Hannah blickte in schmale Wolfsaugen, die gelb aufleuchteten, sobald ein Lichtschein auf sie fiel. Sie glühten in hageren, sehr dunklen Gesichtern unter dichten, schwarzen Augenbrauen. Auch die schulterlangen Haare waren tiefschwarz und drahtig wie eine Mähne. Abgesehen von den wilden Augen, war es aber die Mund- und Nasenpartie dieser Wesen, die ihnen ein ganz und gar unmenschliches Aussehen verlieh. Sie war stark ausgeprägt, und als einer von ihnen die schmalen Lippen zu einem fiesen Lächeln verzog, konnte Hannah ein Gebiss aufleuchten sehen, das jedem Raubtier Ehre gemacht hätte.
Fassungslos schüttelte Hannah den Kopf.
»Nein, bitte nicht! Lass es bitte nicht wahr sein!«
Doch die Fremden hatten sie bereits eng umkreist und Hannah hegte keinen Zweifel mehr an ihren Absichten. Ihre Hand, die den Schlüssel umklammert hielt, verkrampfte sich, während sich die Welt vor ihren Augen zu drehen begann. Sie spürte ein Knacken in den Ohren und der Boden unter ihren Füßen begann zu beben. Verzweifelt schnappte sie nach Luft. Sie durfte jetzt auf keinen Fall das Bewusstsein verlieren!
Etwas wie ein schwarz glühender Blitz schlug direkt hinter einem der Angreifer in den Boden ein und Hannah zuckte entsetzt zurück.
Noch bevor sie verstehen konnte, was das alles zu bedeuten hatte, erschien plötzlich eine weitere finstere, riesenhafte Gestalt wie aus dem Nichts. Sie hielt ein Schwert in der Hand.
Hannah sah die Waffe silbern aufblitzen – und einer ihrer drei Angreifer sackte lautlos in sich zusammen.
Viel schneller als es ihre Augen erfassen konnten, wirbelten die beiden anderen Fremden zu dem Neuankömmling herum. Sie hielten plötzlich ebenfalls Waffen in den Händen. Es handelte sich dabei um etwas kürzere, dolchartige Klingen, die sie mit unglaublicher Geschwindigkeit einsetzten.
Der Kampf, der nun zwischen dem Neuankömmling und Hannahs beiden verbliebenen Angreifern entbrannte, lief so rasant ab, dass sie ihm nicht folgen konnte. Ihre Augen begannen zu tränen, als sie versuchte, die unmenschlich schnelle Folge aus Tritten und Sprüngen wahrzunehmen. Es wirkte wie ein wilder, wirbelnder, absolut tödlicher Tanz.
Hannah wusste nicht, wie lange sie das unglaubliche Geschehen verfolgte, bis sie bemerkte, dass der später aufgetauchte Fremde ganz allmählich zurückwich und seine beiden Gegner dabei Schritt für Schritt aus ihrer unmittelbaren Nähe hinausmanövrierte.
Völlig hilflos stand sie da und beobachtete diese tödliche Auseinandersetzung, als sie den Blick ihres Verteidigers auffing. Sie sah glühende Augen unter finster zusammengezogenen Brauen. Eine heisere Stimme ertönte.
»Mach, dass du wegkommst, Mädchen! Ich kann sie vielleicht nicht länger aufhalten.«
Hannah blinzelte verwirrt, während die rauen Worte in ihr nachklangen. Er hatte zu ihr gesprochen. Er war hier, um ihr zu helfen. Dieser Gedanke gab ihr neuen Mut. Sie sah, wie die beiden Angreifer den Gegner in die Zange nahmen und noch heftiger auf ihn eindrangen.
Ich muss irgendetwas tun, irgendwas muss mir einfallen, sofort!
Ohne groß nachzudenken, lief Hannah zu dem auf dem Boden liegenden Körper des Fremden und kniete neben ihm nieder.
Er war einer von denen, bestimmt hat er auch so eine Waffe bei sich gehabt. Los, Hannah, es geht um dein Leben, sei jetzt bloß nicht zimperlich.
Entschlossen drängte sie das würgende Gefühl zurück, das in ihr aufstieg, und drehte den reglosen Körper mit aller Kraft auf den Rücken. Krampfhaft bemühte sie sich, nicht auf die klaffende Wunde in seiner Brust zu achten. Das Schwert des Fremden hatte ihren Angreifer vollständig durchbohrt.
Der beißende Geruch, der von dem Toten ausging, war unerträglich. Mit angehaltenem Atem konzentrierte Hannah sich auf die Ausrüstung des Fremden. Sie stöhnte erleichtert auf, als sie eine der dolchartigen Waffen entdeckte, die an einem Gurt um seine Hüfte hing. Verbissen kämpfte sie gegen ihre Übelkeit an, streckte eine Hand aus und zog den Dolch hervor. Jetzt war keine Zeit für Skrupel, sie benötigte eine Waffe.
