Malu zwang sich, nicht weiter aus dem Fenster zu gucken, sondern stattdessen ihrer Freundin zuzuhören, die von ihrem zukünftigen Modeimperium erzählte.
Endlich wurde die Landschaft etwas flacher, die Berge wichen staubigen, spärlich bewachsenen Hügeln, auf denen Rinder mit ausladenden Hörnern grasten. Hier und da gab es kleine Häuser und Höfe, die wie hingewürfelt in der Landschaft lagen. Als Malu die ersten Pferde entdeckte, machte ihr Herz einen kleinen Sprung. Wie majestätisch sie aussahen, mit ihren gebogenen Hälsen und den wehenden Mähnen. Die Tiere machten einen wilden, freien Eindruck, obwohl das vermutlich Quatsch war und sie zu einem der Höfe gehörten. Oder ob es hier in der Gegend noch echte Wildpferde gab?
Endlich fuhr der Bus in Portocento ein. Das Dorf bestand scheinbar nur aus einer einzigen schnurgeraden Straße, an der sich ein paar Häuser aufgereiht hatten, zwischen denen einige kümmerliche Bäume wuchsen. An einer heruntergekommenen Bushaltestelle kam das alte Fahrzeug keuchend zum Stehen und mit einem letzten Seufzer öffneten sich die Türen. Malu atmete erleichtert auf, es grenzte für sie an ein Wunder, dass sie tatsächlich heil angekommen waren. Nur hatte sie sich Portocento etwas größer vorgestellt. Wo sollten sie hier ein Taxi herbekommen? Egal, erst mal raus aus diesem stickigen Monstrum!
Einige ihrer Mitfahrer erhoben sich ächzend und quatschend, suchten ihr Gepäck aus Ablagen und unter den Sitzen zusammen und ergossen sich dann auf die staubige Straße.
Vincent verabschiedete sich lärmend von seinen Mitspielern und half dann den Mädchen Koffer und Taschen nach draußen zu schaffen. Der dicke Busfahrer stand mit verschränkten Armen in der Tür und betrachtete sie kopfschüttelnd. Wahrscheinlich fragte er sich gerade, was drei Jugendliche ausgerechnet in diesem verlassenen Nest zu suchen hatten. Und genau das fragte sich Malu auch. Als Letztes stieg eine ältere Frau aus dem Bus, sie hatte eine große Umhängetasche geschultert und zog ein Bein leicht nach. Als sie Malu anblickte, stutzte sie und verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Sie zischte ihr ein paar Worte zu und spuckte vor ihr in den Staub. Dann humpelte sie vor sich hin zeternd weiter.
Malu sah ihr sprachlos nach.
»Du scheinst in Spanien nicht besonders beliebt zu sein«, sagte Vincent trocken.
»Das Gefühl hab ich allerdings auch.« Malu rieb sich über die Arme, auf denen sich trotz der Hitze eine Gänsehaut gebildet hatte. Erst der Alte am Flughafen und jetzt die Frau – was hatte sie nur an sich, dass die Leute zu solchen Reaktionen veranlasste? Ob sie sie mit jemandem verwechselten?
Jetzt, da der Bus weitergefahren war und ihre Mitreisenden sich alle verstreut hatten, war kein Mensch mehr auf der Straße zu sehen. Der Wind wirbelte Staub vor sich her und trieb vertrocknete Grasknäuel die Straße hinunter.
Lea sah sich enttäuscht um und wischte den Dreck von ihrem roten Lederkoffer, der bisher eher schicke Wellnesshotels von innen gesehen hatte. Sie senkte die Stimme. »Wenn das hier nicht das ganz normale Leben wäre, würde ich denken, wir sind in einem Horrorfilm gelandet. Das Dorf des Grauens, alle Bewohner entpuppen sich als Zombies und fallen über uns her, wenn wir –«
»Hör auf«, unterbrach Malu sie halb lachend, halb ängstlich. »Aber ich hätte auch nichts dagegen, wenn wir so schnell wie möglich weiterfahren könnten. Fragt sich nur wie?«
»Ich glaube, da weiß ich eine Lösung«, sagte Vincent und strich sich die Haare aus dem Gesicht. »Wie gut, dass ihr mich dabeihabt.«
Die Mädchen sahen ihn erwartungsvoll an.
»Nun sag schon«, drängelte Malu.
Vincent genoss noch einen Moment ihre Ungeduld, dann rückte er mit der Sprache heraus. »Die schlechte Nachricht: Es gibt hier tatsächlich keine Taxen, aber Carlos – der hat mich übrigens dreimal abgezogen beim Mau-Mau, der Sausack! Jedenfalls meinte er, wir sollen Enrico fragen, der macht hier schon mal Kurierfahrten in der Gegend.«
»Und wo finden wir diesen Enrico?«, fragte Lea und versuchte jetzt ihren schwarzen Koffer vom Staub zu befreien, was aber ein ebenso hoffnungsloses Unterfangen war.
