten Park statt, und man konnte mich da nicht sehen oder hereinlassen? Ich weiß nicht.
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