Stubenrauch zog mit den Soldaten von Garnison zu Garnison. Die Ehefrau Walburga war wohl immer mit dabei. Auch sie hatte sich wegen »Entweichung und Verehelichung außer Landes« schuldig gemacht. Auf Wunsch König Maximilians I. wurde jedoch von einer kompletten Einziehung ihres Vermögens Abstand genommen. Lediglich eine Gebühr von 141 Gulden und 21 Kreuzer musste sie entrichten. In diesem Zusammenhang wird auch das Haus am Promenadeplatz wieder verkauft worden sein, denn ab 1807 ist ein anderer Eigentümer vermerkt. Allerdings war der Preis in den vier Jahren seit dem Erwerb deutlich gestiegen. Während 1803 10 500 Gulden bezahlt wurden, belief sich die Kaufsumme nun auf 13 000 Gulden. 25 Die Immobilie am Promenadeplatz war für die junge Frau von Stubenrauch also eine gute Geldanlage gewesen wenngleich die kleine Familie noch nicht über das Geld verfügen konnte, das vorerst konfisziert blieb.
Johann Nepomuk hat die privat zwar ehrenhafte, dennoch unüberlegte Entscheidung, das bayerische Militär widerrechtlich zu verlassen, bald bereut – später spricht er wiederholt von Reue und von jugendlichem Fehler. Die Wirklichkeit hatte die junge Familie eingeholt, doch die Karriere im bayerischen Heer war verspielt. Und es sollte noch schlimmer kommen.
Während Stubenrauch in den Weiten des riesigen K. u. K.-Reichs in einer Schreibstube saß, überschlugen sich die politischen und kriegerischen Ereignisse. Am 9. April 1809 eröffnete Österreich erneut den Krieg mit dem Ziel der Beseitigung der Napoleonischen Vorherrschaft in Europa. Bayern stand nun jedoch an der Seite Frankreichs. Allgemein bekannt ist der Tiroler Volksaufstand unter Andreas Hofer im Herbst 1809, in dem sich das Land gegen die bayerisch-französische Besatzung erhoben hatte. Auf bayerischem Boden bei Abensberg, Eggmühl und Regensburg wurde gekämpft. Auch Stubenrauchs Einheit, das K. u. K. österreichische 4. Dragoner-Regiment Levenher war dabei. Erst am 14. Oktober 1809 schlossen Österreich und Frankreich den Frieden von Schönbrunn. Die Meldung, Johann Nepomuk von Stubenrauch sei gefallen, gelangte 1809 in die Heimat und zu seinem Vater Generalmajor von Minucci. Die Nachricht erwies sich als Fälschung, schien jedoch angesichts der Kampfhandlungen und Verluste plausibel. Seine eigenen Briefe, in denen er den Vater vom Gegenteil informieren wollte, wurden abgefangen und unterschlagen. Drahtzieher war wohl sein (Halb-)Bruder Vinzenz Adelshausen, der im inzwischen Königlich-Bayerischen 14. Linien-Infanterie-Regiment als Hauptmann diente.
Am 8. April 1810 starb Generalmajor Vinzenz Nutius von Minucci in München an Brustwassersucht und wurde in die Familiengrabstätte nach Adelshausen bei Karlskron überführt. 26 Sei es, dass der Vater vom Tod des Sohnes überzeugt war, sei es, dass er ihm seinen Austritt aus dem bayerischen und den Wechsel zum österreichischen Militär verübelte – jedenfalls wurde Johann Nepomuk im Testament seines Vaters mit keinem Kreuzer bedacht, während der ebenfalls illegitime Bruder Adelshausen »mit vielen Tausenden« berücksichtigt worden war, wie Johann Nepomuk bitter vermerkte. 27 Die Möglichkeit, einen Pflichtanteil einzuklagen, gab es nicht. Dies gilt umso mehr für illegitime Nachkommen.
