Wahrlich, ich treibe nicht Scherz hier; aber das Lächerliche bleibe lächerlich unter uns, damit es als Lächerlichkeit getötet werde. Auch denke ich gar nicht daran, hier Weltentstehungshypothesen kritisieren zu wollen, das liegt ganz außerhalb meines Könnens, aber wenn denkende Menschen die brennend ernste Frage nach dem Woher? des Menschen und seiner Welt mit dem Hinweis auf die Existenz glühender kosmischer Nebelhaufen erledigen wollen, dann muss man sagen: Ihr schreibt euch nichts anderes als das Zeugnis eurer Hoffnungslosigkeit!
Denn es mögen Menschen fortfahren, die sichtbare Schöpfung in ihrer Einzel- und in ihrer Gesamterscheinung, in ihren Nah- und in ihren Fernvorgängen zu beobachten und die Ergebnisse ihrer Beobachtung als „Wissenschaft“ zu bezeichnen, sie mögen von glühenden Nebelflecken im fernsten Weltraum oder von Elektronenvorgängen im Atom berichten, das eigentliche Woher? der Nah- oder Fernvorgänge, der Einzel- oder Gesamterscheinung vermögen sie durch solche Beobachtung nie zu beantworten. Ihre Erklärung bleibt Beschreibung des sinnlich Wahrnehmbaren; aber ins Innere der Natur dringt kein erschaffener Geist. Hoffnungslos bleibt daher jeder Versuch, die Frage nach dem Woher? des Menschen und seiner Welt auf naturwissenschaftlichem Wege beantworten zu wollen. Möge sich die menschliche Wahrnehmung durch den Gebrauch der sinnvollsten Instrumente und Apparate verschärfen und bereichern, sie wird dadurch nie ohne weiteres das Woher? ersehen, ertasten oder ermessen und registrieren können.
Mithin bleibt jede „Weltanschauung“, die die Beantwortung der Frage nach dem Woher? unter Beiseitesetzung der Offenbarung, die Gott in der Bibel gegeben hat, erzwingen will, hoffnungslos. Ihre Antworten sind keine Antwort. Der wirklich denkende Mensch wird sich nie mit den gottlosen Armseligkeiten einer monistischen Dogmatik abspeisen lassen, die den wahrgenommenen Stoffen und Kräften und dem ihnen innewohnenden „Naturgesetz“ einfach Allmacht und Ewigkeit zuspricht und sie an die Stelle des persönlichen Gottes setzt. Ebenso wenig lässt sich der wirklich denkende Mensch die Frage nach dem Woher? verbieten. Sagt man doch, es sei menschlich beschränkt, anmaßend und durchaus „unwissenschaftlich“ so zu fragen; der kleine Mensch müsse sich am sinnlich Erforschbaren genügen lassen und vor dem großen Unerforschlichen verstummen. Ja, wenn das Fragen nach dem Woher? nicht gerade unsere menschliche Natur ausmachte! Aber es gehört zu unserem natürlichsten Bestand und ist geradezu das unterscheidende Merkmal zwischen Mensch und Tier; denn das Tier kennt keine Frage nach seinem Schöpfer. Und was heißt denn schließlich „wissenschaftlich“? Doch nichts anderes, als das Begehren und Bemühen, die Wahrheit wissen zu wollen mit allen Mitteln der Wahrheit. Solange es Menschen gibt, werden sie immer fragen müssen: Woher der Mensch mit seinem unruhigen Herzen in der Brust? Und immer wieder werden sie als letzte und einzig befriedigende Antwort „Gott“ denken und erkennen müssen; jede andere Antwort muss sich als furchtbare Hoffnungslosigkeit erweisen.
Denn aufs engste hängt mit der ersten Frage nach dem Woher? die zweite Frage zusammen, die Frage nach dem Wozu?
Wozu lebte ich? Wozu lebt die Menschheit? Wozu lebt das Weltall?
