Lächelnd schaute Monika ihr nach. „Ist eigentlich ein angenehmes Leben hier. Ich kann jetzt nämlich ein Nickerchen machen.“
Ein Mittagsschläfchen? Das hielt Silvia für eine gute Idee …
Der Preis des Erfolges
Es war stockdunkel, als Silvia aufwachte. Ihre Hand tastete über den Nachttisch auf der Suche nach der Lampe, fand sie, ein bisschen Licht flammte auf. Es war kurz vor achtzehn Uhr. Aus dem kleinen Mittagsschläfchen war ein ausgewachsener Schlaf geworden, fast hätte man meinen können, dass ihr dieses schreckensreiche Wochenende noch immer in den Knochen und vor allem wohl in der Seele stecke. Sie quälte sich wie gerädert aus dem Bett, knipste die Deckenleuchte an, schüttete im Bad kaltes Wasser ins Gesicht, wurde etwas frischer und etwas wacher. Aber war das ein Vorteil? Was nun anfangen mit der Zeit?
Sie schaltete den Fernseher ein. Er war ans Kabel angeschlossen oder an eine Satellitenantenne, es gab fünfundzwanzig Programme. Was aber nichts nützte. Zweimal zappte sie von vorn bis hinten durch und wieder zurück, dann schaltete sie ihn aus. Was da an Unterhaltung geboten wurde, unterhielt sie nicht. Schaudernd blickte sie in den Abend, der noch gar nicht richtig begonnen hatte, wie in einen endlos langen Schlund, eine zähe Stunde würde sich an die nächste reihen ohne Sinn. So hatte sie sich ihr neues Leben nicht vorgestellt, nicht so einsam, nicht so deprimierend.
Vielleicht bot der Speiseraum Rettung. Punkt halb sieben ging sie hinunter, aber niemand war da. Gähnende Leere, keine Gesellschaft. Sie setzte sich an den Tisch am Fenster, schaute hinaus. Fünf Wagen standen im Hof, schwere Limousinen, die geduldig auf ihre Fahrer warteten. Wie lange ein Gast wohl blieb, eine Viertelstunde, eine halbe oder länger? Einer der beiden Jungs für alles schob einen Servierwagen herein, der Größere der beiden, er sah noch genauso aus wie seinerzeit, hatte eine halbe Tube Gel im Haar und trug die bekannte Kluft, eine enge schwarze lederne Hose und eine Lederweste auf der nackten Haut. Entweder erkannte er Silvia nicht mehr oder ließ sich das Erkennen nicht anmerken, jedenfalls setzte er drei abgedeckte Assietten von seinem Wagen auf zwei Warmhalteplatten, ohne eine Miene zu verziehen. Beim Hinauseilen aber sandte er dann doch den Anflug eines Lächelns zu ihr herüber, das sie dankbar erwiderte, hungernd anscheinend nach jeder Regung von Freundlichkeit, als hätten Wolfgang und Ursula eine seelische Wüste in ihr hinterlassen.
Sie gab ein bisschen vom gedünsteten Gemüse, etwas Gulasch und einen der selbst gemachten Knödel auf einen Teller und setzte sich wieder an den Tisch. Unter welchen Umständen das Essen wohl zubereitet worden war, ob sich der Koch zwischendurch eines der Mädchen genommen hatte? Wirklich erstaunlich, dass ihr dieses Schloss hier mit seinen höchst sonderbaren Gebräuchen viel menschlicher und wärmer erschien als das vermeintliche Zuhause, von dem sie nun endlich geflohen war, was sie noch immer kaum glauben konnte. Corinna war vermutlich damit beschäftigt, die dildogespickten Sklavinnen mit ihrem Anblick zu erschrecken und vielleicht sorgte sie grade in diesem Moment dafür, dass eine von ihnen am Tisch sitzend eine Stärkung vom Aufseher erhielt. Leise musste sie lächeln bei dieser Erinnerung …
Draußen fuhr eine der Limousinen vom Hof und im nächsten Moment rollte ein anderer Wagen herein, der noch größer und protziger war. Er wurde auf dem frei gewordenen Platz geparkt und ein dicklicher Mann im dunklen Anzug stieg aus, reckte sich, als habe er eine lange Fahrt gehabt, und watschelte zielstrebig zum Eingang hin, offenbar kannte er sich hier aus.
Eine Frau, ein Mädchen betrat den Raum, fast hätte Silvia nicht geglaubt, hier überhaupt noch jemand zu sehen. Sie war in einen schwarzen langen Umhang gehüllt, hatte ein volles, sinnliches Gesicht, braune große Augen und schulterlanges rötlich braunes Haar. Mit einem Lächeln kam sie an den Tisch. „Hallo. Du bist bestimmt Silvia?“
Ach, anscheinend, sprach sich die Ankunft einer Neuen schnell herum. Die Frau, das Mädchen, die sich mit Annemarie vorstellte, holte sich etwas zu essen und setzte sich an Silvias Tisch, aß ein bisschen, aber mit nur wenig Appetit.
