Die Weihnachtsmondfee? Nun war Mia platt. Von einer Weihnachtsmondfee hatte sie noch nie etwas gehört. Nicht einmal Opa, der sonst alles weiß, hatte davon berichtet.
„Und was ist die Weihnachtsmondfee?“, fragte Mia ihre große Schwester.
Nele kratzte sich leicht am Kopf unter ihrem silbernen Pony, als schien sie zu überlegen, und dann antwortete sie: „Die Weihnachtsmondfee lebt auf einem Stern, gleich neben dem Mond. Meistens schläft sie, aber zu Weihnachten hilft sie dem Christkind oder dem Weihnachtsmann. Sie kann nur zu uns kommen, wenn der Mond in der Weihnachtszeit besonders schön strahlt und er sein Licht auf ein ganz besonderes Kind wirft.“
Mia zog düster ihre Stirn in Falten. Warum war Nele ein besonderes Kind und sie selbst nicht? Es schien immer ungerecht zwischen den Schwestern zuzugehen!
„Ich bin auch ein besonderes Kind“, sagte Mia trotzig. Jedenfalls sagte Opa immer: „Das sind zwei ganz besondere Mädchen.“ Zwei! Also meinte er auch sie.
„Na, wenn du denkst“, sagte Nele, „dass du auch besonders bist, dann komm mit!“
Leise schlichen sie an der Wohnzimmertür vorbei. Durch das milchige Glas der Scheibe nahmen sie die brennenden Lichter des Weihnachtsbaums wahr und eine Silhouette, die sich um ihn herum bewegte.
„Das Christkind“, flüsterte Mia.
Nele nickte und öffnete vorsichtig, ohne ein Geräusch zu erzeugen, die Wohnungstür zum Treppenhaus. Hier war es kühl und dunkel. Aus der Wohnung von Nachbarin Frau Grüner verteilte sich durch die geschlossene Tür ein Geruch von Gänsebraten durchs Haus.
„Wo gehen wir hin?“, fragte Mia, der nun ängstlich zumute wurde.
„Nach oben, auf den Dachboden natürlich“, flüsterte Nele zurück. „Wir müssen dem Mond so nah wie möglich sein.“ Gerade noch fand die große Schwester alles so gut und toll. Aber nun beschlich auch sie ein leicht mulmiges Gefühl. Fest fasste sie Mias Hand und gemeinsam stiegen sie die Stufen empor.
Als sie die Tür zum Dachboden öffneten, atmete ihnen ein kalter Hauch entgegen. Hier war es noch düsterer und es roch nicht mehr nach Frau Grüners Gänsebraten. Hier roch es nach Staub und altem Holz. Nele zog ihre Schwester mit sich bis zur Dachluke und dabei stöhnten ganz schauerlich unter ihren Füßen bei jedem Schritt die hölzernen Balken mit lautem Quietschen auf.
Mit großen Augen sahen die beiden Schwestern zur Luke hinauf. Nele griff den eisernen Riegel und stemmte das Fenster nach oben. Ein wilder Flockenwirbel tanzte auf die Mädchen herab. Es schneite. Der Schnee fiel aus den Wolken, und wenn Wolken am Himmel waren, so konnte man keinen Mond sehen. Das war klar.
„Da hast du aber Pech“, sagte Nele ganz und gar nicht traurig. „Wenn die Wolken den Mond nicht auf die Erde scheinen lassen, kann die Weihnachtsmondfee dich nicht sehen. Also werde ich wohl das einzige Mädchen mit so wundervollem Silberhaar bleiben.“
Aus Mias Augen quollen dicke, heiße Tränen hervor und ließen in ihnen die tanzenden Schneeflöckchen sofort schmelzen. Traurig sagte Mia: „Ich wollte aber auch besonders sein und solch wunderschön glänzendes Silberhaar haben wie du.“
Nele tat es leid, als sie ihre Schwester so traurig auf dem kalten dunklen Dachboden stehen sah. Kurz überlegte sie und sagte: „Ich hab’s! Du musst nur laut singen. Am besten Weihnachtslieder. Dann haben die Wolken vielleicht ein Einsehen. Sie rutschen beiseite, der Mond leuchtet auf uns herab und die Weihnachtsmondfee kann dich sehen und dir auch solch wunderschönes Haar zaubern.“
Nele glaubte zwar selbst nicht so recht daran, dass man mit laut gesungenen Weihnachtsliedern Wolken beiseite wünschen konnte. Aber sie hatte es ihrer Mia so überzeugend erzählt, dass die Kleine sofort begann, lautstark zu singen. „Bald nun ist Weihnachtszeit, fröhliche Zeit, jetzt ist der Weihnachtsmann gar nicht mehr weit …“
Das half nicht. Doch Mia gab nicht auf. Sie sang „Stille Nacht, heilige Nacht“. Und etwas lauter „Lasst uns froh und munter sein“ und noch lauter „Morgen Kinder wird’s was geben“. Und dann, als sie fast „Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum, wie grün sind deine Blätter“ schrie, hörte plötzlich der Flockentanz auf und wie ein Wunder blitzte zwischen den Wolken der Mond hervor. Mia musste fast die Augen ein wenig zusammenkneifen, so hell leuchtete ihr der Mond ins Gesicht.
