Nun fuhr der Zug in Sangerhausen ein und die Fans verließen fluchtartig den Zug und stürmten in die Vorhalle. Dabei ertönte ihr altbekannter Schlachtruf: „Hool-, Hool-, Hooligan!“ Mit dieser Situation hatten die Polizisten nicht gerechnet. Sie mussten ebenfalls den Zug verlassen und gingen den Fans hinterher. Dort hörten sie, dass die Fans nach Magdeburg wollen.
„Verdammter Mist!“, schimpfte Mehlmann. „Jetzt müssen wir auch noch nach Magdeburg!“
„Das ist ja nicht das Schlimmste“, antwortete Erich. „Die Magdeburger Kollegen sind auf dem Weg nach Halle und was das bedeutet, könnt ihr euch ja denken.“
„Ja, verdammt noch mal, es ist keiner da, wenn wir ankommen.“
„Und ich möchte nicht wissen, wann wir wieder zurück sind. Immerhin haben wir zwei schon eine Frühschicht hinter uns und müssen morgen um vier wieder aufstehen. Na gut, ich um vier und Marc um fünf.“, warf Alex frustriert ein.
Daraufhin überlegte der Gruppenleiter und sagte: „Na gut, da fahrt ihr eben mit dem nächsten Zug zurück und macht Feierabend.“
„Nein, so war das nicht gemeint. Wir lassen euch nicht im Stich!“
Der Gruppenleiter freute sich über die Antwort. Denn sieben Beamte sind besser als fünf.
Während die Fans in der Vorhalle auf den Zug nach Magdeburg warteten, kam Erich mit einigen Fans ins Gespräch. Die erklärten ihm, dass sie sich in Kassel von ihrer Gruppe abgesetzt haben, um einfach mal Magdeburg unsicher zu machen. Außerdem wollten sie ihren Frust runterspülen. Ihre Mannschaft hatte 0:5 verloren. Und dieses Ergebnis war für die Fans absolut nicht hinnehmbar und das mit dem Frust runter spülen konnte man nicht mehr übersehen. Der Alkohol tat seine Wirkung. Manch einer der Fans konnte nicht mehr geradeaus laufen, musste sich ständig irgendwo abstützen, um nicht hinzufallen, und sie hatten teilweise schon eine heisere Stimme. Nun galt es auch noch darauf aufzupassen, dass keiner in den Gleisbereich stürzt. Am liebsten hätte unser Gruppenleiter die Besoffenen heraussortiert und vom Bahnhof verwiesen. Aber das war bei den wenigen Beamten nicht möglich und hätte zu unkontrollierbaren Widerstandshandlungen geführt. Als der Zug in Richtung Magdeburg einfuhr, wurde auch dieser gestürmt. Die Beamten achteten darauf, dass alle Fans zusammenblieben und keiner zurückgelassen wurde.
Und manchmal passieren bei solchen Einsätzen noch kleine Wunder. Denn, nach kurzem Tumult im Zug, konnte man sehen, wie hier und da die ersten Fans einschliefen. Es dauerte nicht lange und alle hatten die Augen zu. Den Beamten war es recht. Sie hatten von nun an eine relativ ruhige Fahrt bis Magdeburg.
Kurz vor Magdeburg wurden die Fans durch mehrere Lautsprecherdurchsagen geweckt und die, die nicht munter wurden, wurden von den Beamten an der Schulter wachgerüttelt. Als der Zug in Magdeburg einfuhr, stand der Großteil der Fans übermüdet an den Türen. Am Bahnsteig angekommen, stiegen sie aus und schlichen in die Vorhalle. Manch einer versuchte mit ihren Schlachtrufen die Stimmung noch mal anzuheizen. Das funktionierte nicht mehr. Es kam mehr oder weniger nur noch ein heiseres Krächzen heraus. Die Truppe war erschöpft und ausgelaugt. Der Dienstgruppenleiter von der Magdeburger Dienststelle stand mit noch zwei Beamten am Bahnsteig und bat die Nordhäuser Kollegen noch um einen Gefallen. Sie sollten mithelfen, die Fans aus dem Bahnhof zu führen. Dieser Bitte wurde nachgekommen. Vor dem Bahnhof standen drei Streifenwagen der Landespolizei und die sollten oder wollten sich nun um die Fans kümmern.
Nun hatten die Nordhäuser es geschafft. Sie waren die Hooligans los. Jetzt, wo sie weg waren, spürte Erich einen unbändigen Hunger und Durst. Sie hatten die ganze Zeit nichts gegessen. Sie hatten bei dem überstürzten Einsatz auch nichts dabei. Erich suchte nach irgendwelchen Kaffeeautomaten und fand in der Mitte vom Nachbarbahnsteig einen. Nun, als er losging, stellte er fest, dass er nicht der Einzige war. Alle hatten Hunger und Durst. Und unweit des Kaffeeautomaten gab es noch was zu beißen. Natürlich auch aus dem Automaten. Das spielte im Moment keine Rolle. Hauptsache, der Magen hatte was zu tun und ihnen ging es danach besser. Fürs erste gesättigt, marschierte die Gruppe zu dem zwischenzeitlich bereitgestellten Personenzug in Richtung Heimat.
