1 ...8 9 10 12 13 14 ...27 Tief atmet der Vater ein. „Deine Stelle als Stadtschreiber ist der erste Schritt, mein Sohn, denn bevor überhaupt die Eheschließung angebahnt wird, muss klar sein, wovon du deine Familie ernährst. Sobald du eingestellt bist, wird das Aufgebot bestellt.“
„Und wenn ich die Stelle nicht bekomme, dann wird es nichts mit der Hochzeit?“
„Erzähle doch nichts, der Roseler hat seine Hand darauf gegeben, dass es klappt.“ Entschlossen klopft der Vater mit den Knöcheln auf den Tisch, als könne er damit den Plan zum Fakt erheben.
„Na, das lass ich mir gefallen!“, tönt es in diesem Augenblick vom Weidenrutenzaun herüber. „Erst habe ich gedacht, ihr säßet zum gemeinsamen Frühstück, aber nun scheint es mir eher wie zum Reichstag in der Kaiserpfalz.“ An der Pforte zeigt sich die gebeugte Gestalt Mutter Mechthilds. „Darf ich mich zu euch wagen oder störe ich gar zu sehr?“
Mit staunenden Augen erwidert die Hausherrin: „Komm nur heran, Muhme. Nur selten führt dich dein Weg in die Stadt und nun kommst du gleich zweimal so kurz hintereinander? Das wird doch nichts Schlimmes zu bedeuten haben, hoffe ich.“
Schwer atmend kommt die Alte näher. „Ach was, ich will nur nach dem Ruprecht sehen und ein wenig mit euch schwatzen. Das hatte ich eigentlich gestern Abend schon vor, aber du warst nicht zu Hause, Magdalena.“
„Mein Weib darf doch auch einmal ausgehen“, mischt sich Hans ein. Ihm ist die Tante der Hausherrin immer etwas unheimlich und die Fähigkeiten, die ihm bei seiner Frau so gut gefallen, machen ihm bei der Alten eher Angst.
„Keine Bange, lieber Hans, ich werde nicht lange bleiben. Aber meine Neugier musst du schon erst stillen und mein Geschwätz ertragen.“ Ein hohles Kichern folgt den durchaus nicht witzig gemeinten Worten. Leise ächzend lässt sie sich auf dem angebotenen Hocker nieder. „Ihr habt es euch hier recht gemütlich gemacht“, meint sie und beäugt aufmerksam das Umfeld. „Es ist der richtige Platz, um sich über die alten Zeiten und die Zukunft auszutauschen. Oder was meinst du, Magdalena?“
Die aber weist das Ansinnen energisch zurück. „Das werden wir auf gar keinen Fall tun, Mutter Mechthild, denn das ist nichts für gespitzte Ohren neugieriger Töchter, welche die Zusammenhänge noch gar nicht zu erfassen vermögen. Du wirst uns also erst in aller Ruhe essen lassen und dann werden die Mädchen davonziehen.“
Wütend klopft die Alte mit den Knöcheln auf die Tischplatte. „Ich weiß nicht, was du dir davon versprichst, Magdalena, aber du kannst deine Töchter nicht davor bewahren, dem Ruf ihrer Bestimmung zu folgen. Seit alters her sind die Weiber unserer Linie berufen, als weise Frauen dem Volk zur Seite zu stehen.“
„Schweig endlich, Alte!“ Mit zorngerötetem Gesicht herrscht der Tischlermeister das Kräuterweib an. „Die Lena hat ausdrücklich gesagt, dass wir reden können, sobald die Jungfern fort sind. Was setzt du ihnen dann jetzt dieses vergorene Zeug sündhaften Geredes vor?! Willst du, dass sie in Flammen vergehen, weil sie ein falsches Wort verloren?!“
Harten Blickes bringt ihn Mechthild zum Schweigen. „Den richtigen Augenblick für die Eröffnung solchen Wissens gibt es nicht, Hans. Außerdem müssen die Jungfern spätestens jetzt erlernen, mit den Kräutern und Wurzeln umzugehen. Wenn man zu spät mit dem Lernen beginnt, dann bleibt nur Stückwerk haften und das kann zu großem Schaden führen.“
Der von Zweifeln gefüllte Vater winkt wenig befriedigt ab. „Ich weiß nicht, warum du das tust und was du letztendlich bezweckst, aber es gefällt mir nicht, dass du meine zwei Töchter und meinen ältesten Sohn für dich beanspruchst. Was ist bei den Dreien anders als bei Paul, der dich glücklicherweise gar nicht kümmert?“
Magdalena, die bleich und leeren Blickes der Auseinandersetzung gefolgt ist, nimmt jetzt wieder die Umwelt wahr und mischt sich ins Gespräch. „Da es nun einmal gesagt ist, können Lisa und Hannel auch den Rest unseres Geheimnisses erfahren: Die Muhme Mechthild hat es ganz richtig gesagt, ich stamme in direkter Linie von den weisen Frauen unseres Volkes ab, so wie die Mutter Mechthild auch oder vor Jahrhunderten eben die Mutter Hildburga. Wir erben unser Wissen von unseren Müttern und geben es an unsere Töchter weiter. So steht uns von Kindesbeinen an Wissen zur Verfügung, das andere Menschen nie erlangen können. Wir müssen nur lernen, dieses Wissen wahrzunehmen und richtig zu gebrauchen. All dies ist natürlich den Leuten um uns unbegreiflich und so vermeinen sie oftmals, Hexerei zu erleben. Darum verbergen wir größtenteils unsere Gabe, vor allem vor der Kirche, obwohl wir gute Christen sind.“
