Walter Brendel
Wahre Kriminallfälle und Skandale
Wahre Kriminalfälle und Skandale
Walter Brendel
Impressum
Texte: © Copyright by Walter Brendel
Umschlag: © Copyright by Walter Brendel
Verlag: Das historische Buch, 2021
Mail: walterbrendel@mail.de
Druck: epubli - ein Service der neopubli GmbH,
Berlin
Inhalt
Das Fälschergenie
Abgetrieben – Der Memminger Prozess
Das Mädchen und der General
Mord im Milieu
Tod im Kinderzimmer?
Mord in der Schule
Spion im Kanzleramt
Bezahlter Liebesdienst des Gigolo
Fälschungen gehören seit seinen Anfangstagen zum Journalismus. Wer weiß das besser als die BILD-Zeitung. Aber Nachrichtenfälscher sind am Werk, seitdem es die Presse gibt, auch weil es früher für die Rezipienten noch schwerer war Fälschungen als solche auszumachen. Zu den prominenten Produzenten des frühen fiktionalen Journalismus zählten Edgar Allen Poe, der in einem im Jahre 1844 in der New York Sun erschienenen Artikel die erste Atlantiküberquerung in einem Heißluftballon um 134 Jahre vorwegnahm und Mark Twain, der sich wie Poe vor seiner schriftstellerischen Karriere als Journalist bemühte. Er griff die Legende von einem versteinerten Mann auf und narrte damit 1861 die Leser der Territorial Enterprise in Virginia.
Auch am Anfang des 20.Jahrhunderts gab es Fälscher, wie den Reporter Ben Hecht, der das Chicago Daily Journal mit Schlagzeilen versorgte, "(…)die die Konkurrenz erblassen ließen. ‚Erdbeben zerreißt Chicago' stand in riesigen Lettern über einem vier Spalten breiten Photo der großen Kluft, die das Beben in den Lincoln Parc Beach gerissen haben sollte. Ganze zwei Stunden hatten Hecht und sein Photograph im Sand gegraben, um ein möglichst überzeugendes Photo zu schießen."
In Deutschland gilt als eines der ersten Fälschungen die von der Hamburger Zeitschrift Minerva zwischen 1797 und 1799 lancierte Legende der sogenannten "Potemkinschen Dörfer". Als eine frühe Form des freien Mitarbeiters betätigte sich Arthur Schütz, der Erfinder des "Grubenhundes", in dem er der Wiener Neuen Freien Presse wiederholt erfundene Meldungen zukommen ließ. "Sein stärkstes Stück erschien am 18. November 1911 - ein Bericht über ein angebliches Erdbeben im Ostrauer Kohlerevier, in dem es hieß, dass der "im Laboratorium schlafende Grubenhund schon eine halbe Stunde vor Beginn des Bebens auffallende Zeichen größter Unruhe gab." Jeder halbwegs informierte Zeitgenosse hätte wissen müssen, dass in der Bergwerkersprache der "Hund" eine handgezogene Lore bedeutete."
In dieser Zeit setzten sich auch im deutschen Sprachraum mediale Fälschungen mehr und mehr durch. Erich Kästner, der in seinem Roman "Fabian" auch das Ausschmücken von Zeitungsmeldungen mit erfundenen Tatsachen beschreibt, sagte nach seiner Zeit als angestellter Redakteur: "Meldungen, deren Unwahrheit nicht oder erst nach Wochen festgestellt werden kann, sind wahr".
Sprunghaft angestiegen ist die Anzahl der enttarnten Elaborate des fiktionalen Journalismus seit Anfang der Siebzigerjahre. Diese Aussage bezieht sich nicht nur auf journalistische Fälschungen, sie schließt auch fiktionale Inhalte ein, die von PR oder Politikern lanciert werden. Dennoch kann auch für den fiktionalen Journalismus gelten, dass seine Artikel als wahr gelten, solange sie von den Medien für wahr erklärt werden.
Fälschungen haben in einer durch und durch öffentlichkeitsorientierten Welt enorme strategische Bedeutung. Mediale Fälschungen sind nicht wahr und trotzdem vorstellbar, deswegen können sie für ihre Urheber sehr wertvoll sein. Heute liegt der Marktwert einer Information in der Anzahl von Personen, die sich für sie interessieren könnten. Diese Zahl hat indes nichts mit der Wahrheit zu tun. Mit den Fälschungen nahm auch die Anzahl ihrer Enttarnungen zu. Die Fälschung-Moderne war außerdem von Fälschern wie Christoph Jones, der für die New York Times 1981 erfundene Frontreportagen aus Kambodscha ablieferte und natürlich von Konrad Kujau und Gerd Heidemann geprägt.
