Der Törn um die Welt war sein Jugendtraum. »Er sprach schon davon, als wir uns kennenlernten.« Langsam habe auch sie sich mit dem Plan angefreundet. Zuerst segelten sie an der Baie de Beauport bei Quebec mit einer Jolle, später mit einer 8-Meter-Slup auf dem St. Lawrence River. Die stählerne Happy Day war auf einer Werft nach ihren Vorstellungen gebaut worden. Das Revier um die Prince Edward Island sei jahrelang ihr Lieblingsrevier gewesen. Die vielen Buchten und kleinen Häfen und all die Inseln rundherum, »really beautiful!« Sie strahlte. »Wenn ich zurückkomme, werde ich mich dort niederlassen, mit der Happy Day vor der Türe.«
Wie sie das aushalte allein auf dem Boot, mit all den Erinnerungen an die gemeinsame Zeit, wollten wir wissen. »Am Anfang, als ich nach La Rochelle zum Schiff zurückkam und mich alleine einrichten musste, war das extrem schwer. Da hab’ ich mich oft unter Tränen gefragt, ob ich das wirklich schaffe, ja, ob ich das wirklich will. Aber ich hatte es ihm am Krankenbett versprochen, seine Augen leuchteten so dankbar, er hat mir geglaubt. Ich muss mein Versprechen einlösen«, sagte sie und wirkte dabei ganz cool.
Es gefiel uns, dass Emilye nicht auf die Idee kam, dem Schicksal Vorwürfe zu machen, sie stellte sich einfach ganz selbstverständlich der Herausforderung. »Ich durfte keine Schwäche zeigen«, sagte sie »und habe deshalb keine Emotionen zugelassen. Ich konnte den Freunden, die mich bedauerten und mir ihre Ratschläge mitgaben, nicht zeigen, wie es wirklich um mich stand. Innerlich war ich natürlich schon bereit, in die Arme genommen zu werden. In solchen Situationen sucht man eine starke Schulter zum Anlehnen. Aber das konnte und durfte nicht sein.«
Emilye ließ den Kopf nicht hängen und lernte eine »Lass-dich-nicht-unterkriegen-Person« zu werden. »Mein Motto war …«, lächelte sie leise: »… was mich nicht umbringt, macht mich stärker.« Nur nicht in eine Depression abrutschen, habe sie sich wie ein Mantra immer wieder in Erinnerung gerufen.
Angst spiele schon auch eine Rolle. Nicht die Angst vor dem Meer, damit würde sie klar kommen – sondern Angst vor den Gefahren in den Häfen, die sie unterwegs immer wieder anlaufen würde. Der Umgang mit Menschen in den meist männerdominierten Ländern, dem Orient, dem fernen Osten, den fremden Religionen, den anderen Kulturen. Sie habe sich deshalb eine sichtbare Portion Selbstbewusstsein zugelegt, um so als kalt wahrgenommen zu werden. »Selbstbewusstsein als Schutzschild, damit werde ich es schaffen.« Davon war sie fest überzeugt.
Ob sie nicht daran gedacht habe, eine Freundin oder einen Partner, aufs Boot zu holen, mit der oder dem zusammen es ihr leichter gefallen wäre, ihr Versprechen Frank gegenüber, einzulösen. »Nein«, sie schüttelte den Kopf, »daran habe ich nie gedacht. Diese Reise mache ich alleine für ihn und für mich. Da hat niemand anderes etwas mit zu tun!«
Sie sehe schon ein, sagte sie ein anderes Mal, dass sie nicht übers Ziel hinausschießen und sich in ihrer Verpflichtung und in ihrem Unabhängigkeitsstreben nicht verrennen dürfe, das hätte Frank auch nicht gewollt. »Aber ich habe ein Versprechen gegeben und das werde ich einlösen. Ich bin nicht sehr gläubig, doch ich spüre eine Kraft in mir, die mir helfen wird, diese Aufgabe zu schaffen.«
Beim Abschied auf der Pier drückte sie uns einen Zettel in die Hand. Als die Happy Day hinter der Mole verschwunden war und wir nur noch die Mastspitze im leichten Schwell hin- und herschaukeln sahen, schauten wir auf den Zettel und lasen diese Zeilen aus einem uns unbekannten Gedicht:
Starke Frauen weinen nicht / Man kann sie nicht verletzen / Sie werden Tränen im Gesicht / durch Entschlossenheit ersetzen.
