„Ich dachte, weil das Geschäft nicht mehr so gut läuft und Ihr Euch zur Ruhe setzen wollt, weil Ihr zu alt seid?“
„Damit kannst du ihm doch nicht kommen, Tischlergesell’! Der Hans meint, noch jung zu sein, auch wenn bei jeder Bewegung die Gelenke knacken, als müssten sie gleich bersten. Im Übrigen laufen seine Geschäfte so gut wie eh und je.“ Schmunzelnd tritt der Mathis Arnold an die zwei heran. Er ist in Ruprechts Alter, hat aber schon Weib und Kind. Als Hufschmied verfügt er an der Westseite des Rossmarktes über einen nur allzu günstigen Standort für sein Geschäft. Wenngleich recht jung an Jahren, hat er als Meister in seinem Handwerk einen guten Ruf und wie es heißt, soll er demnächst gar als der jüngste Ratsherr seit Menschengedenken ein gewichtiges Wörtchen in der Stadt mitreden. Trotzdem ist er als umgänglicher Mensch allgemein sehr beliebt und keine Hoffart ist ihm nachzusagen.
„Verzeiht, wenn ich mich einmische, während ihr vertraut plaudert. Aber ich hörte, dass der Herr von Pirne alt genannt wurde, was ja wohl überhaupt nicht sein kann. Derer von Pirne sind immer in den besten Jahren, auch wenn sie mit schlohweißen Haaren nicht mehr die Treppe herabkommen, so wie seinerzeit der Vogt im Hohen Turm.“
Jedem anderen hätte der Alte die Lästerei wohl verübelt, nicht aber dem jungen Schmiedemeister. „Lass mir meine Ahnen in Ruhe, du Lästermaul. Wenn der Vogt damals hätte die Treppe hinuntergekonnt, er hätte deinem Ahnen fürderhin das Schmieden verboten, denn der hat sicher des Teufels Fuß beschlagen.“
Die beiden Männer lachen lauthals über ihren Scherz, während Ruprecht still den Disput der zwei verfolgt. So sieht also Erfolg aus: der Alte hat einen guten Handel betrieben, der eine große Familie zu ernähren vermochte, während der Junge nach denkbar kurzer Gesellenzeit schon den Meisterbrief erwarb und den Betrieb des Vaters übernahm. Was aber hat er selbst vorzuweisen? Der Vater übergibt die Tischlerei an den Zweitgeborenen, weil er selbst als der eigentliche Erbe nicht für das Handwerk taugt! Wofür ist er überhaupt gut auf dieser Welt?
„Hier sind wir, Ruprecht, hier! Nimmst du uns überhaupt wahr oder träumst du derweil von lockeren Jungfern?!“ Erschrocken blickt Ruprecht auf seinen Freund Mathis, der ihn am Ärmel zupft. „Bist du jetzt wieder da? Was lässt dich denn ringsum die Welt vergessen?“
Verlegen wischt sich Ruprecht die Nase. „Was ist es verwunderlich, dass die Gedanken abschweifen. Als Handwerksmeister komme ich nicht in Frage, denn ich scheine das Missgeschick gepachtet zu haben. Was auch immer ich beginne, es endet für mich in einer Katastrophe. Gestern habe ich mich fast mit einem Stemmeisen erstochen! Jetzt will mein Vater die Tischlerei an den Paul übergeben und ich soll Stadtschreiber werden.“
Überrascht blickt Hans von Pirne auf. „Nanu, Ruprecht, woher weiß dein Vater, dass wir einen neuen Stadtschreiber suchen wollen? Wir sind uns im Rat noch gar nicht einig darüber geworden. Da muss einer von den Ratsherren geschwätzt haben!“
„Was weiß ich, ob da einer geschwätzt hat. Aber mein künftiger Herr Schwiegervater will mich gern auf dieser Stelle sehen und da muss er mir gegenüber etwas verlauten lassen, nicht wahr?“
„Da magst du recht haben. Wessen Tochter willst du zum Weib nehmen?“
Ruprecht zuckt mit den Schultern. „So fragt man Leute aus. Ihr werdet es schon rechtzeitig merken. Wichtiger scheint mir, dass Ihr als Ratsherr meine Bewerbung unterstützt. Ich glaube, ich kann dabei jede Unterstützung gebrauchen.“
Der Schmied schlägt dem verhinderten Tischler betont sachte auf die Schulter. „Also eines muss ich sagen: Dein Vater hat unbedingt recht. Du wirst nie ein guter Meister sein können. Bei jedem Stück, welches du anfängst, brauchst du einen Medikus, der dich wieder zusammenflickt. Hast du überhaupt schon ein Möbelstück fertiggestellt, wo nicht dein Blut dran klebt?“
