„Lass dich mal kurz unterbrechen. Wenn ich das höre, lag ich wohl mit meiner Vermutung daneben?“
„Nein, Erich, du lagst goldrichtig. Der Glöckner war’s. Lass mich weitererzählen. Ich habe ihm dann die entscheidende Frage gestellt: Herr Glöckner, warum sind Sie ein drittes Mal auf das Stellwerk gegangen? Und mit der Frage hatte ich ihn. Er wurde nervös und stotterte. Zuerst stritt er es ab und als ich eine Zeugin ins Spiel brachte, gab er es zu. Er war noch mal dort gewesen. Betonte aber, dass er keine Schlaftabletten in den Kaffee getan habe. Mit dem Satz hatte er sich verraten. Dann stellte ich im die nächste Frage: Woher wissen Sie, dass in dem Kaffee des Herrn Schmidt Schlaftabletten waren? Erich, ich hatte es bis dahin ja selbst nicht gewusst. Nun wurde er wütend und erklärte uns, dass er kein Wort mehr sage und wollte uns rausschmeißen. Als das nicht funktionierte, wollte er abhauen und rannte aus dem Haus. Moto war schneller. Er hat sich gegen die drohende Festnahme gewehrt und immer wieder versucht sich loszureißen. Hat aber nicht funktioniert. Erst, als er die Handschellen dran hatte, wurde er wieder ruhiger. Eine Stunde später saß er bei uns auf der Dienststelle. Und wie du weißt, kann ich bei Befragungen hartnäckig sein. Und siehe da, er hat dann alles zugegeben Und ich weiß jetzt, wie sich das auf dem Stellwerk abgespielt hat. Der hatte für beide einen kräftigen Kaffee gekocht und diesen, zu gegebener Zeit, auf das Stellwerk geholt und eingeschenkt. Bei einer passenden Gelegenheit hat er die Schlaftabletten eingerührt und Robert Schmidt hat den Kaffee getrunken. Danach hat er sich verabschiedet und darauf gewartet, dass er einschläft. Ist dann wieder auf das Stellwerk gegangen und hat den Zusammenstoß arrangiert. Und das vermeintlich Gute für ihn war, dass er bis zu dem Zeitpunkt nicht verdächtigt wurde. Wir hatten ja einen Täter und der hatte in seinem Unwissen und Gutgläubigkeit alles zugegeben. Und dieser Clou hätte beinahe geklappt und Herr Schmidt wäre unschuldig bestraft worden. Nun ist der Fahrdienstleiter Schmidt wieder im Dienst und alles ist gut.“
„Peggy, da gibt es trotzdem noch eine Ungereimtheit, die ich nicht verstehe.“
„Frage, ich kann dir jetzt alles erklären.“
„Warum war der Zusammenstoß von der gefahrenen Strecke her näher am Bahnhof Sondershausen dran? Zeitlich gesehen hätte der Zusammenstoß kurz hinter Kleinfurra passieren müssen. Das heißt doch nichts anderes als, dass der Zug früher losgefahren ist als die Lok? Das ist mir im Nachhinein auch noch bewusst geworden. Hast du dafür eine plausible Erklärung?“
„Erich, die Erklärung hab ich. Vom Prinzip hast du recht. Der Zug ist tatsächlich früher abgefahren als die Lok in Sondershausen. Das ist richtig. Aber die Lok hatte die offizielle Freigabe und sie ist später abgefahren, weil der Lokführer, obwohl die Ausfahrt stand, noch ein menschliches Bedürfnis hatte. Deshalb die verspätete Abfahrt.“
„Okay, das klingt logisch.“
„Ach, das wollte ich dir auch noch erzählen. Ich hab gehört, dass du auf der Liste stehst?“
„Welche Liste?“
„Auf der Liste der Beförderungen. Du wirst Hauptmeister.“
„Mach kein Quatsch!“
„Nein, du stehst wirklich drauf. Glaub es mir.“
Und was sollte Erich sagen? Er wurde tatsächlich befördert. Und während seiner Beförderung dachte er an seinen alten Freund Leo. Leo sollte damals kurz vor Toresschluss auch noch befördert werden. Das hatte leider nicht mehr geklappt. Da gab es irgendwo einen jungen Kollegen, der fühlte sich bei den anstehenden Beförderungen benachteiligt, hatte seinen Anwalt eingeschaltet und dagegen geklagt. Somit sind alle Beförderungen aufgehoben beziehungsweise verschoben worden und sein alter Kumpel Leo ist als Obermeister in den Ruhestand gegangen. Vermutlich fühlt der sich nun bis an sein Lebensende bestraft und er weiß nicht wofür.
