1. Auflage 2020
Printed in EU
ISBN: 978-3-903229-25-9
© Verlag: delta X, Wien | www.deltax.at
Korrektorat: Bettina Mertz, Dr. Eugen Schulak
Lektorat: Dr. Norbert Regitnig-Tillian
Satz & Umschlaggestaltung: Ing. Angelika Steck
Porträtfoto der Autorin: Bettina Mertz
Coverfotos: © BillionPhotos.com/ stock.adobe.com,
© thongsee/ stock.adobe.com
Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages vervielfältigt oder verbreitet werden. Das gilt insbesondere für die gewerbliche Vervielfältigung per Kopie, Übersetzungen sowie die Vervielfältigung auf elektronischen Datenträgern.
Rosemarie Schulak
Das andere Brot
Die Geschichte einer Selbstwerdung
Es ist die Entwicklungsgeschichte eines nach der Geburt weggelegten, erst sehr spät identifizierten Kindes, das sich ohne elterlichen Schutz und Rat – mit dürftiger Grundschulbildung – alles Nötige für ein gelungenes Leben selbst erarbeitet. Die Frage ist, mit welchen Hilfen und Stützen sich ein von Kindheit an isolierter Mensch freiwillig für das Gute und Schöne entscheidet.
Zu fragen ist aber auch, durch welche Impulse psychische Schäden, die durch Zwang, Grausamkeit, Nichtachtung der Person und Ausnutzung kindlicher Arbeitskraft entstanden sind, überwunden werden. Wie und unter welchen Bedingungen destruktive Erfahrungen in der Kindheit, die ja kaum je vergessen werden, Anstoß sein können für Neues, Besseres: für die Überwindung des Bösen, ja sogar für die Überwindung der Angst davor.
Cover
Titel Rosemarie Schulak Das andere Brot Die Geschichte einer Selbstwerdung
Impressum 1. Auflage 2020 Printed in EU ISBN: 978-3-903229-25-9 © Verlag: delta X, Wien | www.deltax.at Korrektorat: Bettina Mertz, Dr. Eugen Schulak Lektorat: Dr. Norbert Regitnig-Tillian Satz & Umschlaggestaltung: Ing. Angelika Steck Porträtfoto der Autorin: Bettina Mertz Coverfotos: © BillionPhotos.com / stock.adobe.com , © thongsee/ stock.adobe.com Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages vervielfältigt oder verbreitet werden. Das gilt insbesondere für die gewerbliche Vervielfältigung per Kopie, Übersetzungen sowie die Vervielfältigung auf elektronischen Datenträgern.
I I. Kindheit
. Kindheit I. Kindheit
1. Erwachen
2. Hören und sehen
3. Menschenmund
4. Geboren worden
5. Brot
6. Lesende
7. Was, wo und warum
8. Im Sturm
II. Jugend
9. Heimat ist anderswo
10. Wurzelgrund
11. Erblickte das Licht
12. Ein magischer Ort
13. Adams Apfel
14. Zauberhaft
15. Höhen und Tiefen
16. Schritt für Schritt
III. Reifezeit
17. Fatum und Sinfonia
18. Metamorphosen
19. Weg und Ziel
20. Ordnungen
21. O heiliger Anton!
22. Hohe Zeiten
23. Über die Jahre
24. In anderem Licht
I. Kindheit
In einem Dorf, wo versteckt hinter Föhren und dicht bewachsenem Kalkgestein Fuchs und Hase einander selbst in ihren sanftesten Träumen nicht Gute Nacht wünschen wollten, stand eines kühlen Septembermorgens wie vom nahenden Herbstwetter hergeweht ein zartes Bürschchen unter den Kleinen, die zappelig, aufgeregt und vielleicht auch ein wenig ängstlich ihrem ersten Schultag entgegen sahen. Fremd und scheinbar unbewegt stand dieses eine unter den vielen, die einander kannten als Nachbarn, Freunde, Spielgefährten und zumindest vom Hörensagen erkennbar als zugehörig dem oder dem. Sie alle warteten vor dem Schultor, nur dieses eine blieb starr, wie versteinert, stumm geradeaus blickend.
Rundum hatten Erwachsene sich versammelt, Mütter und Großmütter, die wissen wollten, wer hier die Erwartungsfreude, den Trennungsschmerz mit ihren Lieblingen teilte. Der kleine Fremdling, der keinem der Umstehenden auch nur entfernt bekannt und zuzuordnen gewesen wäre, harrte verschlossenen Gesichts vor dem offenen Einlass, die dunklen Augen groß in ein Ungewisses gerichtet.
