Er spricht über sie. Ihre Affäre ist öffentlich.
Hauptabteilung II/13 |
Berlin 13. Nov. 1982 |
Die DDR-Bürgerin Brigitte B.
Restauratorin, freischaffend tätig
Familienstand:
verheiratet mit
WDB
Tätigkeit: freischaffender Regisseur
1 Kind (7 Jahre)
Partei: ohne
Massenorganisation: FDGB
wurde als intime Verbindung des in der OKP „Wabe“ bearbeiteten in der DDR akkreditierten ständigen BRD-Korrespondenten
Müller
bekannt. Diese Verbindung besteht seit Anfang 1981 (Falsch! Genosse Major Menge! – seit Mitte 1980) . Während der Realisierung eines genehmigten journalistischen Vorhabens lernte Müller die Familie B. kennen. (Auch falsch! Es war der private Ausflug zum 30. Geburtstag der Brigitte B.! Genosse Major Menge! Schlechte Recherche) .
Dieser familiäre Kontakt entwickelte sich dann zu der bestehenden Intimverbindung, die durch den Ehemann der Brigitte B. toleriert wird.
Müller integriert die Brigitte B. in seine subversive Kontakttätigkeit in der DDR. Er machte sie mit verschiedenen DDR-Verbindungen bekannt. (Richtig Genosse!) , nutzte sie zu Kurierdiensten und zur Aufbewahrung von nicht bekannt gewordenen Materialien. Er bezog die Brigitte B., inoffiziellen Hinweisen zufolge, wiederholt in genehmigte journalistische Vorhaben ein. (Richtig! Aber Genosse Major, was ist mit den nicht genehmigten Vorhaben?)
Diese Erkenntnisse sind nicht gesichert.
Menge
Major
Stadtflucht. Das Dorf als Ort der Geborgenheit, fern von Indoktrination. Hier haben sie ihre Ruhe. Die Emigration. „Angelika sollte nicht in Berlin bleiben“, sagt sie. Angelika, die siebenjährige Tochter, dunkelhaarig, hübsch wie die Mutter, schüchtern, verträumt.
„Warum der Ausweg hierher?“, fragt er.
„Sie soll in die Dorfschule gehen. Hier draußen ist sie fern von der sozialistischen Erziehung in der Stadt.“
Er erinnert sich an die Prinzipien sozialistischer Erziehung, das neue Menschenbild, die Getreuen einer neuen Gesellschaft, die alten Lehren Ostrowskis ( Wie der Stahl gehärtet wurde ), die Heroen der Zukunft. 23 Jahre nach seinem Abschied aus diesem Land erkennt er die Strukturen und die Regeln des totalitären Staates: die tägliche Indoktrination, die Verordnung von Parolen, die Verweigerung der Diskussion, die Verfolgung Andersdenkender, das Verbot falscher Fragen. „Ich weiß, es hat sich nichts geändert seit meiner und deiner Zeit, vor 25 oder fünfzehn Jahren“, sagt Müller.
„Nein, es hat sich nichts geändert. Du siehst es. Die Lobgesänge auf die Partei, die Losungen zu Planerfüllung und Völkerfreundschaft, die Aufmärsche. Das meine ich.“
„Was meinst du?“
„Das alles gibt es hier nicht, in der Dorfschule.“
„Angelika, das Landkind?“
„Ja, es ist besser für sie.“
„In ein paar Jahren muss sie zurück, in die Stadt. Das wirst du ihr nicht ersparen.“
„Dann wird es leichter sein, für sie und für uns. Dann war sie Jahre frei, dann hat sie etwas gelernt für später. Jetzt ist es erst einmal besser. Vielleicht muss sie auch zum Ernteeinsatz. So wie früher. Subbotniks. Heute machen wir unsere eigenen Subbotniks, wir dürfen nach der Ernte mit Genehmigung der LPG auf die Felder, nachernten, Kartoffeln und Spargel. Den gibt’s sonst hier nicht zu kaufen.“
Ist er aus Sehnsucht nach Heimat in dieses Land zurückgekehrt, hat er deshalb sich abgewendet von den Bequemlichkeiten Hamburgs, dort alles zurücklassen? Wie gemächlich kommod war es dort gewesen, an Alster und Elbe, in dieser Meeresstadt am großen Strom. Joggen rund um die Außenalster, Spaziergänge in Övelgönne, am großen Fluss, mit Paolino am Wasser, mit dem Chinesen im Kiez von St. Pauli, Hafenrundfahrten, mit der besseren Gesellschaft der Opernbesucher, Zadeks Othello und Hamlet , Peymanns Faust im Schauspielhaus, Boy Gobert am Thalia-Theater, mit Antonio in seinem „Erdbeerparadies“, mit dem Markt unter der U-Bahn, mit dem Fünf-Minuten-Fußweg von der Hansastraße zum Rothenbaum ins Studio, Sendungen morgens, mittags, abends, nachts, geregelt mit Dienstplänen, Begegnungen mit den Honoratioren der Freien und Hansestadt. Partys, Wochenenden im alten Land, bei den Malern und Dichtern in Lüchow-Dannenberg. Hamburg, eine sichere, angenehme, abwechslungsreiche Stadt mit Flair, mit dem Hafen, dem Geruch von Fluss und Meer, für Müller eine der schönsten Hafenstädte der Welt.
