»Kennen Sie einen Franz Gruber?«
»Oh, ja«, sagte Häckel lachend, »den kenn ich sehr wohl.«
»Franz Gruber wurde am Sonntagabend tot in seiner Wohnung aufgefunden.«
»Franz tot? Und da Sie von der Mordkommission sind, gehe ich davon aus, dass er keines natürlichen Todes gestorben ist.«
»Das ist richtig. Woher kennen Sie ihn?«
»Ich kenne ihn schon seit dem Studium.«
»Wann haben Sie ihn das letzte Mal gesehen?«
»Das war erst vergangene Woche. Er war bei mir im Büro.«
»Hier bei Ihnen?«, fragte der Kommissar erstaunt. »Warum war er hier?«
»Es ging wieder mal um Wohnungen für Asylbewerber. Er war der Meinung, dass die Kirche mehr ihrer Wohnungen kostenlos zur Verfügung stellen sollte.«
»Und Sie sind anderer Meinung?«
»Nicht unbedingt, ich war durchaus seiner Meinung, aber ich entscheide das nicht. Das entscheidet die Finanzabteilung.«
»Nicht der Bischof?«
»Natürlich hat der Bischof das letzte Wort. Deswegen war Franz ja bei mir. Ich versprach ihm, mit seiner Exzellenz zu sprechen, sobald dieser aus Rom zurückkehren würde.«
»Kannte der Bischof Franz Gruber persönlich?«
»Ja, die beiden kennen sich schon lang, aber ehrlich gesagt, sie mochten sich nicht besonders.«
»Darf ich fragen, warum?«
»Na ja, im Bezug auf die Diözese war Franz ein Stänkerer, wie man bei uns in Bayern so sagt. Seine Exzellenz und Franz Gruber trugen so manchen kirchlichen Disput aus. Franz war ein sehr streitsamer Mensch, wenn es um Angelegenheiten zwischen kirchlicher und weltlicher Verwaltung ging.«
»So, so, ein Stänkerer, also waren seine Angriffe oft unberechtigt?«
»Das kann man so nicht sagen«, sagte der Sekretär und wand sich unbehaglich auf seinem Stuhl. »Die Diözese hatte Franz, nachdem er sein Priesteramt aufgegeben hatte, nicht gerade fair behandelt. Man hatte ihm eine große Karriere innerhalb der Kirche zugetraut und hatte enttäuscht etwas überreagiert. Daraufhin wurde Franz so etwas wie der Kämpfer für die, die sich von der Kirche ungerecht behandelt fühlten.«
»Das klingt ja aufregend. Robin Hood der Exkommunizierten.«
»Na ja, vielleicht habe ich auch etwas übertrieben, aber ich mochte ihn eben. Sagen Sie, Herr Kommissar, welcher Zusammenhang mit Franz Grubers Tod führt Sie ausgerechnet zu uns?«
»Reine Routine. Übrigens, hatte er in letzter Zeit auch mal einen persönlichen Termin beim Bischof?«
»Warum fragen Sie? Er hätte tatsächlich vor drei Tagen einen Termin beim Bischof gehabt. Leider musste seine Exzellenz letzte Woche plötzlich nach Rom und ich war gezwungen, ihm abzusagen.«
»Wann kommt er denn wieder?«
»Wir erwarten ihn heute Abend zurück.«
»Schön, dann grüßen Sie ihn von mir. Vielleicht möchte ich ihn in den nächsten Tagen persönlich sprechen.«
Jetzt lachte Martin Häckel laut auf.
»Ich werde es ihm ausrichten, aber denken Sie daran, es handelt sich hier um den Erzbischof, der vermutlich auch bald Kardinal sein wird.«
»Wie meinen Sie das?«, fragte Steinböck mit treudoofem Blick.
»Sie wissen schon, wie ich das meine«, erwiderte Häckel mit arrogantem Lächeln. »Ich bitte Sie, mich jetzt zu entschuldigen.« Mit diesen Worten stand er auf, öffnete die Tür und wies Steinböck mit offener Hand den Weg nach draußen.
Im Gang angekommen, drehte sich der Kommissar noch einmal um. »Eine Frage noch. Kennen Sie das fliegende Spaghettimonster?«
Häckel sah ihn verdutzt an. »Das fliegende Spaghettimonster?«, fragte er.
Steinböck versuchte, ernst zu blicken, und nickte bejahend.
»Nein, noch nie davon gehört«, antwortete Martin Häckel verständnislos.
*
Nachdem bis zum Nachmittag weder Ilona Hasleitner noch Emil Mayer besonders erfolgreich gewesen waren, beschloss Steinböck, früher nach Hause zu gehen. Unterwegs besorgte er sich eine Flasche schottischen Single Malt und bei Aldi Katzenfutter und ein Rumpsteak. Ihm war klar, dass sich die Katze wieder über die CO2-Bilanz des argentinischen Rindfleisches mokieren würde, aber ehrlich gesagt war ihm das heute scheißegal. Auch Ilona war nicht besonders gut auf ihn zu sprechen, nachdem sie bereits an die 2.000 Bücher erfolglos durchgeblättert hatte. Immerhin war sie in einer Sonderausgabe von »Krieg und Frieden« auf einen 1000-DM-Schein gestoßen. Sie war sich jedoch sicher, dass sie morgen Vormittag fertig würde. Bei Emils Recherchen über Grubers geheimnisvollen Erbonkel versprach ihm ein Hamburger Kollege, am nächsten Tag dessen langjährige Haushälterin, die in einem Seniorenheim lebte, aufzusuchen.
