1 ...6 7 8 10 11 12 ...17 Kopfschüttelnd ging ich ins Bad. Wahrscheinlich hatte Rose doch recht gehabt, und in meinem Gehirn war etwas zu Schaden gekommen. Das bildete ich mir alles sicherlich nur ein.
Als wir etwas später an der Westwiese ankamen, stellte Rose fest, dass ich nicht zusammen mit ihr zum Schwertkampf eingeteilt war, sondern auf der Ostwiese schießen üben sollte. Auch in meinem weiteren Wochenplan war ich zu keiner Übungseinheit mit dem Hantieren von Waffen oder Speeren eingeteilt. Auf Rose’ vielsagende Bemerkung, dass beim Erstellen meines Plans wohl jemand ziemlich genau über meine Vorlieben oder Kampftechniken Bescheid gewusst und sie auch berücksichtigt hatte, ging ich nicht ein, sondern verschwand ziemlich erleichtert über das frostüberzogene Gras nach Osten.
Es schien noch weitere Augenschöne zu geben, die auf das Bogenschießen spezialisiert waren, denn die Gruppe war ziemlich groß. Der Leiter hieß David, war neunzehn oder zwanzig und mir deutlich sympathischer als Xavier. Er hatte als Erster versucht, mir Kampftechniken beizubringen, und war dabei eindeutig zu selbstverliebt gewesen.
Ich stand allein am Rand der Gruppe und wich den neugierigen Blicken der anderen aus, während David uns begrüßte. Er teilte uns mit, dass wir die Pfeilgruppe A waren und es noch zwei weitere Gruppen B und C gab. Allerdings betonte er, dass der Buchstabe der Gruppe nichts mit dem Können seiner Mitglieder zu tun hatte.
So langsam entstand ein Bild in mir, wie die Vorbereitungen auf den Kampf abgelaufen waren und noch immer abliefen. Da niemand genau gewusst hatte, wann wir kommen würden beziehungsweise wann der Kampf beginnen sollte, hatten alle alles trainiert. Rose hatte sich über die vielen Übungen im Speerkampf und im Klettern im Südwald heftig ausgelassen und sich darüber gefreut, sich mit ihrem neuen Wochenplan endlich auf den Schwertkampf konzentrieren zu können. Verrückt, dass sie gerade diese Kampfart so toll fand.
Durch das, was ich von ihr erfahren hatte, kam ich zu dem Schluss, dass man die Augenschönen auf verschiedenste Arten vorbereitet hatte und jetzt, da die Zeit so knapp geworden war, Elitegruppen für die jeweiligen Spezialgebiete bildete.
»Ihr werdet in Teams zu zweit zusammenarbeiten, die ich nachher einteile«, erläuterte David. »Zum Aufwärmen schießt jeder zehn Pfeile auf die Scheibe, danach versucht ihr euch im Wald an speziellen Zielpunkten wie der Gabelung eines Astes oder einem Loch in einem Baum. Wer die Möglichkeit und Lust hat, kann auch versuchsweise ein kleines Tier erlegen. Passt auf, dass ihr euch nicht gegenseitig trefft, das würde Zeit kosten, die wir nicht haben. Eine halbe Stunde könnt ihr im Nordwald üben, danach versammeln wir uns noch einmal hier.« David beendete seine Anweisungen und verteilte an jeden einen Bogen und einen Köcher mit Pfeilen.
Ich meinte zu bemerken, dass er ein paar Sekunden länger als nötig dafür brauchte, mir den Bogen und die Pfeile zu geben, und dass er mich dabei wie die anderen neugierig musterte. Ich hielt den Blick auf den Boden gerichtet, während ich immer wieder heftig blinzelte, um hier bei den anderen zu bleiben und nicht in das Loch zu fallen und meinen Körper erneut der Leere zu überlassen. Was machte ich eigentlich hier, wenn es doch egal war, wo ich war, was und wie ich etwas machte? Wenn doch nichts einen wirklichen Grund zu haben schien?
»Damit ihr mit allen Mitgliedern der Gruppe vertraut werdet, werden wir manche Übungen auch zusammen machen. Ansonsten wäre es gut, wenn ihr euch mit dem jeweils zugeteilten Partner gut verstehen würdet, da ihr im Kampf höchstwahrscheinlich mit ihm zusammen kämpfen und auf seine Hilfe angewiesen sein werdet. Ridge, du arbeitest zusammen mit Malcolm. Jesahja, du mit Aria, Paul mit Henry«, begann er jeden einzuteilen.
