Cover
Titel
1. KAPITEL
2. KAPITEL
3. KAPITEL
4. KAPITEL
5. KAPITEL
6. KAPITEL
7. KAPITEL
8. KAPITEL
9. KAPITEL
10. KAPITEL
11. KAPITEL
12. KAPITEL
13. KAPITEL
14. KAPITEL
15. KAPITEL
16. KAPITEL
17. KAPITEL
Auswahl historisch belegter Persönlichkeiten
Ausschnitt aus einem Interview mit der Autorin
Zur Autorin
Leseprobe aus der geplanten Fortsetzung der Geschichte um Magdalene Rehnikel
Impressum
Fußnote
Auch in dieser Nacht träumte Magdalene den alten Traum. Deutlich stand Jeans Gestalt vor ihr. Es war dasselbe Bild, das sie schon oft genarrt hatte: Sie sah, wie Jean den Pfad zu ihrer Hütte heraufkam, er hatte die Mundwinkel im Lächeln auseinandergezogen und winkte. Er winkte dem Mädchen in der Tür. Das war Magdalenes Gestalt, Magdalenes Körper, aber er winkte nicht ihr. Er winkte der anderen Frau, die er in ihr sah. Sein langes Haar wehte im Wind, sein verschlissener Mantel flog, er sprang über einen Stein. Die Kiesel spritzten unter seinem Schuh zur Seite; er kam näher, breitete die Arme aus und zog diese Frau an sich, die Magdalene war und die sie doch nicht sein konnte.
*
Am frühen Abend des 8. Juni 1690, einem Donnerstag, sprach Magdalene Bertram das erste Mal seit elf Monaten mit ihrer Freundin Sybille. Sie trafen sich zufällig, als das Mädchen vor die Haustür ihres Onkels in die Märkerstraße trat, um das dreckige Wischwasser auszukippen. Magdalene holte Schwung und schüttete es in einem hohen Bogen quer über die Straße. Die glitzernden Tropfen standen für einen Augenblick als silberner Bogen in der Luft und erloschen auf dem Boden. Magdalene streckte sich, um den Rücken geradezubiegen, und stellte den Holzeimer neben sich ab. Sie schaute sich um. Der Tag musste herrlich gewesen sein, denn auf dem gepflasterten Mittelstreifen der Straße lag noch der warme Glanz der Abendsonne, deren letzte Strahlen gerade über das Dach der gegenüberliegenden Akademie lugten. Ein spätes Fuhrwerk ratterte über die Steine, der Kutscher knallte die Peitsche, um das Pferd in seinem müden Trott noch das kurze Stück bis zum halleschen Marktplatz zu bewegen. Ein paar Hunde stießen auf der Suche nach Abfall ihre Schnauzen in den Staub. Fußgänger strebten der Ulrichskirche zu, die zwei Gassen hinter dem Haus der Familie Bertram steil aus dem Häusermeer aufragte, gut gekleidete Bürger auf dem Weg zur Abendandacht. In der Luft wogte ein Rest der Sonnenwärme dieses Tages. Magdalene wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»He, Lene!« Ihre Freundin Sybille näherte sich. Sie war einer der Menschen, die immer zu lachen schienen. Von ihren schweren Pflichten im Haus gegenüber, der Ritterakademie, wirkte sie kaum gedrückt. Sybilles Kleid strahlte hell, als wäre es nicht grob und für die Arbeit gemacht. Sie trug einen Gemüsekorb über dem Arm, darin schleppte sie drei schwere Kohlköpfe. Den Korb schwenkte sie, als wären es Wollknäuel, und rief: »Wie schön, dich wiederzusehen! Es sieht alles aus wie früher. An deiner Arbeit hat sich nichts geändert, oder? Lässt sie dich immer noch wischen?«
Magdalene seufzte. »Das dritte Mal diese Woche. Sie macht ein Drama um diesen Fußboden, dabei ist er nur da, um drauf rumzutrampeln.«
Sybille streifte die Haube ab, und ihre rotblonden Locken quollen über die Schultern. Sie strich darüber, schlang die leuchtende Flut um die Hand und stopfte sie unter das grob gewebte Leinen. »Man sagt, du hast ganz schön was hinter dir.«
Magdalene nickte ernst.
Die Freundin zog die Stirne kraus und fragte flüsternd: »Und was hast du erlebt? Erzähl!«
»Tut mir leid, darüber kann ich nicht reden.« Magdalene verschränkte die Arme vor der Brust.
