1 ...6 7 8 10 11 12 ...16 Nathan nickt. »Von mir aus gern. Amy, bist du dabei?«
Wenig später sitzen wir mit Käsepizza und Getränken in der Cafeteria.
Nathan sieht sich um. »Also, vermisst habe ich das Schulessen nicht. Die Pizza in Italien ist eindeutig besser«, stellt er fest und nimmt einen Bissen von seinem Pizzastück.
Jill fällt gleich mit der Tür ins Haus. »Das mit den Karten war jedenfalls sehr nett von dir. Bist du immer so großzügig gegenüber wildfremden Mädchen?«
Lächelnd sieht er mich an. »Okay, deine Freundin ist wirklich direkt.«
»Kann man so sagen«, pflichte ich ihm bei, nachdem ich das ziemlich zähe Stück Pizza in meinem Mund mit viel Cola hinuntergespült habe.
»Nun, nein. Amy ist mir schon auf der Tower Bridge aufgefallen«, antwortet er.
Meine Wangen werden ganz heiß. Er ist auch sehr direkt, das kann ich nicht leugnen. Wenn man eine solch bedeutende Familie hat, mangelt es einem wahrscheinlich nicht an Selbstvertrauen.
»Was hast du auf der Tower Bridge gemacht?«, will Jill wissen.
Nathan antwortet mit einer Gegenfrage. »Ich weiß nicht, ob euch bekannt ist, wofür die Familie Kane steht?«
»Soweit ich weiß, hauptsächlich für Immobilien.«
»Ja, Immobilien sind das Hauptgeschäft. Aber mein Dad ist auch an vielen anderen Firmen beteiligt. Zudem setzen wir uns als Sponsor dafür ein, wichtige Gebäude in London zu erhalten. Mein Dad liebt die Kunst und alles Historische. Deswegen war ich auch auf der Tower Bridge. Ich habe dort sozusagen meinen Dad in einer wichtigen Sache vertreten. Die Brücken und all das, was London ausmacht, soll ja auch erhalten bleiben.«
Okay, als ob London die Brücken abreißen würde, denke ich, sage aber: »Und wie bist du an die Karten fürs Closer gekommen? Gehört deinem Vater zufällig auch der Club?«
Er lacht und sieht mir fest in die Augen. »Nun, das ist ein Geheimnis, das ihr nur erfahrt, wenn ihr auf die Party kommt. Aber so viel vorweg: Es hat auch nicht alles mit meinem Vater zu tun.«
Nun gesellen sich Mary und Ashley zu uns und verwickeln Nathan in ein Gespräch. Mich wundert ja, dass Lilly nicht schon längst zu uns hergekommen ist – sicher weiß sie auch, wer Nathan ist. Eigentlich dachte ich, dass sie sofort versuchen würde, ihr Revier abzustecken. Immerhin ist er ja, wie Jill sagte, eine gute Partie. Doch dann entdecke ich sie zusammen mit Louis ein paar Tische weiter und spüre einen kurzen Stich im Bauch. Warum unterhält er sich gerade mit ihr? Weil sie reich ist, Juwelierstochter und nicht schlecht aussieht? Nett ist sie ja nicht gerade. Okay, das ist gemein, dennoch – anders als mir schenkt er ihr ein leichtes Lächeln und streicht sich durch die Haare, während sie noch ein wenig näher an ihn heranrückt. Na toll. Eigentlich kann es mir ja egal sein, trotzdem frage ich mich, woher diese unheimliche Anziehungskraft kommt, die Louis auf mich ausübt und die ich mir nicht erklären kann. Ich muss mich regelrecht dazu zwingen, ihn nicht anzustarren. Um nicht ertappt zu werden, sehe ich lieber rasch weg.
Nathan scheint es aber bemerkt zu haben, denn er rollt demonstrativ mit den Augen. »Der Typ ist mal wieder im Flirtmodus. Armes Mädchen.«
Was soll das denn jetzt heißen?
Mary scheint die Gelegenheit beim Schopfe packen zu wollen, um Nathan auszuquetschen. »Für mich sah es so aus, als ob dein Dad heute wegen ihm hier war. Ich habe gehört, es gibt da Probleme?«, fragt sie ihn ganz direkt, wofür ich ehrlich gesagt dankbar bin.
Er nickt. »Das hat sich wohl schon herumgesprochen. Der Grund für die Probleme ist allerdings eine lange Geschichte. Auf jeden Fall ist es ärgerlich, dass er auf diese Schule gehen darf.« Er zieht die Stirn kraus.
»Das heißt also, ihr kennt euch schon länger?«, will ich wissen. Was man ja durchaus schlussfolgern kann.