Als sie sich wieder aufrichtete, bemerkte sie, dass der erbitterte Kampf mittlerweile eine neue Wendung genommen hatte. Soweit Hannah erkennen konnte, kämpfte ihr Verteidiger nur noch gegen einen ihrer Angreifer, den er immer weiter in die Enge trieb. Der andere Angreifer zog sich währenddessen langsam zurück. Dann, schneller, als Hannah auch nur blinzeln konnte, war dieser Fremde bei ihr und packte sie mit schmerzhaftem Griff am linken Arm. Seine Nägel gruben sich dabei tief in ihr Fleisch. Er beugte sich zu ihr hinunter und knurrte ihr etwas ins Ohr.
Erst jetzt wurde Hannah bewusst, wie riesig die Fremden tatsächlich waren. Durch ihre schmale und sehnige Figur hatten sie nur wie sehr große Männer gewirkt, doch nun erkannte sie, dass ihr Angreifer weit über zwei Meter maß. Sein heißer, stechender Atem streifte ihr Gesicht, während die gelben Augen sie förmlich zu hypnotisieren schienen. Dann griff er in eine Tasche an seinem Gurt.
Hannah reagierte instinktiv, ohne auch nur eine Sekunde nachzudenken. Mit einem verzweifelten Aufschrei holte sie mit ihrem rechten Arm aus und stieß dem Fremden den Dolch in den Bauch. Entsetzt sah sie, wie ein Zucken über sein Gesicht lief. Sein eiserner Griff löste sich von ihrem Arm und wie in Zeitlupe glitt er zu Boden, die Hände jetzt fest um den aus seinem Leib ragenden Griff der Waffe geklammert. Noch während er fiel, bohrte sich sein Blick voller Hass in Hannahs Augen und ließ sie nicht mehr los.
Um Himmels willen, was hab ich getan?
Wie aus weiter Ferne hörte sie ihr eigenes Wimmern. Sie zitterte am ganzen Körper und nahm kaum wahr, dass sie von dem zuletzt aufgetauchten Fremden an den Schultern gepackt und zur Seite geschoben wurde.
Er hatte den erbitterten Zweikampf gewonnen und kniete nun so vor dem am Boden liegenden Angreifer, dass er Hannah mit seinem Rücken die Sicht auf den schwer verletzten Angreifer verdeckte. Hannah nahm nur eine blitzschnelle Bewegung wahr, den Anflug eines Röchelns – und tödliche Stille kehrte ein.
Der Fremde verharrte kurz mit gesenktem Kopf bei dem Toten, dann erhob er sich mit einer geschmeidigen Bewegung, steckte einen schmalen Dolch zurück in die Scheide an seinem Gürtel und wandte sich dem Mädchen zu.
Hannah konnte nur dastehen und ihn aus weit aufgerissenen Augen anstarren.
Ein finsterer Blick aus schmalen Augen, die nicht ganz so gelb leuchteten wie die der drei anderen Fremden, traf sie. »Du hättest verschwinden sollen, als ich es dir gesagt habe.«
Wieder musste Hannah dem Klang der heiseren Stimme nachlauschen, um die Worte zu verstehen. Sie waren kaum mehr als ein raues Flüstern.
»Tritt einige Schritte zurück, wenn du die Nacht doch noch überleben möchtest!«
Hannah stand völlig erstarrt vor ihm.
Ein ungeduldiges Knurren erklang, als er sah, dass sie keine Anstalten machte, seine Anweisung zu befolgen, sondern ihn weiterhin nur reglos anstarrte. Mit zwei gleitenden Schritten war er bei ihr und schob sie recht unsanft mehrere Meter vom Ort des Geschehens fort.
Sie ließ es teilnahmslos mit sich geschehen.
Das ist alles nur ein Traum, Hannah, nur ein Traum. Gleich wachst du auf und liegst gemütlich in deinem Bett. Alles wird gut.
Verständnislos beobachtete sie, wie der Fremde zu den toten Angreifern trat, ein rundes Gefäß aus einer Tasche seines dunklen Umhangs holte und ihre Körper sorgfältig mit einer Flüssigkeit beträufelte. Dann holte er ein weiteres Gefäß hervor, in dem sich so etwas wie ein glühender Stein befand, entzündete daran einen schmalen Holzspan und hielt ihn an die Toten. Eine kleine Stichflamme loderte auf. Mit einem unangenehm zischenden Geräusch verbrannten die Körper im Bruchteil weniger Sekunden. Sie hinterließen keinerlei Spuren, nur eine dünne Ascheschicht, die innerhalb kürzester Zeit vom leichten Nachtwind verweht wurde.
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