Sybille hob die Brauen: »Soso.« Sie spitzte den Mund. »Ein Kind hast du gekriegt, sagen die Leute. Hast du nicht eine Menge Ärger? Haben sie dich nicht bestraft? Auf jeden Fall wirst du jetzt schnell verheiratet werden. Das ist Strafe genug.«
Ehe sie weitersprechen konnte, knarrte hinter den Mädchen die Haustür. »Lene, ab ins Haus«, stach Tante Dorotheas Stimme zwischen die beiden. Bedauernd zuckte Sybille die Schultern und beugte sich über ihren Korb. Magdalene wandte sich ihrem Zuhause zu. Hier war sie auch nicht viel mehr als eine Magd.
Tante Dorothea hatte tagsüber die Verantwortung für Magdalene zu tragen. Das war schon früher so gewesen. Sie erzog das Mädchen zu dem, was sie für rechtschaffen, nützlich und sittlich hielt. Die Tante musterte Magdalene von oben bis unten. »Du wirst niemals eine brave Ehefrau, wenn du dermaßen nachlässig bist«, schimpfte sie. »Geh hinein und wische weiter, der Boden ist noch nicht richtig sauber!«
Die Tante war durch und durch flachsblond, ihre bleiche Haut, das Haar und ihre gelbliche Haube schienen in eins verschmolzen. Ihre knochigen Hände konnten kräftig zupacken. Zu alledem war sie lang und dürr und überragte ihren Mann um einige Zoll. Magdalene hob das Kinn und konnte ein Grinsen nicht verhindern. Tante Dorotheas Nase vibrierte vor Ärger dermaßen, dass der Tropfen, der ständig daran hing, ins Schaukeln geriet. Das Lächeln brachte dem Mädchen eine Kopfnuss ein, während es an der Tante vorüberschlüpfte.
Im Hof schöpfte Magdalene frisches Wasser in den Eimer. »Du wirst niemals eine brave Ehefrau«, äffte sie ihre Tante nach und verdrehte die Augen. Sie seufzte und wandte sich erneut der Arbeit zu.
Wie schon den halben Nachmittag glitt der löchrige Haderlumpen gleichmäßig über den Steinboden. Es war ein polierter Boden aus schwarzen und weißen Platten. Der Onkel hatte ihn erst vor zwei Jahren legen lassen. Magdalene wusste, dass er damit vor den Besuchern protzen wollte. Die Steinplatten lagen im Muster wie ein Schachbrett, das sah tatsächlich edel aus. Magdalene lag auf den Knien und biss die Zähne zusammen. Sie hatte die Ärmel aufgekrempelt und den Rocksaum in den Bund gesteckt, damit ihr Kleid nicht nass wurde.
Die Tante gab ihr Kontrollamt auf und stieg mit festem Schritt nach oben. Das Mädchen atmete durch und richtete sich auf. Kein Mensch würde sehen, ob sie jetzt noch länger über die Steine fuhr. Magdalene wrang den Hader aus, bis der mürbe Stoff riss. Wie den vorigen, trug sie auch diesen Eimer zur Haustür und schüttete das Wasser in hohem Bogen auf die Straße.
Sybille war nicht mehr zu entdecken.
Vor der Tür streckte sich Magdalene und krempelte die Ärmel herunter. Nachdenklich lehnte sie sich an die Hauswand. Die letzten abendlichen Sonnenstrahlen ruhten auf dem Gesicht der Siebzehnjährigen. Sie seufzte und wandte sich zurück zur Haustür.
Es war Zeit für das Abendessen. Die Familie aß erst in der Abenddämmerung und die hatte heute, gemessen am Hunger, viel zu lange auf sich warten lassen. Magdalene und die alte Magd Anna trugen das Essen über die breite Treppe mit dem gedrechselten Geländer hinauf in den ersten Stock. Gegessen wurde oben in der guten Stube. Unten, neben dem Eingang, lag zur Linken die Küche, zur Rechten die Bibliothek von Magdalenes Onkel Conrad. Er arbeitete in diesem Raum, da kamen die Besucher hin. Das Geschäft musste vorn am Eingang seinen Platz haben. Deshalb schleppten die Frauen, was es an Essen gab, jeden Tag hinauf in den ersten Stock.
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