Nathan verzieht das Gesicht. »Nun, länger kennen ist übertrieben, aber wir hatten bereits das Vergnügen, ja.«
Doch er wechselt eilig das Thema. »Die nächste Stunde geht gleich los. Was steht bei euch auf dem Plan?«, fragt er, während er aufsteht und nach seinem Tablett greift.
»Wir haben jetzt Biologie.«
Er lächelt mir zu. »Zu schade. Dann sehen wir uns erst morgen wieder.«
Schließlich geben wir unsere Tabletts mit dem benutzten Geschirr an der Theke ab und machen uns auf den Weg in die Klassenzimmer.
»Die beiden können sich eindeutig nicht riechen«, sagt Jill ganz in ihrem Sherlock-Holmes-Modus.
»Das ist wohl so«, sage ich.
»Die Frage ist nur, warum.«
»Was hältst du davon, wenn wir noch ein bisschen bummeln gehen? Ich habe da was Cooles auf Instagram bei KassiLondon entdeckt. Das will ich dir zeigen, soll ein absoluter Geheimtipp sein«, sagt Jill, als wir am Freitag bei strahlendem Sonnenschein aus dem Schulgebäude treten. Die Woche ist geschafft, zum Glück, denn auf den Unterricht konnte ich mich kaum konzentrieren. Meine Gedanken gaben irgendwie keine Ruhe.
»Und was ist das für ein Geheimtipp?«
»Es soll das beste Eis und Cupcakes geben und richtig tolle Süßigkeiten, und die beruhigen ja die Nerven.«
Gegen Nervennahrung habe ich in der Tat nichts. Die Tage waren mehr als aufreibend.
»Und wer weiß, vielleicht finden wir ja auch noch was Hübsches für die Party«, fährt Jill fort. »Ich bin so aufgeregt, wirklich. Das wird ein geniales Wochenende.«
Verwundert sehe ich sie an.
»Ich dachte, du hast schon einen Kleiderplan?«
Sie zuckt mit den Schultern. »Hab ich auch. Aber Klamotten kann man doch nie genug haben, oder?«
Sie stoppt. »Sorry, die Sache mit dem Geld, ich bin echt blöd. Aber ein bisschen schauen? Wär das okay?«
»Schauen geht immer«, sage ich und lächle. »Und Süßigkeiten sowieso.«
Auch wenn ich nicht mehr viel Taschengeld habe, weiß ich, dass mich der kleine Bummel sicher von den vielen Gedanken über Nathan und Louis, die mich in dieser Woche immer wieder eingeholt haben, ablenken wird.
Ich weiß nicht, was das mit Louis ist, aber in den letzten Tagen hatte ich das Gefühl, dass er mir bewusst aus dem Weg geht. Immer wenn wir uns begegneten, warf er mir merkwürdige Blicke zu und wechselte sogar ab und an die Flurseite. Natürlich kann es auch sein, dass ich mir das nur eingebildet habe. Aber irgendwie lässt mich der Gedanke nicht los, dass es doch so ist und dass dieses Verhalten etwas mit mir zu tun hat.
Ob er am Ende doch auch etwas gespürt hat und mich deswegen meidet? Ich muss an die kurze Berührung denken, als er sich nach der ersten Geschichtsstunde an mir vorbeischob, und an dieses Kribbeln, das sich dabei in mir ausbreitete. Die Berührung war nur flüchtig, und auch wenn sie keine Bilder in mir hervorrief, war da doch dieses kurz aufflammende Licht.
Okay, es klingt verrückt.
Vielleicht ist er auch einfach noch immer sauer wegen des Etuis? Und wenn er mich einfach so nicht leiden kann, dann eben nicht.
Ganz anders ist da Nathan, der sich gern mit mir zu unterhalten scheint und auch durchaus charmant ist. Wir haben ein paarmal zusammen gegessen, dabei erzählte er uns einiges von seinen Reisen.
Wir fahren schließlich mit der U-Bahn zum Covent Garden.
Dort angekommen, biegen wir um eine Ecke, überqueren die Straße, bis Jill auf ein Café deutet, über dessen Eingang der Schriftzug Becci’s Sweets & Cakes & Creams prangt. »Ha, das ist es! Das Café, von dem KassiLondon geschrieben hat!«
Als wir in der ewig langen Schlange stehen – die eindeutig davon zeugt, dass der Geheimtipp wohl doch nicht mehr ganz so geheim ist –, frage ich mich, ob die Idee mit dem Eis wirklich so gut ist. »Das dauert ja ewig«, jammere ich.
Jill wirft mir einen mahnenden Blick zu. »Ab und an muss man für so geheime Geheimtipps eben auch anstehen.«
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