„Es ist heute jede Menge los. Man könnte meinen, es sei Vollmond.“ Wie um ihr recht zu geben, fuhr das nächste Auto auf den Hof und beider Blicke folgten durchs Fenster hindurch dem Mann im grauen Anzug zum Eingang hin. „Na ja, es ergänzt sich recht gut.“
„Was denn?“
„Es ist nicht vorteilhaft, bei dem Job viel zu essen. Und da heute auch nicht viel Zeit dafür bleibt, ergänzt es sich eben gut. Und meistens bekommen wir ja auch was von den Kunden ab.“ Sie blieb nur kurz, brachte den Teller zum Servierwagen und ging mit einem müden Winken wieder ins Foyer hinüber.
Dieser Platz am Fenster war wie Fernsehen. Ein Mann kam aus dem Haus, schlenderte zum Wagen, streckte sich gähnend und stieg ein. Wie er sich wohl fühlte, jetzt danach, ob es ihm gutgetan hatte oder ob er vielleicht das viele ausgegebene Geld bereute, für das er nicht mehr bekam als ein flüchtiges Glück, das so schnell verweht war wie ein Blatt im Wind? Komisch, diese Männer, und tatsächlich nicht zu ergründen. Doch konnte man offenbar ganz gut von ihnen leben, vorausgesetzt wohl, man hing nicht solchen Gedanken nach, die alles nur unnötig kompliziert machten …
Laura kam herein, auch sie trug einen schwarzen Umhang und nahm wie Annemarie nur wenig auf den Teller. Sie wirkte ein bisschen abwesend, als befänden sich ihre Gedanken noch irgendwo anders, und setzte sich ebenfalls an Silvias Tisch, was dieser das angenehme Gefühl gab, irgendwie schon dazuzugehören zu den Mädchen des Hauses. Auf Lauras Frage, was sie am Nachmittag gemacht habe, gestand Silvia, ihn einfach verschlafen zu haben.
Laura lächelte verständnisvoll. „Es gab noch keine, die nach einer Fotosession mit Christine nicht völlig erledigt war.“
Corinna kam herein in ihrem roten Kleid. Sie nahm sich etwas auf den Teller, setzte sich zu ihnen und schenkte Silvia ein liebevolles, Laura ein besorgtes Lächeln. „Es ist viel los, nicht wahr?“
Laura nickt. „Man könnte meinen, es sei Samstagabend.“
„Ja. Ich habe schon nach Monika gesucht, sie aber nicht gefunden. Anscheinend ist sie außer Haus. Dann habe ich bei Helen angerufen, doch die hat keine Zeit. Sonja ist in die Alpen gefahren und Irene büffelt für ihre Magisterarbeit … Nichts zu machen. Aber vielleicht taucht ja noch die eine oder andere auf im Laufe des Abends.“
„Ja, hoffen wir mal. Wenn nicht, müssen wir es halt irgendwie allein schaffen.“
In gewisser Weise schien es hier zuzugehen wie im richtigen Leben. Laura hatte ihren Teller leer gegessen, brachte ihn zum Servierwagen und ging wieder an das, was sie alle hier ihre Arbeit nannten.
Bekümmert schaute Corinna ihr nach. „Es ist unberechenbar. Da kommen an eigentlich ruhigen Abenden plötzlich viele Gäste und dann wieder ist es genau umgekehrt. – Schade, dass Iris in solchen Fällen nicht einspringen kann.“
„Wieso kann sie nicht?“
„Es ist so vereinbart. Sie ist immer im Foyer, erledigt alles Mögliche, aber ein Mann kann sie nicht haben. Sie hat genug durchgemacht.“ Ratlos zuckte Corinna mit den Achseln. „Was sollte ich tun? Ich konnte sie doch nicht zu ihrem Vater zurückschicken. Er hat angefangen sie zu missbrauchen, als sie noch ein kleines Kind war, und erzog sie systematisch zu seiner Sklavin, peitschte sie beim geringsten Verstoß gegen seine Gesetze.“
„Und ihre Mutter, konnte sie ihr nicht helfen?“
„Ihre Mutter war zu schwach, wurde auch von ihm unterdrückt, starb dann vor zwei Jahren, und Iris wagte mit niemandem über ihr Schicksal zu reden, von der Angst zum Schweigen gebracht. Hier im Schloss sprach sie zum ersten Mal darüber, und das wohl nur, weil sie sich vor mir ebenso fürchtete wie vor ihm.“
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