EIN ÜBERFALL IM REGIONALEXPRESS
Im Regionalexpress von Nordhausen nach Kassel
In der Vorhalle vom Bahnhof Nordhausen stand eine junge Frau am Servicepoint der Deutschen Bahn und informierte sich über die nächste Zugverbindung. Sie wollte von Nordhausen nach Kassel. Sie hatte einen großen bunten Koffer bei sich, den sie mit der rechten Hand hinter sich herzog. Eine Handtasche mit samt ihren Ausweisen und Bargeld war über die Schulter gehängt und es sah so aus, als wollte sie für längere Zeit verreisen. Für längere Zeit verreisen? Ja, aber nicht gleich in den Urlaub. Sie wollte zuerst nach Kassel, um sich mit ihren Freundinnen aus dem letzten Semester treffen. Danach sollte es nach Österreich gehen. Sie freute sich schon so lange drauf. Nun war der lang ersehnte Tag gekommen. Sie war gut gelaunt und voller Hoffnung, dass die Züge pünktlich fahren. Nachdem die Servicemitarbeiterin ihr die gewünschte Auskunft gegeben hatte, kaufte sie noch die benötigte Fahrkarte. Als sie den Preis erfuhr, war sie kurz schockiert, schluckte es herunter und suchte ihr Portemonnaie. Geduldig wühlte sie in ihrer Handtasche und fand das benötigte Geld. Nun stand der Fahrt nichts mehr im Wege. Sie schnappte sich ihren Koffer und wollte zum Bahnsteig. Auf dem Weg dorthin, schaute sie noch mal auf die Uhr und stellte fest, dass sie noch ein wenig Zeit hatte. Sie drehte sich wieder um und kaufte sich einen Kaffee, setzte sich in der Vorhalle auf eine Bank und trank ihn genüsslich aus. Nebenbei hörte sie mit dem aufgesetzten Kopfhörer ihre Lieblingsmusik und ihre Füße bewegten sich dabei im Takt. Nachdem der Kaffee ausgetrunken war, ging sie zum Bahnsteig und stieg in den schon eingefahrenen Zug, suchte sich einen ruhigen Sitzplatz im hinteren Teil des Zuges und machte es sich bequem. Nun widmete sie sich wieder der Musik und schaute aus dem Fenster. Dabei beobachtete sie die Leute, wie sie auf dem Bahnsteig hin- und herliefen. Und was sie nicht wusste war, dass sie selbst schon die ganze Zeit von einer Gruppe, bestehend aus acht männlichen, Alkohol trinkenden Jugendlichen beobachtet wurde. Diese Männergruppe interessierte sich irgendwie für die hübsche junge Frau. Und als sie zum Zug ging, gingen sie im Abstand hinterher und machten dabei ihre Späßchen und lachten. Obwohl die Gruppe keine Fahrkarten hatte, stiegen sie in den Zug. Einer der Jugendlichen ging sicherheitshalber durch den Zug und suchte den Kundenbetreuer. Nebenbei hielt er Ausschau, wo sich die junge Studentin niedergelassen hatte. Da kein Kundenbetreuer gefunden wurde, ging die Gruppe davon aus, dass auch kein Personal an Bord sei. Somit fühlten sie sich bei ihrem Vorhaben sicherer. Der Zug fuhr pünktlich um zehn Uhr zweiundfünfzig ab. Nachdem der Regionalexpress Nordhausen hinter sich gelassen hatte, gingen die Jugendlichen los und bei der jungen Frau, die ganz allein im letzten Abteil saß, machten sie halt. Sie beschäftigte sich mit ihrem Handy und achtete nicht auf die Gruppe, die sich in den gegenüberliegenden Sitzreihen niedergelassen hatten. Mit der Zeit fingen sie an, sich über sie lustig zu machen. Zuerst lästerten sie über ihren Koffer, danach über ihre Schuhe. Dann lästerten sie über ihre blonden Haare. Und weil das nicht reichte, regte sich einer über ihren, nach seiner Meinung zu kurz geratenen Rock auf und fragte: „Bei so einem kurzen Rock, kannst du nur heiß auf uns sein. Was hältst du von einem Quickie?“ Da die Studentin nicht antwortete, bohrte er weiter: „Bin ich dir nicht attraktiv genug? So aufreizend wie du angezogen bist, willst du doch mit uns poppen. Oder nicht? Du kannst es auch mit all meinen Freunden hier machen. Aber zuerst mit mir.“
Jetzt reagierte sie völlig eingeschüchtert: „Lasst mich bitte in Ruhe. Sucht doch bitte euren Spaß woanders. Ich bin für so was nicht zu haben!“ Danach war sie wieder ruhig und hoffte, dass die Gruppe ein Einsehen mit ihr hat. Sie hatte sich leider getäuscht.
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