Müller erzählt der neuen Frau aus dem Osten aus seinem fernen Leben, von seiner Zeit im Westen, den 23 Jahren zwischen Abkehr und Rückkehr, von der gemütlichen fränkischen Kleinstadt Schwabach und seinen ersten Reportagen für die Zeitung, von seinem Wechsel in die Bischofsstadt Limburg an der Lahn, nach Hannover, Hamburg, Berlin, von seinen gescheiterten Ehen, von der Bindungsunfähigkeit, die er bei sich vermutet, von den Fluchten.
„Und dann kommst du ausgerechnet zu mir?“, fragt ihn Brigitte B.
„Es sollte wohl so sein“, antwortet er.
„Du wirst nicht bleiben. Du kannst nicht bleiben“, sagt sie.
Er weiß, sie würde ihn gehen lassen.
Müller erzählt, von anderen nach seiner Biografie gefragt, Geschichten, die den Bewohnern in diesem Land zwar aus dem Fernsehen bekannt sind, die ihnen dennoch unglaublich erscheinen, die sie nun aber von einem hören, der dabei gewesen ist: bei den Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg, gegen den Schah-Besuch, gegen die Berichterstattung der Springer-Presse, gegen die Haftbedingungen der Mitglieder der Baader-Meinhof-Gruppe, von einem, der die Straßenschlachten in Westberlin, die Proteste gegen die Atommülldeponie in Gorleben im Wendland und gegen den Bau von Brockdorf miterlebt hat.
Manches Mal ertappt er sich zu spät dabei, dass er seine Zuhörer verletzt, ein Angeber, erzählt er von Taucherlebnissen auf den Malediven oder im mexikanischen Cozumel, von den Straßenküchen und den schwimmenden Märkten in Bangkok, von den Fremdenführern in Kairo, Reisen nach Bali, Hongkong, Peru. Ihnen ist alles verwehrt, selbst die nahe gelegenen Ziele: Dänemark, Schweden, Italien, die Schweiz, Österreich.
Ein Ehepaar und ein Eindringling. Der Zerstörer einer Beziehung. Aber: Der Mann von Brigitte B. lässt sie gehen, gibt sie frei. Hier gehören sie einander weniger als drüben, weniger aneinandergebunden, verbunden. Vielleicht wird alles anders. Nur eine Laune. Eine Affäre, die von den Umständen beendet wird. Oder eine Chance. Er hat sich entschieden. Für eine andere – eine, die ihm gefällt. Das Abenteuer in der Krise. Im Land der Trennungen. Land der selbstbewussten Frauen. Unabhängig, von allem, nur nicht von Gefühlen. Das schmerzhafte Ende. Der Versuch des Neuen. Der andere Wolf B., ihr Mann, der verlassene Mann kennt Marlies, eine Begegnung in Ahrenshoop, ein Wiedersehen in Berlin.
Er begehrt Marlies, er verlässt Brigitte B.
In den Berichten, die Wilhelm in der Runde vorgelegt bekommt, wird gemeldet, Müller fahre auffällig häufig nach Halle. Fotos zeigten ihn an unterschiedlichsten Orten in der Stadt.
„Gibt es irgendeine Erklärung?“, fragt Meyer.
„Wir haben noch nichts herausgefunden.“
„Sein Verhalten ist merkwürdig. Vergleichen wir seine Aufenthalte in Halle mit seinen Reisen nach Jena, Dresden oder Rostock, so hat das keinen Sinn“, wendet Dr. Otto ein.
„Keine Adresse, kein Kontakt zu Oppositionellen, nichts.“
„Wo hält er sich auf?“
„Überall, in den Straßen rund um den Marktplatz, an der Saale, auf der Peißnitzinsel, im Zoo, in Reichardts Garten …“
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