Die Wüste als unbewohntes und einsames, unwirtliches Areal wurde in den ersten Jahrhunderten des Christentums zum bevorzugten Lebensort der Mönche. Dieses Umfeld führte dazu, dass sie sich auf das Wesentliche konzentrierten, auf ein Leben mit Gott.
Diese Haltung der Mönche können wir uns wieder bewusst machen, ganz im Sinne einer Regel von Taizé: „Bewahre in allem die innere Stille, um in Christus zu bleiben.“ Diese Stille führt uns zur wesentlichen Frage: Wo liegen die entscheidenden Aufgaben in meinem Leben? Wo ist sein Sinn?
Ausgewogen leben – im Spannungsfeld von Rückzug und Öffnung
In den ausgelassenen Festen des Faschings verspüren viele Menschen Einsamkeit, durchleiden Melancholie, wenn sie durch ihr Schicksal nicht an der ungestümen Freude der anderen teilhaben können. Und oft erleben wir uns in einer Spannung zwischen unseren Stärken und Fähigkeiten und den Erwartungen an uns. In vielen Lebensbereichen begegnen wir diesem Spannungsfeld, stehen wir vor der Frage: Wo brauche ich mehr Rückzug, wo wünsche ich mir mehr Öffnung auf andere Menschen hin?
Authentisch leben – durch schützende Grenzen
Eine dritte Ermutigung. Zweifellos sind die neuen Kommunikationsmöglichkeiten wie Handy, Smartphone oder Internet für uns alle eine gute Hilfe, um mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen und zu bleiben. Wenn es jedoch nicht gelingt, dabei klare Grenzen zu ziehen, dann kann die Außenwelt zu jeder Tages- und Nachtzeit in unsere Innenwelt einbrechen. Rückzugsorte und Kraftquellen werden dadurch ausgetrocknet, liegen brach. Ermutigend können wir uns fragen: Welche Grenzen möchte, ja muss ich setzen, damit die Quellen meines Lebens nicht versiegen?
In vielen Bereichen unseres Lebens gilt es, Maß zu halten und sich selbst nicht aus den Augen zu verlieren. Der Zwang, vieles zu erleben, der Zwang, überall dabei zu sein, „mitten drin“ zu stehen, überfordert uns bisweilen. Körper und Seele brennen aus. Wüste, das ist der bewusste Weg hinein in eine erträgliche Durststrecke, das ist ein Aufruf zu Abgrenzung und Langsamkeit. Ziel soll sein, dass wir sagen können: Ja, ich bin zu Hause, wenn ich mich besuche.
FEBRUAR
DIE FREUDE TEILEN
Binde deinen Karren an einen Stern
„Wer einen Karren fährt, muss gut auf den Weg achten“, das wissen die vielen Bergbauern, die in unserem schönen Land leben, sonst stürzt der Karren um. Es besteht sogar die Gefahr, tödlich zu verunglücken. Wir schieben den Karren vor uns her und blicken voraus, damit wir die Hindernisse sehen, die auf dem Weg liegen.
Leonardo da Vinci 9, der berühmte Schöpfer der Mona Lisa, gibt uns einen anderen Rat: Binde deinen Karren an einen Stern. Was bedeutet es, das Alltägliche, das wir tun und tun müssen, wenn es die Lebenssituation von uns erfordert, an einen Stern zu binden?
Dieser große Künstler der Renaissance ist überzeugt: Wir müssen uns an den Sternen orientieren, nicht am Boden, sonst werden wir blind. Wer seinen Karren an einen Stern bindet, der sieht über die Hindernisse hinweg und bleibt nicht an ihnen haften. Er kann seinen Karren auch bei Hindernissen mit Gelassenheit und Freiheit weiterziehen, weil er sein Herz an den Stern geheftet hat.
Das kann auch für das Fasten und Verzichten gelten. Fasten bedeutet nicht nur, sich mit kleinen Dingen abzuquälen, weniger Kaffee, weniger Schokolade, mehr Zeit für dieses oder jenes, Fasten heißt, sein Herz an einen Stern zu binden.
Ein Fasten, wie ich es liebe …
„Ist das ein Fasten, wie ich es liebe, ein Tag, an dem man sich der Buße unterzieht: wenn man den Kopf hängen lässt, so wie eine Binse sich neigt, wenn man sich mit Sack und Asche bedeckt? Nennst du das ein Fasten und einen Tag, der dem Herrn gefällt? Nein, das ist ein Fasten, wie ich es liebe: die Fesseln des Unrechts zu lösen, die Stricke des Jochs zu entfernen, die Versklavten freizulassen, jedes Joch zu zerbrechen. An die Hungrigen dein Brot auszuteilen, die obdachlosen Armen ins Haus aufzunehmen, wenn du einen Nackten siehst, ihn zu bekleiden und dich deinen Verwandten nicht zu entziehen. Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte und deine Wunden werden schnell vernarben. Deine Gerechtigkeit geht dir voran, die Herrlichkeit des Herrn folgt dir nach.“ (Jesaja 58,5–8)
Das Herz an einen Stern hängen
Der Prophet Jesaja zeigt uns den Stern, der unser Leben prägen kann. Wem kann ich durch ein gutes Wort Freiheit verkünden aus der Enge seines Denkens, seiner Angst, seiner Verzweiflung? Wem kann ich durch eine gute Tat helfen aus der Armut, die ihn niederdrückt? Wen kann ich bei der Hand nehmen, um ihm zu zeigen, wofür er blind ist oder was er nicht mehr sehen kann, weil Tränen seine Augen trüben?