Wütend will Ruprecht das Weite suchen, denn das Gesagte ist ein wenig arg übertrieben. Mathis jedoch hält ihn zurück. „Sei nicht gleich beleidigt, ich habe nicht gesagt, dass du Schund herstellst. Das wäre gelogen. Und dass du dich oft verletzt, ist nicht zu leugnen. Aber Schreiben und Rechnen kannst du viel besser als jeder andere in der Stadt, weswegen es nur recht und billig ist, dich zum Schreiber zu machen. Wie mir zu Ohren kam, versuchst du dich sogar beim Herrn Pfarrer im Latein. Herr von Pirne, Ihr solltet unbedingt für den Ruprecht Prescher im Rat eintreten. Vielleicht wäre das erholsam für das Stadtsäckel, wenn Ruprechts Gewissenhaftigkeit und die Steuerrechnung aufeinanderträfen?“
Der alte Leinenhändler blickt pfiffig auf die beiden Freunde. „Geschickt stellt ihr beiden es an, andere für eure Ziele einzuspannen. War das von vornherein so geplant oder hat sich dieses Geplänkel tatsächlich so ergeben? Aber wie dem auch sei, die Idee scheint mir von Vorteil für die Stadt und ich werde sie sofort dem Herrn Bürgermeister vortragen, zumal ich ohnehin auf dem Weg zu ihm bin. Gänzlich ungeeignet erscheint mir der Prescher-Junge nicht. Mit Worten weiß er umzugehen und als Schreiber hat er das Interesse der Stadt in fremden Mauern zu vertreten. Ich will es also vortragen, nur versprechen will und kann ich nichts.“
Überschwänglich ist Ruprecht versucht, dem Alten zu danken, doch der winkt energisch ab und wendet sich betont eilig der Gasse „Im kleinen Sessel“ zu, die ihn zum Holzmarkt führt und dann weiter zum Markt mit dem Rathaus.
Mathis schmunzelt seinen Freund an. „So haben sich dein Vater und dein künftiger Schwiegervater den Werdegang vermutlich nicht vorgestellt. Nun ist denen gewissermaßen das Zepter des Handelns aus der Hand genommen. Der Hans von Pirne ist der verkörperte Tatendrang. Oh, die langen Gesichter der beiden hätte ich gern gesehen.“
Ruprecht knufft ihn in die Seite. „Als Schmied bist du gut, als Hufschmied noch besser, aber am besten verstehst du dich offenbar auf das Ränkeschmieden. Wenn ich nun lieber im Kontor des Kupferschmiedehammers vor der Stadt arbeiten würde?“
„Erzähle doch nichts! Schon auf dem Weg dahin würdest du dir in der Klostergasse das Bein brechen, so ein Pechvogel wie du einer bist. Genug davon, komm mit zu mir in meine Schmiede. Ich bin gerade beim Umbau und könnte dein kluges Köpfchen gebrauchen. Außerdem wartet dort ein Krug kühlen Bieres auf uns, den du sicher nicht verschmähen wirst.“
Die Glocke von Sankt Jacobi dröhnt vom Markt herüber und der Klang sagt den Leuten in der Gasse, die da „Im Sessel nach dem Rossmarkt“ genannt wird, dass die Mittagsstunde gekommen ist. Eilig verabschiedet sich Ruprecht vom Hufschmied und bedankt sich artig bei dessen Weib für das Bier. Schnellen Schrittes quert er den Rossmarkt und nimmt bei Jocuff Hillebrands Anwesen den Durchgang zur Langgasse, die direkt zum elterlichen Haus führt.
Schon von Weitem gewahrt er den Auflauf im hinteren Teil der Häuserreihe. Die Nachbarn haben sich vor dem Prescherchen Anwesen eingefunden und bemerken in ihrer eifrigen Debatte nicht, dass er sich nähert. Verwunderung klingt aus ihren Worten, wenn nicht vielleicht Unverständnis.
„Darf ich bitte vorbei?“ Fast bleibt Ruprechts Wunsch ungehört, da wird die Roselerin seiner gewahr. Gleich einer Fanfare tönt ihre Stimme über die Vielzahl eifriger Wortmeldungen der Anwohnerinnen und natürlich auch einiger Männer aus der Nachbarschaft, deren Inhalt und Sinn sich Ruprecht nicht erschließen.
„Da ist er ja endlich, der Ruprecht! Junge, was hast du angestellt? Schon zweimal war der Bote vom Rat hier, um dich zum Bürgermeister zu holen! Zweimal! Es scheint also wirklich von Wichtigkeit zu sein und ausgerechnet da bist du nicht zu Hause! Sag schon, was dir passiert ist, du Unglücksrabe? Du weißt, was mein Mann mit dir vorhatte! Hoffentlich hast du es nicht verdorben!“
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