1 ...8 9 10 12 13 14 ...22 „Dafür haben Sie bestimmt ein warmes Herz“, meinte Mara und spielte mit ihren bunten Ketten mit den großen Perlen. War das ein Tattoo an ihrem Handgelenk? Meg wollte nicht allzu auffällig hinschauen. „Also, Meg – sind Sie bereit für diese ‚geistliche Reise‘?“
Meg zuckte die Achseln und brachte ein schwaches Lächeln zustande. „Ich weiß es auch nicht so genau“, fuhr Mara fort und griff in ihre Handtasche. „Aber eine Freundin meinte, dieser Kurs wäre gut für mich, und darum bin ich hier. Wie steht’s mit Ihnen? Wie haben Sie davon erfahren?“
„Ich … äh …“ Meg spürte, wie sie wieder errötete. Wenn sie nur einen Rollkragenpullover angezogen hätte! Aber es war noch viel zu warm für Rollkragen. „Die Frau meines Pastors hat mir diesen Kurs empfohlen. Sie sagte, er hätte ihr nach dem Tod ihrer Mutter sehr geholfen. Und da meine Mutter auch gestorben ist …“ Zu viel. Sie hatte zu viel gesagt. Sie hatte doch nicht vorgehabt, sich zu öffnen, und jetzt würde sie gleich losheulen. Sie biss sich auf die Lippen und drängte die Tränen zurück.
Mara, die gerade dabei war, ihren knallroten Lippenstift nachzuziehen, hielt inne und blickte von ihrem Taschenspiegel hoch. „Oh, das tut mir leid“, sagte sie und warf ihr einen mitfühlenden Blick zu, der Megs bereits angespanntem Nervenkostüm den Rest gab.
„Entschuldigen Sie mich“, murmelte Meg. Sie schnappte sich ihre Tasche und schlüpfte schnell zur Tür hinaus. Ihre Bibel blieb auf dem Tisch liegen.
Mara war nicht sicher, ob Meg nur kurz auf die Toilette gegangen war oder ob sie die Absicht hatte, nach Hause zu fahren. Armes Ding. Meg wirkte nach außen genauso ängstlich, wie Mara sich innerlich fühlte. Sie entschied sich dagegen, Meg die Bibel hinterherzutragen, denn es war ja nur gut, wenn Meg einen Grund hatte, noch einmal zurückzukommen. Um ihretwillen.
Nein, falsch. Um Maras willen. Denn falls Meg nicht zurückkam, würde Mara ganz allein an dem Tisch in der hinteren Ecke sitzen, und es gab nichts Einsameres, als allein in einem Raum voller Menschen zu sein. Das wusste sie aus Erfahrung.
Sie brach ein Stück von ihrem Rosinenbrötchen ab und kaute langsam, während sie die anderen Gruppenteilnehmer musterte. Das waren also ihre Mitreisenden. Die meisten der rund 30 zukünftigen Pilger waren Frauen. Ein paar Männer in den Zwanzigern standen vorn und plauderten angeregt miteinander. Einige Ehepaare saßen nebeneinander, klar erkennbar an ihrer zugewandten Körpersprache. Mara fragte sich, ob die Männer wohl freiwillig mitgekommen waren. Und ob die Frauen wussten, wie glücklich sie sich schätzen konnten. Oder sahen sie das als Selbstverständlichkeit?
Mara versuchte, das Gefühl der Eifersucht zu unterdrücken, das in ihr aufstieg, aber es gelang ihr nicht. Jahrelang hatte sie sich gewünscht, Tom würde auch nur einen Hauch von Interesse für geistliche Dinge zeigen. Aber je mehr sie sich darum bemühte, desto größer schien seine Ablehnung zu werden. Und so war sie allein auf dem Weg mit Gott. Immer allein.
Oh, jetzt kehrte Meg an den Tisch zurück. Sie wirkte verlegen. Mara war nicht sicher, ob sie zurückgekommen war, um ihre Bibel zu holen, oder um sich wieder hinzusetzen. Meg schien es auch nicht zu wissen. Eine Hand schwebte über der Bibel und die andere lag auf der Rücklehne des Stuhls.
„Willkommen, alle zusammen! Ich bin Katherine Rhodes“, sagte da ihre Kursleiterin.
Meg ließ sich auf ihren Stuhl sinken und drückte ihre Handtasche fest an sich.