Starke Frauen weinen nicht …
10. Hunter
Sie hieß Caroline, er Hunter. Ich traf sie in der Marina Porto d‘Andratx auf Mallorca. Es war der erste Regentag seit Mai, die Wolken hingen tief über der Bucht, es tropfte und alles war klamm. Die rote Flagge mit dem kanadischen Ahornblatt hing schlaff und nass am Achterstag. Niemand war zu sehen. Kaum hatte ich die Leinen belegt, verzog ich mich unter Deck und kochte Tee.
Am nächsten Morgen weckte mich strahlender Sonnenschein. Frühstück an Deck, anschließend Anmelden im Marinabüro. Ich wollte eine Woche bleiben, bis das Päckchen mit dem Ersatzteil für die Heizung eingetroffen war. Dann wollte ich noch ein wenig in den Herbst hinein segeln und die hoffentlich letzten Sonnentage genießen. Und vor allem in dem noch sommerwarmen Meer in den Buchten baden.
Vor mir am Büro-Tresen stand ein kleiner Mann, der ein sehr melodiös klingendes Englisch sprach, das in deutlichem Gegensatz zu seinem Äußeren stand. Sein ehemals dunkelblauer Sweater war ausgebleicht und hing schlapp von seinen Schultern über seiner ausgewaschenen grauen Hose, die mit einem Gummiband um den Bauch gehalten wurde. Die Slipper an seinen nackten Füßen waren früher wohl mal weiß gewesen, jetzt sahen sie mehr nach dem Ende eines langen Slipperlebens aus. Sein Haar war kurz geschnitten, sein faltiges Gesicht unrasiert, der den Hals umschließende Hemdkragen krumpelig und verschlissen. Das Gesicht war im Gegensatz zum übrigen Erscheinungsbild hell und erstaunlich frisch.
»I need your help«, sprach er zu dem Mädchen hinter dem Tresen. Er könne heute die Liegegebühren noch nicht bezahlen, aber morgen, ganz sicher, er erwarte eine Überweisung aus Postville in Canada. Das Mädchen blickte mit großen Augen von einem Formular auf, das vor ihr lag und sagte in einem in spanischem Stakkato perlendem Englisch: »Yes Sir, but we wait already since three weeks« – sie würden jetzt schon seit drei Wochen darauf warten.
Der kleine Mann drehte sich nach mir um, sah mir kurz in die Augen und schüttelte seinen Kopf. Was sind die ungeduldig hier, meinte er und wandte sich wieder der hübschen Marina-Angestellten zu. Nur einen Tag noch, dann werde er bezahlen. »Please, believe me.«
Er verließ das Büro und schlurfte über den gefliesten Boden. Ich sah ihm nach und beobachtete, wie er zu unserem Steg lief und in dem vor uns festgemachten Boot mit der kanadischen Flagge verschwand. Ich füllte unseren Liegeplatz-Antrag aus und zahlte die Gebühr im Voraus. Dann ging ich zu unserem Boot zurück.
Als ich über die Reling stieg, tauchte der Mann im Cockpit der kleinen Yacht auf. Er hatte eine geöffnete Dose in der Hand und in der anderen einen Futternapf. Eine rotbraune Katze und eine tiefschwarze kamen hinter ihm her und stürzten sich auf den Napf, den der Mann im Cockpit abgestellt und in den er den Inhalt der Dose entleert hatte. Er beobachtete, wie die beiden Katzen, sich gegenseitig vom Napf wegdrängend, die Fleischklößchen gierig verschlangen. Dazu schnurrte er seltsame Laute, wie um die Katzen bei ihrer Fressorgie akustisch zu begleiten.
Als er kurz aufblickte, sah er mich und nickte. Ich rief hinüber, dass ich das spannend fände, wie die Katzen sich über die Mahlzeit hermachten. Ja, meinte er, die zwei hätten sie in Palma halbverhungert aufgegriffen. Ob ich Katzen möge? Er heiße übrigens Hunter und seine Freundin, die noch schliefe, sei Caroline. Nach vier Jahren Mittelmeer seien sie auf dem Weg zurück nach Canada. In ein, zwei Wochen würden sie aufbrechen, wenn bis dahin die Route über den Atlantik im November sturmfrei sei.
Ich sagte, ich sei jetzt alleine auf meinem Boot, meine Freundin sei zu ihrer kranken Mutter nach Hause gereist. Ich bliebe im Winter hier auf der Insel, wolle aber noch ein wenig den Herbst genießen. Damit war unser Gespräch beendet. Er verschwand unter Deck. Ich prüfte meine Leinen, setzte mich ins Cockpit und überlegte, welche Arbeit am Boot für heute vorgesehen war.
Читать дальше