Erstmals mit einer gewissen Aufmerksamkeit präsent, verfolgte ich, wie David einem nach dem anderen einen Partner zuwies. Doch anscheinend spielte ich mir selbst etwas vor, denn ich hatte nicht mitbekommen, wie David meinen Namen an das Mädchen, das schließlich vor mir auftauchte, weitergegeben hatte. Sie musste in etwa so alt sein wie ich, vielleicht etwas jünger. Ihre leicht gewellten hellblonden Haare waren an ihrem Hinterkopf zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden, der wippend auf Schulterhöhe endete. Sie trug eine enge schwarze Jeans und ähnliche dunkelbraun glänzende Stiefeletten wie ich. Dazu hatte sie ein dunkellilafarbenes Shirt an, über dem sie eine schwarze Lederjacke trug. Sie sah wunderschön und etwas verwegen aus.
Ihre gelben Augen blitzten unter den langen Wimpern, als sie mich mindestens genauso eingehend musterte wie ich sie. Blitzschnell schoss ihre Hand vor und griff meine. »Hallo, ich heiße Caitlin. Man spricht es K-e-itlin und nicht K-a-itlin aus. Die Schreibweise verwirrt manchmal.«
Froh über ihre offensichtliche Freundlichkeit, lächelte ich leicht. »Ich bin Lucy. Ganz normal ausgesprochen.«
»Weiß ich eigentlich schon, freut mich trotzdem. Übrigens – die schwarzen Haare sehen gut aus, obwohl ich keinen wirklichen Vergleich zu den blonden herstellen kann, da ich dich damit nur von Weitem gesehen habe.«
Ich nickte und versuchte, mir mein wachsendes Unbehagen nicht anmerken zu lassen. Es verlief ungefähr so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Meine Veränderungen waren das einzige Gesprächsthema. Und meine Meinung darüber tendierte deutlich ins Negative. Caitlins nächste Worte überraschten mich allerdings und ließen winzige Hoffnungen keimen, dass sie nicht zu den ganz Typischen gehörte.
»Allerdings vermute ich, dass du keine Lust auf öde Unterhaltungen über die Reise oder dich hast. Also schlage ich vor, dass wir uns einfach normal verhalten. Ich bin einfach Caitlin, und du bist einfach Lucy. Zwei gewöhnliche Augenschöne.«
Ich versuchte gar nicht erst, ihren Redefluss zu stoppen, der mich stark an Rose’ Redseligkeit erinnerte, sondern nickte nur hin und wieder.
Schließlich hob Caitlin ihren Bogen hoch und sah mich fragend an. »Wollen Einfach-Caitlin und Einfach-Lucy mit dem Training beginnen? Ach ja, ich bin Linkshänderin, weshalb ich beim Schießen anders dastehe. Nicht, dass du denkst, ich würde die Seiten verwechseln.«
Wieder nickte ich nur und folgte ihr, als sie sich neben zwei Jungen stellte. Wie die meisten der Gruppe hatten sie sich bereits vor einer der Zielscheiben positioniert. Ich beobachtete Caitlin, während sie einen Pfeil nach dem anderen abschoss. Sie hatte die Zunge leicht zwischen die Lippen geklemmt und die Augen konzentriert zusammengekniffen. All ihre Pfeile trafen die Zielscheibe, sogar ziemlich weit innen. Sie war gut. Nachdem sie ihre Pfeile aus der Scheibe gezogen und ihren Köcher wieder damit gefüllt hatte, stellte sie sich neben mich und sah abwartend auf meinen Bogen.
Leicht zittrig zog ich einen Pfeil hervor und legte ihn an. Es war über ein Jahr vergangen, seitdem ich das letzte Mal geschossen hatte, und es fühlte sich ungewohnt und leicht befremdlich an. Ich schloss das eine Auge, fixierte die schwarze Mitte und ließ den Pfeil surrend starten. Er flog vielleicht die Hälfte der Strecke durch die Luft, bevor er kraftlos ins Gras fiel.
»Bin aus der Übung«, rechtfertigte ich mich murmelnd und holte hastig den nächsten Pfeil hervor, ohne Caitlin anzusehen, damit sie nicht die Röte bemerkte, die meine Wangen schamvoll hinaufkroch.
Doch mit Caitlin hatte ich wirklich Glück und eine ausgezeichnete Kampfpartnerin bekommen. Sie war selbst sehr talentiert und konnte mir nützliche Verbesserungsvorschläge geben, war jedoch ganz und gar nicht eingebildet. Außerdem ließen ihre Witze meine schwach ausfallenden Leistungen nicht mehr so schlimm erscheinen.
Im Verlauf des Trainings stellte ich fest, dass meine Treffsicherheit zwar noch immer vorhanden war, mir allerdings die Kraft zu fehlen schien, die nötig war, damit der Pfeil auch weitere Distanzen überwinden konnte. Frustriert über den Mangel an Muskelstärke bemühte ich mich mehr darum, Caitlin zu helfen, als nach einer Möglichkeit zu suchen, wie ich mir selbst helfen konnte.
Читать дальше