Auch diese Fragen wird der Mensch nicht los, obgleich er sie nicht liebt. – Nein, er liebt sie nicht; denn es sind ja so unbehagliche und scheinbar auch so schwierige Fragen … So geht ihnen der gedankenlose Durchschnittsmensch am liebsten aus dem Wege, denn sie stören sein Tun und fordern sein Denken; beides ist ihm unbequem. Darum überlässt er die Beantwortung dieser Fragen gerne den grübelnden Gelehrten, den Philosophen, und – wie es heute Mode ist – der Wissenschaft. Diese wiederum lehnt die Beantwortung der Wozu?-Frage ebenfalls am liebsten als nicht streng wissenschaftliche, weil der wissenschaftlichen Methode eigentlich ganz abseits liegende Frage, glatt ab. Indes bleibt doch jedes Menschlein, ob gelehrt, ob ungelehrt ein kleiner Philosoph und Wissenspraktiker, der sich für alles sein Sprüchlein zurechtmacht. Denn die unbequeme Frage nach dem Wozu? lebt nun einmal in und mit uns, obgleich wir zehntausendmal versuchen, nicht mit ihr leben zu wollen. So muss sich der Mensch, schon um ihre lästige Aufdringlichkeit ein klein wenig loszuwerden, irgendeine billige Antwort bereithalten, mit der er ihr zu entweichen sucht. Ja, eigentlich sind alle unsere Moralsprüchlein und ethischen Systeme nichts weiter als der fortgesetzte Versuch des Menschen, sich die unerträgliche Schwere der Frage: Wozu leben wir eigentlich? auf eine annehmbare Weise vom Halse zu schaffen.
Ich stand einmal vor dem Schaufenster eines Graveurs. Ins blanke Messingschild eingegraben, las ich da:
„Das einzige Glück – die Pflicht,
Der einzige Trost – die Arbeit,
Der einzige Genuss – die Schönheit“
Siehe da, sagte ich mir, da hat sich jemand der Frage nach dem Wozu? seines Lebens in idealster Weise zu erledigen gesucht. Ein Moralsätzlein in drei Zeilen, lasst uns sehen was sie zur Beantwortung der Frage nach dem Wozu? unseres Lebens wert sind!
„Das einzige Glück – die Pflicht.“
Also man lebt auf Erden, um seine Pflicht zu tun, seine Pflicht in der Familie, im Beruf, in der Gesellschaft, im Staats- und Vaterlandsdienst, in der Menschheit. Pflichterfüllung ist etwas unbedingt Notwendiges und Löbliches. Aber wie unzulänglich wird das Pflichtgebot, wenn es zur Beantwortung unserer Frage ausreichen soll! Warum lebt man? Antwort: Um seine Pflicht zu tun! Ist damit unsere Frage beantwortet? Keineswegs! Denn die noch so ideale Betonung eines noch so nötigen Gebotes ist doch noch keine Daseinserklärung. Und warum soll ich meine Pflicht tun? fragt der Mensch. Hier wird ihm geantwortet: Die Pflichterfüllung sei dein Glück. Also wäre sittliches Glück der Zweck unseres Daseins. Schön, die Antwort erhebt unser Gemüt, aber sie befriedigt nicht unser Denken; denn Glücksempfinden ist doch keine Erklärung unseres Daseins. Zudem, wenn unser einziges Glück die Pflicht ist, dann ist es kein Wunder, dass sich die Menschen durchweg so unglücklich fühlen; denn wer tut allezeit seine Pflicht?
Ja, man muss sogar so sagen: Wenn unser einziges Glück die Pflicht ist, so haben wir alle miteinander nur eine Pflicht, nämlich die, uns allesamt unglücklich zu fühlen; denn niemand tut allezeit seine Pflicht. Prüfe dich nur einmal! Hast du gestern, hast du heute wirklich und wahrhaftig deine Pflicht getan? Das heißt: Hast du alles getan, was du nicht nur tun musstest, sondern tun konntest, und hättest du nicht noch mehr tun können? Und umgekehrt: Hast du alles unterlassen, was du nicht hättest tun sollen? Denn auch das gehört zur Pflicht. Ich suche jetzt schon seit Jahren den Mustermenschen, der wirklich und allezeit seine Pflicht getan hat. Bedenke doch: er wäre der einzig zum Glück Berechtigte unter uns allen! Man müsste ihn durch alle Straßen führen und auf allen Weltausstellungen prämieren. Er wäre der beneidenswerteste „Glückspilz“, den es gäbe.
Aber ich habe ihn leider noch nicht gefunden. Vielleicht ist er hier. Er melde sich doch! – Niemand? Ich habe es mir gedacht. – Fern sei mir der bloße Scherz. Aber auch hier gilt es, das Lächerliche als Lächerlichkeit bewusst zu machen und zu töten. Nie und nimmermehr ist ernste Pflichterfüllung und jedes ehrliche Ringen nach Pflichterfüllung lächerlich; und ideal und schön mag auch der Gedanke genannt werden: „Mein einziges Glück – die Pflicht.“ Aber soll dieser Gedanke mit allem Lebensernst zur wirklichen Lebenstat werden, dann bleibt uns allen – ich wiederhole und betone es – nur die eine Pflicht übrig, uns bitter unglücklich zu fühlen. Und soll gar vollendete Pflichterfüllung unser Lebenszweck sein, so haben wir allesamt unseren Lebenszweck verfehlt; unser Urteil hat dann zu lauten: Hoffnungslos!
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