Zwei weitere Fälscher erregten in Deutschland danach die landesweite Aufmerksamkeit: Zunächst der für Boulevardmagazine wie Stern TV arbeitende Filmemacher Michael Born. "In der Zeit von 1990 bis 1995 produzierte und verkaufte
Born insgesamt 21 teilweise oder völlig gefälschte TV-Beiträge an die ARD, das ZDF, das Schweizer Fernsehen DRS, SAT 1, RTL, PRO 7 und VOX". Unter den bekanntesten seiner Fälschungen waren der Beitrag über die vermeintlichen Untriebe des Ku-Klux-Klan in der Eifel (1994), die Reportage über deutsche Katzenjäger (1995) und der Filmbericht über einen von einem Krötensekret abhängigen Junkie (1994). Die teilweise äußerst liebevoll angefertigten Film-Fälschungen brachten ihren Macher ins Gefängnis, weil die Verantwortlichen von Stern TV, um nicht selbst verfolgt zu werden, ihn angezeigt hatten. Born veröffentlichte ein Buch über seine Geschichte(n) und begann offensiv mit dem Thema umzugehen. Er wies auf das Mitwissen der gesamten Redaktion von Stern TV (inklusive des Moderators Günther Jauch) hin, richtete eine Website ein, von der aus bis heute Videozusammenschnitte der "besten Fälschungen" verkauft werden.
Im Jahr 2000 wurde Tom Kummer, ein Mitarbeiter des Magazins der Süddeutschen Zeitung, beim Fälschen erwischt. Er hatte mehrere Interviews mit Prominenten gefälscht, hatte sich einzelne Passagen ausgedacht und andere aus Biographien und älteren Interviews zusammengeklaut. Im Nachhinein (also auf die Enttarnung folgend) unternahm Kummer den Versuch, seine Artikel "als Konzeptkunst zu verkaufen". Er führte den Begriff des "Borderline-Journalismus" ein und merkte nicht ganz zu Unrecht an, dass Journalisten bei den meisten Interviews die überlangen, nicht wohlgeformten oder fremdsprachigen Antworten ihrer Gesprächspartner verändern würden. Kummer und auch die damaligen Chefredakteure des SZ-Magazins kostete sein Grenzgängertum zwischen Wirklichkeit und Fiktion den Job.
In einem geschichtlichen Überblick der medialen Faktes muss auch auf die Häufung derselben zu Kriegs- bzw. Krisenzeiten hingewiesen werden. Ramonet (1999) weist auf einige dieser Fälschungen hin, zu denen im Rahmen des Aufstandes in Rumänien die Inszenierung eines Massengrabes in Timisoara zählte. "Die auf weißen Leintüchern aufgereihten Leichen waren nicht die Opfer des Massakers vom 17. Dezember 1989, sondern vielmehr Tote, die man auf dem Armenfriedhof ausgegraben hatte (...)". Wer die Fälschung initiiert hatte, ist bis heute unklar, fest steht lediglich, dass die Bilder von angeblich 60.000- 70.000 Leichen auf Fernsehkanälen rund um den Globus zu sehen waren, darunter auch ARD, ZDF und RTL plus. Das "Massaker von Timisoara" forderte, wie sich später herausstellten, jedoch "nur" einige Dutzend Todesopfer, in ganz Rumänien waren es 689. Im Golfkrieg betätigten sich vor allem die amerikanischen Medien als Mythenmacher, so institutionalisierten sie Symbole wie die Patriot-Rakete, die Gasmaske oder den Tarnkappenbomber als eine Art Füllfake, weil die "echten Kriegsbilder" fehlten. Diese Form der Propaganda gehört nicht zum Kern des Themas, weil derartige Manipulationen in der Regel eher von Militärs und Politikern lanciert werden, dennoch soll an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass mit dem wachsenden Engagement der Bundeswehr auch in deutschen Medien die Legitimationsfakes zugenommen haben. Die ARD-Dokumentation "Es begann mit einer Lüge" enthüllte beispielsweise reihenweise Fälschungen deutscher Medien im Zusammenhang mit dem Kosovo-Krieg und dem Massaker von Pristina (ARD, 8. Februar 2001).
So weit, so (nicht)gut. Es sollte der größte Medienknüller der Nachkriegszeit werden und wurde der größte Reinfall des Magazins "Stern". Vor über 20 Jahren schreckte die Redaktion des Blattes die Öffentlichkeit mit der Meldung auf, Adolf Hitlers geheime Tagebücher seien entdeckt worden. "Nach der Auswertung der Tagebücher muss die Biografie des Diktators und mit ihr die Geschichte des NS-Staates in großen Teilen neu geschrieben werden", verlautbarte der "Stern" am 22. April 1983. Drei Tage später präsentierte die Chefredaktion in einer international besuchten Pressekonferenz etwa ein Dutzend von 60 gebundenen Kladden im DIN-A-4-Format mit Reichsadler, Kordel und Hakenkreuz. Für die Echtheit der mit schwarzer Tinte geschriebenen Aufzeichnungen konnte sich der "Stern" auf namhafte Historiker berufen, unter ihnen der britische Hitler-Experte Hugh Trevor-Roper.
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