Die Sache war ziemlich kompliziert, wenn man bedenkt, dass bei unserer doppelten Ausrüstung 12 MGs eingerichtet werden mussten. Im Prinzip war es das Feuerleitsystem, mit dem unser Granatwerferzug grundsätzlich schoss und die Artillerie allgemein, soweit diese sich nicht schon der Schallmessmethode bediente. Ich war für dieses Verfahren ausgebildet, habe aber an der Front nie erlebt, dass es angewandt wurde, weil es zu umständlich und zeitraubend war.
Ich hatte – wohl weil ich ein relativ breites Kreuz vorweisen konnte – das zweifelhafte Vergnügen, während der ganzen Berliner Ausbildungszeit Schütze 2 zu sein. Dabei lief ich mir dicke Blasen an den Füßen, weil ich Paradestiefel der Vorkriegs-LAH in der kleinsten vorhandenen Größe 45 tragen musste, meine relativ bescheidene Größe 42 gab es nicht.
Zwei Monate und drei Wochen nur dauerte meine Ausbildung in Berlin-Lichterfelde. Gelernt habe ich für den Einsatz außer dem Dienst an den Waffen und dem exerziermäßigen »Griffekloppen« kaum etwas, was ich nicht schon längst besser konnte. Immerhin hatte ich es im Sommer 1940 als einziger Absolvent aus Eupen-Malmedy in einem vierwöchigen Lehrgang für HJ-Führer in Blumenthal in der Eifel, der von Wehrmachtsoffizieren geleitet wurde, zu einem so genannten »K-Übungsleiter« gebracht und damit die Befähigung als vormilitärischer Ausbilder in der HJ erlangt, mich in dieser Funktion allerdings anschließend nie betätigt. Immerhin hatte ich dabei unter anderem Dinge wie Geländekunde, den Umgang mit militärischen Messtischblättern und die verschiedenen Arten der Zielerkennung und -beschreibung gelernt: Fertigkeiten, von denen in Lichterfelde nie die Rede war.
In meiner Zeit als junger Rekrut nützte mir das wenig; es galt – wie ich bald merkte – im Gegenteil, sich tunlichst nicht klüger zu zeigen als die Unterführer, die uns als das behandelten, was wir in ihren Augen waren: »Schlipse«, also absolut blödsinnige Anfänger, denen sogar das Gehen und Stehen mühsam und mit einem geradezu ungeheuren Aufwand an Gebrüll beigebracht werden musste; das vorschriftsmäßige Hinlegen nach HDV *) mit »Auf, marsch, marsch!«, Kniebeugen und Liegestütze wurden bis zum Erbrechen geübt – so wurde der angestrebte Endzustand des methodischen »Fertigmachens« genannt. Das Ganze hatte offenbar den Zweck, uns den bevorstehenden Weg an die Front als eine Art Erlösung erscheinen zu lassen. Eine Spezialität zur Hebung der Ausbildungsmoral waren bei der 4. E-LSSAH die »Kalten Klamotten«: Der Delinquent, der sich in der Liegestütz-Position befand, musste mit allen Vieren gleichzeitig vom Boden abspringen und im »freien Raum« Hände und Füße gleichzeitig aneinander schlagen, je nach Laune des Ausbilders 20- oder auch 50-mal.
Dass die schnelle Handhabung des MG im Team immer wieder geübt wurde, konnte man als sinnvoll ansehen, das Gewehrexerzieren und vor allem die Schleiferei zur Beherrschung des perfekten Stechschritts hätte allenfalls zur gloriosen Parade nach dem Endsieg vor dem Führer getaugt.
Körperlich bekam mir die harte Ausbildung ausgezeichnet, nie mehr war ich später so fit wie in dieser Zeit. Niemand in der Kompanie konnte einhändig die MG-Lafette – immerhin fast einen halben Zentner – so oft stemmen wie ich, etwa dreißigmal; und kein Ausbilder konnte den Karabiner am Lauf mit ausgestreckten Arm länger halten. Das brachte mir einige Pluspunkte, ebenso die vormilitärische Ausbildung, die ich in Sonderlehrgängen der HJ erhalten hatte. Manches davon, wie Orientieren im Gelände, Zielerkennung oder Anfertigung von Geländeskizzen waren allerdings merkwürdigerweise nicht gefragte militärische Fertigkeiten; alles konzentrierte sich auf Exerzierdrill und andere wenig sinnvolle Kasernenhofspäße wie das »richtige Vorbeigehen an Vorgesetzten in strammer Haltung«. Am zweckmäßigsten erschienen mir noch der Geländedienst, die Ausbildung an den Waffen und die immer wieder geübten schnellen Stellungswechsel mit dem MG.