»Ein Stück die Straße runter hat er eine Autowerkstatt. Na kommt, in einer Stunde sitzen wir mit einer eiskalten Limo am Pool und lachen über das Ganze.« Vincent schnappte sich seine Tasche und einen Koffer von Lea und marschierte los.
Die Mädchen betrachteten den ganzen restlichen Haufen Gepäck und warfen sich resignierte Blicke zu.
»Limo und Pool klingt gut«, seufzte Malu, schwang ihren Rucksack auf den Rücken und packte mit jeder Hand eine Reisetasche. Lea lud sich den Rest auf und zerrte einen Griff aus dem roten Koffer, um ihn hinter sich herzuziehen. So schleppten sie sich die einsame Straße hinunter.
Als sie endlich die Autowerkstatt erreicht hatten, ließen sie ihr Gepäck vor der Einfahrt fallen und lehnten sich erschöpft gegen die Wand. Vincent war schon in der Halle verschwunden, um den Kurierfahrer zu suchen. Hoffentlich gab es ihn wirklich und hoffentlich würde er sie zum Gestüt fahren. Malu trank den letzten Schluck aus ihrer Wasserflasche, es wurde langsam Zeit, dass sie dort ankamen. Grimmig dachte sie an Lenka und fragte sich, ob die wohl einen triftigen Grund dafür hatte, sie in diese Einöde zu locken, nur um sie dann hier sitzen zu lassen!
Vincent schien diesen Enrico tatsächlich gefunden zu haben, denn er trat hinter einem großen, schlaksigen Mann mit schwarzen Locken und ölverschmiertem Overall aus dem Tor.
»Hola chicas«, begrüßte er die Mädchen fröhlich und das verstand selbst Malu, obwohl sie kein Wort spanisch konnte.
»Vamonos!« Der Mann winkte mit großer Geste ihm zu folgen und stiefelte zu einem Pick-up, der auf der Straße parkte.
»Scheint ein ganz netter Typ zu sein«, raunte Vincent ihnen zu. »Und er wusste auch gleich, von welchem Gestüt ich geredet habe. Für zwanzig Euro fährt er uns hin.«
Malu war erleichtert. Sie sehnte sich nach einer kühlen Dusche, frischen Sachen und einer riesigen Portion Spagetti!
Sie reichten Enrico das Gepäck an, der es leichthändig auf die Ladefläche warf. Als Letztes stand noch Malus Reisetasche vor der Einfahrt. Sie griff gerade danach, da fiel ihr Blick ins Innere der Werkstatt. Nur kurz sah sie einen kleinen, hageren Mann mit schwarzen Haaren, der schnell hinter einem Vorhang verschwand. Malu stutzte. Nein, das konnte unmöglich sein. Und doch hatte der Typ so ausgesehen wie Pedro, der noch vor zwei Wochen auf der Insel im Funkelsee die Pferde betreut hatte, mit der diese Señora Horapez Diamanten aus Jordanien geschmuggelt hatte. Derselbe Pedro, der dann mit der Beute verschwunden war, bevor die Polizei das Schmugglernest ausgehoben hatte. Malu schüttelte den Kopf, als wollte sie diese unsinnigen Gedanken vertreiben. Solche Zufälle gab es einfach nicht.
»Malu, jetzt komm schon«, riss Vincents Stimme sie aus den Gedanken. »Wir wollen los. Vamonos!«
Sie packte ihre Tasche und reichte sie Enrico, der Malu prüfend musterte (oder bildetet sie sich das ein?).
Vincent setzte sich auf den Beifahrersitz und Malu und Lea sanken in das weiche Polster der Rückbank. Lea seufzte. Das passte schon eher zu ihrer Vorstellung von angenehm reisen. Als dann noch die Klimaanlage angelaufen war, wurde es richtig gemütlich, auch wenn sie kein Wort von dem enthusiastischen Geplapper ihres Fahrers verstanden. Hauptsache, er wusste den Weg.
Die Landschaft bot wenig Abwechslung, immer die gleichen kargen Hügel, durch die sich die schmale Straße wand, ab und an eine Gruppe Bäume und Sträucher und dazwischen immer wieder braune und schwarze Rinder mit mächtigen Hörnern. Dann änderte sich das Bild, die Wiesen wurden grüner (ein bisschen zumindest) und lange Holzzäune unterteilten die Weiden.
Читать дальше