Johanna, die bislang eher ehrfurchtsvoll dem Gespräch gefolgt ist, blickt mit großen, runden Augen auf die Mutter. „Was denn, bin ich etwa eine Hexe? Aber ich will niemandem etwas Böses antun und wenn ich schon einmal unartig bin, dann nicht aus Bosheit! Nie und nimmer will ich eine Hexe sein!“
Ängstlich umfängt das Mädchen den Leib seiner Mutter und presst sich an sie. Diese aber fährt ihm tröstend über das Haar. „Natürlich bist du keine Hexe und du wirst niemals eine sein. Du bist auch nicht bös, sondern höchstens einmal ungezogen, so wie alle anderen Kinder. Aber du, deine Schwester und ich, wir haben altes Wissen unseres Volkes zu bewahren, vor dem andere Menschen vielleicht Angst haben, weil sie glauben, wir könnten mit diesem Wissen Macht über sie gewinnen. Deshalb soll von unserem Wissen nie jemand je erfahren, der nicht zu unserem Kreis gehört, noch nicht einmal unsere Nachbarn – auch nicht die Martha. Einzig, dass wir etwas von Kräutern und Wurzeln verstehen, das dürfen sie, denn dieses Wissen ist auch anderen Leuten gegeben.“
„Ich habe aber nie bemerkt, dass ich mehr wüsste als andere“, wendet Elisabeth ein. Irgendwie erscheint ihr das Gespräch sehr unwirklich, eher wie ein seltsamer Traum und sie meint, gleich aufwachen zu müssen. Mutter Mechthild nickt ihr zu. „Das will ich dir gern glauben, denn all dein Denken und Tun ist dir selbstverständlich. Aber hast du nicht immer schon vorher gewusst, wenn die Chemnitz über die Ufer tritt, wenn im Juni der Hagelschlag die Ernte vernichten würde? Diese Gabe bleibt deinen Nachbarn vorenthalten. Wenn mich nicht alles täuscht, hast du sogar der Bertha, dem Weib vom Steinmetz Meier den Schmerz aus dem Kreuz genommen, als sie nicht mehr allein vom Brunnen hochkam. Glaubst du, das hätte die Elsa Lexmer gekonnt, die deine Freundin ist? Es wird höchste Zeit, dass ihr erlernt, mit diesen Gaben umzugehen, damit ihr nämlich keinen Schaden anrichtet.“
Paul hat aufmerksam die Belehrung verfolgt und ohne es zu bemerken, sucht er mit dem kleinen Finger in der Nase ein störendes Kribbeln zu beseitigen. Dabei bemerkt er nachdenklich: „Bislang dachte ich immer, die Kenntnis der Herkunft unseres Volkes sei das Geheimnis unserer Familie und ich war sehr stolz, zu diesem illustren Kreis zu gehören. Nun aber wird mir offenbart, dass vielmehr die Weiber unserer Familie das Besondere sind und ich mehr oder weniger der Kehricht der Familie bin. Das schmeckt mir so gut wie Bitterkraut.“
„Quatsch nicht solchen Unsinn!“, begehrt der Vater auf. „Weder du noch ich sind hier Kehricht. Wir sind als Schutz den weisen Frauen zur Seite gegeben und das ist Ehre wie Verantwortung genug. Du wirst darauf achten, dass deine Schwestern auch dann nicht verderben, wenn sie selbst eine Familie haben und deren Männer vielleicht nicht stark genug sind, ihre Weiber zu beschützen. Unklar ist mir nur, welche Rolle deiner Meinung nach unser Ruprecht spielt. Sag es uns, Mutter Mechthild.“
Die Alte zupft sich verlegen am Ohr. „Nun ja, ganz sicher bin ich mir da noch immer nicht. Aber seit seiner Geburt sehe ich immer wieder Hinweise, dass er der Wiedergänger ist. Die Hildburga hat seinerzeit in Rudolf, dem Bauerngeneral, eine Sicherung zur Wahrung unseres Wissens hinzugefügt, weil sie den christlichen Priestern nicht so recht über den Weg traute. Alle paar Generationen erscheint er nun in neuer Gestalt und prüft, ob das Wissen noch vorhanden ist, welches uns mitgegeben wurde. Gleiches tut die alte Hildburga auch selbst und mir wurde nachgesagt, dass ich deren Inkarnation sei. Wenn es so wäre, bedeutete dies aber, dass heute die Gefahr besonders groß ist, alles Wissen zu verlieren.“
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