Verbringen wir unser Leben nicht mit der Bekämpfung täglicher Hindernisse, sondern hängen wir unser Herz an einen Stern, einen Stern, der uns leuchtet und auf einen anderen Horizont hinweist, auf ein jenseitiges Land.
Ich will es – werde rein!
Aussatz hat in unseren Tagen viele Gesichter: Ich bin alt. Ich bin einsam. Ich bin behindert. Ich habe Aids. Ich bin arbeitslos. Ich bin geschieden. Ich hänge an der Nadel. Ich bin finanziell ruiniert. Ich habe Schuld auf mich geladen. Ich bin Ausländer. Ich habe keinen Gesprächspartner. Und, und, und …
Alle diese Erfahrungen führen oft in die Einsamkeit und die Isolation. Damals wie heute. Wenn keine(r) mehr in der Nähe ist und die Einsamkeit unserer Seele den Atem nimmt, dann stellt sich die Frage, was denn noch Halt gibt. Wenn kein Mensch uns hält, worauf kann man sich dann noch verlassen? Fragen, die am tiefsten bohren, bringen manchmal die wichtigsten Antworten.
Im Evangelium wird erzählt, wie Jesus einen Aussätzigen heilt, wie er diese Mauer der Einsamkeit, die einen Menschen eingeschlossen hat, durchbricht (Markus 1,40–45). Er ignoriert alle Regeln der medizinischen Vernunft von damals, indem er auf Aussätzige zugeht. Aussatz war unheilbar und extrem ansteckend. Betroffene Menschen mussten durch Schreien und Geräusche auf sich aufmerksam machen, damit man ihnen rechtzeitig aus dem Weg gehen konnte. Doch Abstand und Distanz können die Wunden der Einsamkeit nicht heilen.
Körper und Seele werden heil
Die Heilung des Aussätzigen hat mehrere Ebenen. Jesus gibt dem Kranken zunächst seine körperliche Gesundheit wieder. Der Aussatz verschwindet. Aber er geht noch weiter: Er berührt den Aussätzigen.
Mit Bedrückung denke ich an die vielen Tausend Leprakranken unserer Tage: verstümmelte Hände und Füße, entstellte Gesichter. Medikamente können den Zerfall des Körpers stoppen. Aber sie heilen nicht die Wunden der Seele. Keine Berührung aus Angst vor Ansteckung. Kein wertschätzender Blick, weil der Anblick so unerträglich ist. Keine Umarmung, weil Ekel sich breit macht. Diese Verletzungen der Seele sind nur durch Liebe heilbar. Jesus hatte Mitleid. Er streckte die Hand aus. Er berührte den Aussätzigen.
Christus handelt nicht nach großen Konzepten und Plänen. Es braucht einfach den Mut zur Begegnung, den Mut, einem Menschen das Gefühl der Nähe, der Achtung, des Vertrauens zu schenken, um die Formen des Aussatzes heute zu heilen.
Der Schriftsteller Rainer Maria Rilke 10erzählt von einer Erfahrung, die er in Paris gemacht hat. Täglich ging er um die Mittagszeit an einer alten Bettlerin vorbei. Wie unzählige andere Menschen in dieser Stadt saß diese Frau da und nahm die Gaben der Vorübergehenden entgegen, ohne jedes Anzeichen der Dankbarkeit. Rilke sagte zu seiner Begleiterin: Man müsste ihrem Herzen schenken, nicht ihrer Hand. Eines Tages erschien Rilke mit einer wundervollen Rose und legte sie in die Hand der Bettlerin. Da geschah etwas Merkwürdiges: Die Frau stand auf, griff nach seiner Hand, küsste sie und ging mit der Rose davon. Eine Woche lang blieb sie verschwunden. Dann saß sie wieder auf ihrem Platz, stumm, starr wie zuvor. Wovon hat diese Frau die ganze Woche gelebt? – Sie lebte von dieser Rose, diesem Zeichen herzlicher und menschlicher Begegnung. Überall, wo Christinnen und Christen so leben, ereignet sich, was Jesus wollte: das Reich Gottes.
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