„Jetzt wird sie mich sehen, die Weihnachtsmondfee“, freute sich Mia und klatschte vor Freude in die Hände. „Hier! Hier bin ich“, schrie sie zur Dachluke hinaus und winkte wie wild dem Mond glückselig zu.
Und da sprach plötzlich eine sanfte, liebe Stimme zu ihnen: „Was macht ihr beiden hier oben auf dem Dachboden?“
„Die Weihnachtsmondfee! Hast du das gehört? Da ist ihr Stern! Ich sehe sie!“, rief Mia staunend, zeigte nach oben und merkte, wie sich ganz zart auf ihren Kopf etwas legte.
„Hallo Mama“, stammelte Nele, die sich umgedreht hatte und nun erschrocken in das Gesicht der Mutter blickte. Dann fiel ihr Blick auf Mamas Hände, auf denen sie Pappschachteln mit dem Aufdruck von Christbaumkugeln sah. „Ich dachte, das Christkind schmückt den Weihnachtsbaum“, sagte Nele leicht vorwurfsvoll und freute sich, Mama sozusagen ertappt zu haben.
„Und ich dachte“, sagte Mama, „Lametta hängt man sich nicht auf den Kopf, sondern eben an den zu schmückenden Weihnachtsbaum.“
Das verstand Nele nicht. Soeben hatte Mama doch selbst Lametta auf Mias Kopf verteilt, sodass sie nun genau das gleiche Silberhaar hatte wie sie. Mia hatte von all dem natürlich nichts gemerkt, weil sie nur die Weihnachtsmondfee angehimmelt hatte.
„Und ich dachte“, hörte man Frau Grüner aus dem Hintergrund, „dass hier ein Weihnachtskonzert ist. Also mir hat die Musik gefallen.“
Jetzt mussten Nele und Mama lachen. Und Mia sagte: „Mama, guck mal! Auch ich bin ein besonderes Kind. Auch mir hat die Weihnachtsmondfee Silberhaar geschenkt. Jetzt sehe ich so schön aus wie Nele.“
„Ja, das habe ich schon immer gewusst“, sagte Mama, „dass meine beiden Mädchen etwas ganz Besonderes sind.“
„Und deswegen“, sagte Nele, die schon wieder einen überaus guten Einfall hatte, wie sie selbst meinte, „gibt es morgen ein Dachbodenweihnachtsmondfeekonzert. Mit den Solisten Nele und Mia. Da sind sie herzlich eingeladen, Frau Grüner. Und der Opa natürlich auch.“
„Und wer weiß“, sagte die kleine Mia geheimnisvoll. „Vielleicht zeigt sich die Weihnachtsmondfee ja noch einmal, sieht hier einen ganz besonderen Menschen und beschenkt ihn mit so wundervollem Silberhaar.“ Dabei guckte sie Mama ganz tief in die Augen und zwinkerte ihr hoffnungsvoll schmunzelnd zu.
Kathrin Sehland, Jahrgang 1964, lebt und schreibt in Wilkau-Haßlau, einem Ort am Flüsschen Mulde, wo vor einigen Hundert Jahren noch Wölfe durch dichten Wald streiften. Die Maschinenbauzeichnerin und Wirtschaftskauffrau ist verheiratet, hat zwei Kinder, hält sich mit Badminton fit und genießt die Fahrten per Rad entlang der fließenden Mulde.
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