Leises Kichern im Raum veranlasste den Vortragenden zu einem kleinen Scherz: »Sie lachen, meine Damen und Herren! Aber schauen Sie doch beim ›gemeinen Volk‹ mal genauer hin! Nach etlichen Generationen, die von ihren Müttern streng vegan aufgezogen worden sind, finden sich überproportional viele, die sich tatsächlich intellektuell nicht mehr allzu weit von unseren Uraltvorderen, die noch auf Bäumen hausten, unterscheiden! Ich weiß«, schränkte er ein, »das klang jetzt sehr hochmütig.
Aber, meine Lieben, seien wir doch einmal ehrlich: Schon zur Zeit der alten Babylonier, Ägypter, Griechen, Römer und sonstigen Kulturvölkern war man sich des Unterschieds zwischen den einzelnen Menschen bewusst: Die einen bildeten die Oberschicht und die anderen den Plebs. Solange die Oberschicht dafür sorgte, dass das ›Volk‹ zufrieden war, ging alles gut: ›Brot und Spiele!‹ Das reichte.
Mittlerweile ist die Unterschicht um einiges anspruchsvoller in ihren Forderungen geworden. Möglichst viel Alkohol, Freiheit für Drogen, allzeit ein voller Bauch – Hauptsache viel, süß, fettig und billig – eine schwachsinnige Unterhaltungsindustrie, folgenloser Sex für alle, überall und jederzeit und das Wichtigste nicht zu vergessen: bloß keinerlei Stress für den Denkapparat!
Jede Anstrengung der kleinen grauen Zellen gilt es zu vermeiden, denn Stress ist ja so ungesund! Das sagen sie einem doch immer im Fernsehen; also muss es wahr sein!
Die Fähigkeit, selbstständig zu denken, zu entscheiden und danach zu handeln, hat man im Laufe der letzten Jahrzehnte den meisten schon ganz schön abtrainiert; man kann den Eindruck gewinnen, dass Gehirnschmalz bei vielen nur noch rudimentär vorhanden ist.
So werden diese von interessierter Seite auch niemals angehalten, etwas zu lesen. Diese Fertigkeit, einen längeren Text zu entziffern und diesen auch noch zu verstehen , ist bei den meisten inzwischen kaum noch vorhanden. Hauptsache, es reicht zum Lesen von Twitter-Nachrichten. Beim Schreiben schaut es – wen wundert's? – ebenfalls traurig aus.
Politik gilt als ›garstig Ding‹ und die Beschäftigung damit wird weitgehend vernachlässigt.
›Die da oben machen ja eh, was sie wollen!‹, dient dabei seit Jahrzehnten schon zur wohlfeilen Entschuldigung. Eine dümmliche Aussage, die deswegen nicht klüger wird, weil man sie beständig weiter tradiert. Obwohl bei Wahlen lediglich ein kleines Kreuz zu machen ist, was eigentlich keine intellektuelle Überforderung darstellen sollte, wird zunehmend auf dieses ›Recht eines freien Bürgers‹ freiwillig verzichtet.
Wenn Sie mich fragen, eine Schande! Und zugleich eine nachträgliche Ohrfeige für all jene, die einst für das allgemeine Wahlrecht auf der Straße demonstriert und nicht selten ihr Leben dafür gelassen haben. Aber das ist eine andere Sache.
Der Masse reicht es, hinterher, wenn die Regierung sich gebildet hat und Sachen beschließt, die dem ›kleinen Mann‹ nicht schmecken, das Maul gewaltig aufzureißen und auf die Straße zu gehen und zu randalieren!
Stichpunkt ›Randale‹, meine verehrten Damen und Herren! Dazu habe ich folgenden Vorschlag zu machen und bitte dafür um Ihre freundliche Unterstützung:
Es sollte gesetzlich geregelt werden, dass jedem Bürger unseres Landes pro Dekade drei große Demos mit Beleidigungen, Anpöbeleien, Sachbeschädigungen und meinetwegen auch leichten Körperverletzungen von Ordnungshütern und Vollzugsbeamten ausdrücklich gestattet werden!
Ich bin überzeugt, das käme sehr gut an und würde den Glauben an unsere Demokratie bei gewissen Individuen, über deren IQ wir hier nicht weiter diskutieren wollen, enorm stärken und festigen! Und wir möchten doch nichts anderes, als die armen, geistig Minderbemittelten unter uns glücklich zu machen! Ein zufriedener Normalbürger, der sich in seinem Leben nicht groß anstrengen muss und mit fünfzig mit vollen Bezügen in Rente gehen darf, wird kaum auf die Idee kommen, am Bestehen der jetzigen Situation etwas ändern zu wollen. Wobei ich im Übrigen nicht verhehle, dass es mit den vollen Rentenbezügen noch immer nicht recht klappen will. Zeit, dass sich das ändert, damit alle glücklich sind!