„Ich sehe, dass einige Tische noch ein wenig unterbesetzt sind“, fuhr Katherine fort. „Vielleicht könnten einige von Ihnen sich noch an den Tisch in der hinteren Ecke setzen und ein paar andere an den Tisch hier vorn. Alle sollten mit vier bis fünf Personen besetzt sein. Und dann nehmen Sie sich ein paar Minuten Zeit, um sich vorzustellen und ein bisschen zu erklären, warum Sie hier sind.“
Mara beobachtete, wie zwei Frauen ihren Tisch ansteuerten. Eine war groß und grazil, elegant gekleidet mit einem edlen dunkellila Oberteil, schwarzen Jeans und goldenen Creolen. Sie sah aus, als wäre sie einer Modezeitschrift entstiegen – die Art von Zeitschriften, in denen die makellosen Models Mara mit ihren Tipps verspotteten, wie man seinen Mann mit sexy Unterwäsche beglückt oder mit zehn einfachen Übungen im Alltag schlank und fit bleibt. Mara bevorzugte Zeitschriften, die unvorteilhafte Fotos von Stars mit Cellulitis abbildeten.
Schon lange hatte sie jede Hoffnung aufgegeben, Tom mit irgendetwas zu beglücken oder fit zu werden. Immerhin, ihr Badezimmerschrank war vollgestopft mit faltenglättenden, collagensteigernden und antioxidativen Produkten. Sie war entschlossen, sich den einzigen körperlichen Vorzug zu erhalten, für den sie gelegentlich Komplimente erhielt: Mara hatte schöne Haut. Auch wenn sie wusste, dass das übergewichtigen Frauen gern gesagt wurde, wenn man nichts anderes Positives fand, war Maras Haut tatsächlich frisch und weich und lud zu Spekulationen darüber ein, was ihre Pflegegeheimnisse waren.
Während sie den blitzenden Diamantring und die erstklassig manikürten Fingernägel des „Covergirls“ bewunderte, schämte sich Mara plötzlich für ihre abgekauten Fingernägel. Sie ballte ihre linke Hand zur Faust, um die verräterischen Finger zu verstecken, und versuchte, nicht an die Mädchen zu denken, die ihr das Leben schwer gemacht hatten. Diese reichen, eingebildeten, voreingenommenen–
Hör auf!, befahl sie sich. Du kennst diese Frau doch gar nicht. Sie hat noch kein einziges Wort von sich gegeben, und schon verurteilst du sie.
Warum, warum, warum? Warum wurden nach all diesen Jahren immer noch dieselben Knöpfe bei ihr gedrückt? Sie wünschte, das neunjährige Mädchen, das immer noch in ihrem klimakterischen Körper steckte, würde endlich erwachsen werden.
Mara wandte den Blick von der Schönheit mit der olivfarbenen Haut ab und konzentrierte sich auf die andere Frau. Sie war etwa so groß wie sie selbst und hatte einen unauffälligen Körperbau ohne sichtbare Kurven. Nichts an ihrer Person fiel ins Auge: farblose Kleidung, kein Make-up und außer einer Halskette mit einem Kreuz kein Schmuck. Es erforderte ein gewisses Maß an Mut, ein nicht mehr ganz junges und recht durchschnittliches Gesicht so wenig zu optimieren, und Mara vermutete, dass die Frau entweder sehr selbstbewusst und total zufrieden mit sich war oder zu den wenigen Frauen gehörte, denen ihr Aussehen schlicht egal war.
Auch ihrer Frisur schien sie nicht viel Aufmerksamkeit zu widmen. Ihre kinnlangen, hellbraunen Haare waren feucht und hingen ihr strähnig ums Gesicht. Mara dachte, dass ein Stufenschnitt und ein Föhn – und vielleicht etwas Farbe und Strähnchen, um das Grau zu überdecken – wahre Wunder bei ihr bewirken würden.
Sie hatte deutlich sichtbare Falten, die sie alt machten. Ihre Stirn war die einer Denkerin. Oder einer Frau, die sich viele Sorgen machte. Vielleicht beides. Und unter ihren Augen waren deutliche Ringe der Erschöpfung. So dunkle Ringe hatte Mara noch nie gesehen. Abgesehen von der Müdigkeit lag ein wissender Blick in ihren Augen, der beunruhigend hätte sein können, wäre er nicht durch eine weiche Sanftheit abgemildert worden. Diese Augen strahlten Vertrauenswürdigkeit aus und luden zum Preisgeben von Geheimnissen ein.
Aber vielleicht bildete sich Mara das auch nur ein. Vielleicht lag es an dem Kreuz um ihren Hals, das Mara instinktiv veranlasste, ihr zu vertrauen. Dieses Kreuz war einzigartig; so etwas hatte sie noch nie gesehen. Es war aus Nägeln gearbeitet und hing an einem schwarzen Band. Fasziniert starrte sie es an.
Die Frau bemerkte ihren Blick und lächelte. Mara fand sie sympathisch. „Hallo, ich bin Hannah Shepley.“ Sie blickte auf Maras Namensschild. „Schön, Sie kennenzulernen, Mara … und Meg … und … Entschuldigung. Ihr Namensschild kann ich nicht richtig erkennen.“
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