Zuerst öffnete er der Katze eine Dose »Fisch und Karotte«, und nachdem Steinböck sich ein Weißbier eingeschenkt hatte, haute er sich das Steak in die Pfanne, das er mit zwei Spiegeleiern garnierte. Um sein Gewissen zu beruhigen, schnitt er in den restlichen Salat vom Vortag noch eine Tomate hinein und machte es sich dann im Wintergarten bequem. Frau Merkel kontrollierte natürlich die Verpackung des Steaks, beließ es aber bei einem abfälligen Blick und machte sich dann über ihr Futter her.
Nach dem, wie Steinböck überzeugt war, ausgezeichneten Abendessen räumte er den Teller in die Küche, lümmelte sich in seinen Korbstuhl, fischte seinen »Schwarzer Krauser« aus der Sakkotasche und drehte sich eine Zigarette. Die Katze sprang auf den Tisch und begann sich zu putzen, ohne dabei Steinböck aus den Augen zu lassen.
Nachdem er sich die zweite Zigarette gedreht hatte, wurde es der Katze zu bunt.
»Wolltest du heute Abend nicht etwas googeln?«, fragte sie schließlich.
»Du meinst, über das fliegende Spaghettimonster?«, fragte er und öffnete den Laptop. Die Katze setzte sich dicht neben den aufgeklappten Bildschirm, und die nächste halbe Stunde surften sie durch die Geschichte der Pastafari und des fliegenden Spaghettimonsters. Und dieses Mal drängte ihn Frau Merkel auch nicht, sich zu beeilen, wenn er etwas zu lang auf einer Seite blieb. Schließlich klappte Steinböck den Deckel zu.
»Woher wusstest du das mit den Fleischbällchen und den Stielaugen?«
»Woher ich das wusste? Ich bin doch nicht blind. Schließlich haben wir uns doch lange Zeit unterhalten.«
»Und worüber habt ihr euch unterhalten?«
»Na ja, über Gott und die Welt.«
»Welchen Gott? Über seine ›Nudligkeit‹ oder dessen Sohn Jesus?«, fragte Steinböck grinsend.
»Dein Sarkasmus ist überflüssig. Wenn du so schlau bist, dann kannst du dir ja die eine Million Dollar verdienen.«
»Welche Million?«
»Ich dachte mir doch, dass du nur so getan hast, als wenn du lesen könntest. Aber ich wiederhole es gerne noch einmal für dich. Die Pastafari sind bereit, jedem, der in der Lage ist, den empirischen Beweis zu erbringen, dass Jesus nicht der Sohn des fliegenden Spaghettimonsters ist, eine Million Dollar zu zahlen.«
»Und darüber habt ihr euch unterhalten?«
»Quatsch, in erster Linie haben wir über dich gesprochen.«
»Über mich?«
»Na ja, ich habe mit seiner Nudligkeit über unsere Beziehung gesprochen. Und sie war der Meinung, ich sollte etwas netter zu dir sein und mich an das dritte Gebot halten.«
»Welches dritte Gebot?«
»Ich zitiere aus dem Kopf: ›Mir wär’s wirklich lieber, Du würdest nicht Leute wegen ihres Aussehens beurteilen oder danach, was für Klamotten sie anziehen oder wie sie reden oder wie auch immer – sei einfach nett, okay?‹«
»Schluss jetzt, es reicht«, rief Steinböck, packte die Katze unter dem Bauch und schleppte sie vor die Tür.
Den restlichen Abend verbrachte er mit der Flasche Single Malt vor dem Fernseher. Pünktlich zu Beginn von Steinböck und Frau Merkels Lieblingsserie »Jesse Stone« erschien auch die Katze wieder. Für Außenstehende kaum vorstellbar, wie die beiden einträchtig miteinander auf dem Sofa lagen. Synchron zu Tom Sellek füllte und leerte Steinböck sein Whiskyglas. Dumm, dass an diesem Abend auf ZDF Neo eine Doppelfolge gesendet wurde. So schaffte er es, mehr als ein Drittel der Flasche zu leeren, das wiederum bei ihm unweigerlich zu Träumen von leicht bekleideten Frauen führte. Diesmal war es Sabine Husup, die, nur mit einer Gardine bekleidet, versuchte, von Frau Merkel und dem fliegenden Spaghettimonster, Fotos zu machen. Dabei sprang sie wild wie Pumuckl auf und ab und näherte sich den beiden, die auf einer Mülltonne saßen. Plötzlich schleuderte seine Nudligkeit ihre Spaghetti wie Tentakeln hinaus, packte die leicht bekleidete Reporterin und schlang sie hinunter. Dann ein lauter Rülpser. Das Smartphone und die Harry-Potter-Brille wurden hinausgeschleudert und fielen krachend zu Boden.
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