Auch das Robben – schnelles Vorwärtsbewegen mit flach an den Boden gepresstem Körper – konnte als sinnvoll angesehen werden, mit der vollen Ausrüstung war es allerdings eine Tortur. Mit viel Geschrei achteten dabei die Ausbilder darauf, dass die Rekruten immer die Fersen dicht an den Boden pressten; im Ernstfall hätte ein Granatsplitter diese treffen und so dem Schützen Arsch einen ihm möglicherweise willkommenen »Heimatschuss« verpassen können.
Es wurde mir bei all diesen Übungen nie ganz klar, ob sie der Kampfertüchtigung der Truppe dienen sollten oder der Schikane des Individuums. Vermutlich, so folgerte ich schließlich, war beides in Wechselwirkung zur Steigerung des Effekts beabsichtigt. Ein Prinzip, das man aber wohl in allen Armeen in die Tat umzusetzen bemüht ist.
Was mir wenig behagte, war der menschenverachtende Zynismus, der – von einigen Ausbildern und Offizieren abgesehen – die Kasernen-Stammmannschaft beherrschte. Ich hatte folgendes bezeichnende Erlebnis: Als wir gegen Ende der Ausbildungszeit Anfang Dezember unsere Feldausrüstung empfingen, stellte sich heraus, dass ich in den Besitz von einem Paar Schnürschuhen kam, die wiederum um mindestens eine Nummer zu groß waren.
Ich ging zur Bekleidungs-Kammer, um sie umzutauschen. Der »Kammerbulle« machte sich nicht einmal die Mühe, sich nach einem passenden Paar Schuhe umzusehen. Er warf mir meine mitgebrachten, die ich auf seinem Tresen abgelegt hatte, mit Schwung in die Arme und knurrte nur:
»Hau ab, du Flasche! Andere Schuhe brauchst du nicht, Weihnachten hast du sowieso schon in Russland einen kalten Arsch!«
Die Leibstandarte war keine homogene Truppe; ihre Offiziere, national motivierte und mehr oder weniger intellektuell gebildete Berufssoldaten, waren fast alle aus der Reichswehr der Zwanzigerjahre – dem Hunderttausend-Mann-Heer nach dem Versailler Vertrag – hervorgegangen. Die übrigen LAH-Männer gehörten anfänglich weit gehend einer Spezies an, die man wohl treffend als »Haudegen« bezeichnet. Sie verkörperten einen Typus, der eigentlich, abgesehen von einer überdurchschnittlichen Körpergröße, oft der politisch-genetischen Zielsetzung der SS kaum entsprach; es waren durchweg Männer einfachster Herkunft und mit geringer Bildung, die mehr von Korpsgeist und Versorgungsdenken eines Berufssoldatentums dieser besonderen Art angezogen waren als von politischen Idealen.
Mit den Eingezogenen des Jahrgangs 1922, zu denen auch ich gehörte, kamen erstmals junge Kriegsfreiwillige aus bürgerlichen Familien – darunter auch Abiturienten – zur LAH, die diesen Nachwuchs nur mit Widerstreben aufnahm. Da die »Alten« an den Brennpunkten der Angriffskriege aber zum großen Teil schonungslos »verheizt« worden waren, änderte sich nach einer kurzen Übergangszeit das Niveau der Truppe, die »intelligenter« und dadurch im besseren Sinne elitärer wurde.
Alles in allem entsprach die Ausbildung kaum den Anforderungen des Russlandkrieges, denen man uns nach knapp zehn Wochen aussetzen wollte. Sie war mit ihrem vorwiegend auf Gewehr- und Paradeexerzieren ausgerichteten Programm ebenso ungeeignet wie die Ausrüstung, mit der man uns schließlich auf den Weg in die raue Wirklichkeit des russischen Winters schickte: Baumwoll-Unterwäsche, »Knobelbecher« (wadenhohe Lederstiefel) und Schnürschuhe, Tuchuniform, leichter Tuchmantel, Feldmütze, dünne Kopfschützer und leichte Handschuhe. Allein die mangelhafte Bekleidung sorgte später für enorme Ausfälle durch Erfrierungen. Einen Krieg, auch einen als präventiv definierten, zu beginnen, mag völkerrechtlich gesehen ein Verbrechen sein, dies mit einer absolut unzulänglichen Ausrüstung und unterlegenen Bewaffnung zu tun, war auch gegenüber der eigenen Truppe kriminell.
Abstoßend wirkte auf mich der »preußische Schliff«, der offenbar darauf angelegt war, durch entwürdigende Behandlung der Soldaten sie bereit zum unbedingten Befolgen von Befehlen, zu Entbehrungen und zum Sterben im Sinne des Kadavergehorsams zu machen. Schikanen wie »Maskenbälle« – das abwechselnde Antreten in Unterkleidung, in Drillich und in feldmarschmäßiger Ausrüstung binnen jeweils zwei Minuten – und das Schrubben der Kasernenflure mit Zahnbürsten gehörten zu den täglichen und nächtlichen Übungen, mit denen dem Prinzip Genüge getan werden sollte …
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