Auf Anrufe reagierte der Kleine nicht, auf Annäherungsversuche ließ er sich nicht ein. Versunken in sich selber oder im Nirgendwo wären Antworten aus seinem Mund vielleicht auch kaum aufschlussreich gewesen, denn weder seines Namens hätte er sich entsinnen können noch irgendeiner plausiblen Erklärung. Sein Eintritt in die Welt, so erzählte er Jahrzehnte später in einem jener raren Momente, in dem die vom Schicksal ihm zugewiesene Rolle wie von Geisterhand aufgespannt, so klar und geglättet vor seinem Gedächtnis lag; dieser Eintritt in eine Welt, die sich ihm nach und nach erst eröffnen sollte, habe ihn wie ein Anruf aus einer Geisterwelt aufgeschreckt, überwältigt und gefangen genommen. Es gab kein Vorher. Was vor jenem Tag geschehen war, existierte nicht mehr.
An jenem Septembermorgen schien ihn der Eintritt durch das geöffnete Schultor in besonderer Weise zu fordern, dieses jähe Hineingestelltsein in eine fremde, lärmende Welt; und in eine Kinderschar, der er nicht gewachsen sein würde in seiner Verlorenheit und Isolation.
Warum und woher er an jenem denkwürdigen Tag gekommen war, schien er vergessen zu haben oder wollte es den Neugierigen um ihn herum nicht kundtun. Kann sein, er wusste es tatsächlich nicht. In seinem Gedächtnis war das, was ihm bisher geschehen wie weggeschwemmt, versickert wie Wasser in einem Brunnen, der seinen Inhalt als tiefes Geheimnis verbarg, so dass er sich anfangs nicht einmal zu bewegen getraute in jenem Neuland, weil er nicht aus noch ein wusste bei sich selber. Nichts als Gegenwart war in ihm, und wie noch zu zeigen sein wird, blieb das so für lange Zeit. Was hätte er auf Fragen, die ihn aus einer so weiten Entfernung trafen, denn antworten sollen? Überhaupt sei das damals die erste bewusste Wahrnehmung seiner selbst gewesen, meinte er, ein erschrockenes Erwachen wie aus tiefem Schlaf. Er vermochte auch nicht alle Eindrücke der Ereignisse an jenem Tag zu behalten, noch weniger sie zu beantworten vor Ort, so überrumpelt und gelähmt wie er war vor Angst und Abwehr, vor Schmerz und unerwartetem Glück. Von irgendetwas fühlte er sich befreit, er wusste nur nicht wovon und wie damit umzugehen.
Behörden und Lehrer hätten den Fall vermutlich deuten können. Die Ankunft des Knaben war angekündigt, genauere Einzelheiten jedoch nicht mitgeteilt worden. Nach Hintergründen wurde vielleicht nicht gefragt; nicht nach dem Woher und Warum, so als schiene es ihnen egal. Die Lehrerin wartete Tag für Tag, dass der Knabe mit den großen Augen und diesem beharrlich verschlossenen Mund endlich zu sprechen begann. Sein sechstes Lebensjahr sei, so war von Amts wegen mitgeteilt worden, vielleicht noch gar nicht erreicht, doch ohne Papiere, die Alter und Herkunft hätten feststellen lassen, konnte es keine Gewissheit geben. Er hätte jünger sein können, so klein und so wenig angepasst wie er war; älter wohl kaum, doch wer weiß.
Die ersten Wochen im Klassenzimmer gingen so rasch vorüber, dass keine Zeit blieb, sich um einen Außenseiter zu kümmern, der in verbockter Weise schwieg, oder doch nur gezwungenermaßen, und dessen Stimme, wenn mit Tricks und Listen hervorgelockt, doch nur Angst und Abwehr verriet. Dennoch, das Gesichtchen des Kleinen, erst düster und scheinbar ausdruckslos, hellte sich auf mit der Zeit und zeigte Spannung beim Zuhören. Die Augen blieben, in erwachender Neugier, an Menschen und Gegenständen haften. Deutlich sichtbar gingen Impulse durch seinen Leib und eines Tages redete es ganz von selber aus ihm; erst leise verschämt, dann durchaus vernehmbar. Als ob eine Eisdecke allmählich zu knacken, zu knistern und sich zu bewegen begann, immer heftiger und artikulierter. Seine Rede schwoll an und manches war sogar zu verstehen was Aussage hätte sein sollen. Was ihn dazu bewog und worüber er mit sich redete, wurde aber nicht klar, schien es doch ohne jeden Zusammenhang zu sein, verständlicher erst mit der Zeit, ja unüberhörbar am Ende und beinah resolut. Ein Redestrom quoll schließlich aus diesem kleinen Mund. Geplapper! meinte die Lehrerin. Du sei jetzt still!
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