In Nordhausen angekommen, war die Schicht fast um und sie bereiteten sich so langsam auf den Feierabend vor. Sie hatten ihn sich verdient. Sie gehören ja nicht mehr zu den Jüngsten.
Auf der Heimfahrt machte sich Erich noch mal Gedanken über den Einsatz. Er konnte es immer noch nicht begreifen, wie man neben ihm die Notbremse ziehen konnte, ohne dass er es bemerkt hatte. Ansonsten sagte er sich: „Die Schicht ist rum. Die Fans sind gut angekommen und keinem ist etwas passiert. Also haben wir eine gute Arbeit abgeliefert! Und außerdem hatten wir schon schlimmere Einsätze mit mehreren verletzten Kollegen, wo deren Einsatz im Krankenhaus endete.“ Beim weiteren Grübeln fiel ihm plötzlich das Gedicht einer Kollegin ein, die dahingehend, in einer Einsatzhundertschaft, reichlich ihre Erfahrungen sammeln durfte.
Von Hirten und Herden
Sie werden empfangen, werden erwartet.
Werden gezählt und zusammengetrieben.
Freundlich aber bestimmt.
Sie sehen uns nicht, wir werden gemieden.
Sie trüben ihre Sinne
mit Alkohol –
vehement.
Sie lachen uns aus, spucken und schimpfen,
ungehemmt.
Ohne Respekt vor dem Menschen, der vor ihnen steht,
die Erziehung der Eltern vergessen,
und wie man mit Werten umgeht.
Mandy Spintge
Erich konnte dem nur Recht geben und sagte zu sich: „Ich glaube, es gibt keinen Bundespolizisten, der nicht diese oder ähnliche Erfahrungen gemacht hat. Selbst die Kollegen von der Landespolizei konnten ein Lied davon singen.“
Täter ermittelt
Zur nächsten Schicht hielt es Erich nicht mehr aus und stürzte ins Büro der Oberkommissarin: „Hallo Peggy, wie war es gestern? Hattet ihr Erfolg?“
„Komm rein, bleib ruhig und setz dich. Das war ein voller Erfolg. Wir haben jetzt den Richtigen. Ihr wart noch nicht richtig weg, da haben wir uns in die Spur gemacht. Als wir vor seiner Haustür standen und er aufmachte, hat er erst verdutzt geguckt, aber uns dann freundlich hereingebeten und erzählt und erzählt. Mal sehen, ob ich das auf die Kürze zusammen kriege. Also, zuerst hat er den Herrn Schmidt als einen guten Freund bezeichnet und dann hat er umgelenkt und ihn belastet. Er hat sogar behauptet, dass Herr Schmidt im Dienst manchmal leichtsinnig handelt. Und das soll nicht nur einmal gewesen sein. Da waren zum Beispiel erloschene Signallaternen, die er aus Faulheit ignoriert hat. Er hat sich einfach nicht darum gekümmert und andere Kollegen mussten für ihn losgehen und die Birnen auswechseln. Und dass die Signale leuchten ist ganz wichtig für den Betriebsablauf. Und wenn es um das Schmieren der Weichen ging, soll er auch nicht der Fleißigste gewesen sein. Alles zusammengefasst, soll Herr Schmidt ein schlechter Fahrdienstleiter sein. Nun ja, das hab ich mir alles angehört und mitgeschrieben und dann stellte ich konkrete Fragen: Waren Sie an dem betreffenden Tag auf dem Fahrdienstleiterstellwerk? Da kam er kurzzeitig ins Stottern und antwortete: ‚Nein, war ich nicht! Na ja, ja ich war mal ganz kurz da. Ich hatte was im Spind vergessen und das wollte ich holen. Robert hatte mir versprochen darüber zu schweigen. Sie müssen wissen, dass ich laut Fahrdienstvorschrift nicht dort hoch durfte. Aber da sehen Sie wieder, was man von solchen Menschen halten soll. Die würden sogar ihre Großmutter für ein paar Pimperlinge verscherbeln. Und als ich an dem Tag da war, hab ich schon wieder sehen müssen, wie schlampig der gearbeitet hat. Ich musste ihm immer wieder unter die Arme greifen und ich habe auch gesehen, dass mit ihm irgendwas nicht stimmt. Aus diesem Grund habe ich einige Zugfahrten für ihn durchgeführt und damit für die Sicherheit im Betriebsablauf gesorgt. Ich will ihn ja nicht in die Pfanne hauen, aber ich habe gesehen, wie er zweimal hintereinander einschlief. Da hab ich ihn wieder munter machen müssen und er hat mir versprochen, dass das nicht wieder vorkommt.‘ Bei dem letzten Satz schwoll ihm die Brust an. Das hättest du sehen müssen. Auf die Frage, wievielmal er auf dem Stellwerk war, antwortete er: Zweimal. Er begründete den zweiten Besuch damit, dass er Herrn Schmidt helfen wollte, indem er ihm Kaffee anbot. Kaffee macht ja bekanntlich munter. Und danach sei er gegangen.“
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