Ich registriere Ihre ungläubigen Mienen, meine lieben Anwesenden! Aber sehen Sie es doch einmal so: Die Kohle für alle verdienen doch sowieso wir Gebildeten – und wir sind ja schon lange so klug, die Deppen fürs Nichtstun zu alimentieren! Das ist uns nämlich die Sache wert, dass sie uns in Ruhe unser Ding durchziehen lassen! Dass unsere Kinder lernen und studieren dürfen, um später ihr erworbenes Wissen und ihre mit Fleiß erarbeiteten Kenntnisse nutzbringend – zusammen mit anderen Gelehrten der Welt – anwenden können!
Es ist daher nur mehr als gerecht, dass wir, die wir unser Gehirn noch benutzen, auch vornehmlich in den Genuss der Früchte aller geistigen Anstrengungen, unserer Studien, sowie unserer jeweiligen anspruchsvollen Arbeit, gelangen. Aber wir müssen, um Unruhen jeglicher Art zu vermeiden und störungsfrei agieren zu können, auch die schlichten Gemüter ›anständig‹ leben lassen. Glauben Sie mir: Es ist nur zu unserem eigenen Vorteil!«
Die Mienen der Zuhörer hatten sich längst wieder entspannt. Der Referent hatte ja so recht.
»Meine Freunde, ich sehe mich in der freudigen Pflicht, Ihnen mitzuteilen, dass berechtigte Hoffnung besteht, doch ziemlich bald die Ernte unserer Anstrengungen genießen zu dürfen – auf dem fernen Planeten ›Epsylon CX-743‹. Noch zu unseren Lebzeiten wird es so weit sein!
Die gute alte Erde werden wir dann großzügig den verweichlichten, degenerierten und – ich sage es frank und frei – den dann mit Sicherheit halbverblödeten Erdlingen überlassen.
Wenn diese dann, sobald die Katastrophen über sie hereinbrechen, niemanden mehr haben, der ihnen das Denken abnimmt, werden sie vielleicht erkennen, dass es nicht so verkehrt sein kann, sein Gehirn zu benutzen.
Etwas, das ihnen allerdings in ihrer Beschränktheit schwerfallen wird. Allein, wenn sie sich in ihrem ungezügelten Vermehrungsdrang etwas beschränken würden, wäre schon viel gewonnen! Aber das, meine Freunde, sollen sie dann unter sich ausmachen, sobald magere Zeiten anbrechen, weil Nahrung und andere wichtige Ressourcen nicht mehr für alle ausreichen werden.
Es könnte spannend werden, die armen Erdenwürmer von unserer Komfortwarte aus im Auge zu behalten, wie sie sich ohne uns durchschlagen werden: Wie lange das Motto dann noch gelten wird: ›Brot und Spiele für alle!‹
Aber leider, leider ist das noch für eine ganze Weile Zukunftsmusik. Ich bin jedoch befugt, Sie davon in Kenntnis zu setzen, dass unser Institut unter den ersten drei vergleichbaren Vorzeigeschulen Europas zur besten gekürt worden ist! In der Weltrangliste stehen wir immerhin auf Rang drei nach China und den USA. Endlich ist es uns gelungen, die Russen zu überflügeln!«
Diese erfreuliche Nachricht löste diskreten Jubel aus. Endlich!
»Die Amis wollen wir auch noch packen«, verkündete der Redner mit einem gewissen Stolz. »Nur mit den Chinesen wird es sehr schwer werden. Deren Ressourcen an geistigem Potenzial scheinen geradezu unerschöpflich zu sein.
Außerdem begünstigt die chinesische Staatsform die geistige Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Anders als etwa in Deutschland oder vergleichbaren westlichen Demokratien müssen sie ihre ›Eliteschulen‹ nicht irgendwo in der Pampa regelrecht verstecken, um nicht den Missmut derjenigen zu erregen, die sich gern in ihrem Stumpfsinn suhlen und das auch für ihren Nachwuchs so beibehalten wollen.
In China wird der Intellektuelle, sofern er sich loyal zum Kommunismus bekennt, gefördert und von jedermann respektiert und sieht sich nicht dem Vorwurf der ›Dummen‹ ausgesetzt, sich einzubilden, ›etwas Besseres zu sein‹ als die geistig dröge Allgemeinheit.
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