Vermutlich war Minuccis Tod ein Grund dafür, dass sich Stubenrauch noch im selben Jahr an den bayerischen König wandte und um Erlaubnis zur Rückkehr ins Vaterland bat. Inzwischen war er fern der Heimat in Theresiopol stationiert. Am 6. November 1810 schrieb er aus dem damals noch zu Ungarn gehörenden Ort, dass er bereits volle fünf Jahre hindurch in österreichischen Diensten »im Unglücke« lebe. Zum ersten Mal beklagte er reumütig seinen »jugendlich-törichten Streich« und bat nicht nur um die Erlaubnis, nach Bayern zurückkehren zu dürfen, sondern auch um die Verleihung »eines kleinen Zivil-Dienstes«. Von Seiten des bayerischen Königs stand einer Rückkehr laut Schreiben vom 30. Dezember 1810 nichts im Wege. Schnell verkaufte Stubenrauch alles, was er in Österreich besessen hatte – viel konnte es nicht gewesen sein, bei einem Sold von 28 Gulden im Monat – und setzte nach eigenen Worten seine letzten Kreuzer daran, bereits Anfang 1811 zurückzukehren. Doch das österreichische Kriegsministerium bestand auf die Erfüllung des zehnjährigen Vertrags mit der Begründung, dass seine Anwesenheit unentbehrlich sei. Die Familie von Stubenrauch musste zurück ins Reich der Habsburger, nach Subotica.
Stubenrauch gab nicht auf: Im Sommer 1812 bat er das bayerische Kriegsministerium um Auszahlung eines Teils des noch immer einbehaltenen Vermögens seiner Frau, um seine Entlassung aus österreichischen Diensten zu erwirken. Am 26. Oktober 1812 befürwortete der königlich bayerische Kriegshauptbefehlshaber seinen Antrag. Man wollte nicht die Frau ihr Leben lang bestrafen, die »als schwaches Weib in früheren Zeiten von ihrer Leidenschaft hingerissen in einen Zustand durch ihre Schwängerung versetzt (welcher ihr keine andere Wahl zur Rettung ihrer Ehre mehr übrig ließ, als eine Verehelichung mit ihrem Impraegnator) unvermögend, die Folgen zu berechnen, denselben dahin folgte, wohin er sie zu Erreichung des beyderseitigen Zweckes führte, derselben ihr Fehltritt nicht für ihr ganzes Leben zu imputiren seyn möchte.« 28
Ob oder wann sich von Stubenrauch freikaufen konnte, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Vermutlich erfolgte seine Entlassung aus dem österreichischen Militär im Frühjahr 1814, denn in einem späteren Schreiben vermerkte er, dass er achteinhalb Jahre in österreichischen Kriegsdienst gestanden habe.
Inzwischen waren die Koalitionskriege zu Ende gegangen. In der Völkerschlacht bei Leipzig im Oktober 1813 war die napoleonische Herrschaft in Deutschland endgültig zusammengebrochen, was möglicherweise Stubenrauchs vorzeitige Entlassung aus dem österreichischen Vertrag ermöglicht hatte. Nun galt es in der bayerischen Haupt- und Residenzstadt Fuß zu fassen. Stubenrauch musste wieder ganz klein anfangen, als Rechnungsgehilfe bei der Central-Staatskasse, später als Registrator. 29 Eine Karriere im bayerischen Militär- oder Zivildienst war natürlich undenkbar geworden.
In München brachte er die Familie mehr schlecht als recht durch. Das inzwischen freigegebene Vermögen seiner Frau war bald aufgebraucht. Offensichtlich wurde ihm immer nur eine befristete Anstellung gewährt, und diese meist unter seinen Fähigkeiten und mit geringer Besoldung. Das Verlassen des bayerischen Militärs war zwar nachträglich offiziell legitimiert worden, doch vergessen war der ›Fehltritt‹ mitnichten. Und so stapelten sich im bayerischen Finanzministerium und im bayerischen Kriegsministerium vom Sommer 1816 an die Eingaben mit der Bitte um »definitive Anstellung« in einem staatlichen Amt. Die meisten wurden unbeantwortet »ad acta« gelegt. Ein Diurnum von einem Gulden und 24 Kreuzer täglich, das er als Kanzleischreiber erwirtschaftete, reichte nicht, um die Familie durchzubringen. Eine Anstellung als Kanzlist in der »Königlichen Ministerial-Liquidations-Commission für die Forderungen an Frankreich« war mit Auflösung dieser Kommission im Jahr 1826 zu Ende. Erneute Eingaben an das Finanzministerium mit dem Hinweis auf seine nahezu vollständige Mittellosigkeit und auf die zunehmende Zahl unmündiger Kinder folgten. Seine letzte Eingabe an König Ludwig I. von Bayern respektive das Bayerische Ministerium der Finanzen datiert vom 15. Juli 1831. Diese wurde nach »der in der Zwischenzeit getroffenen Anordnung ad acta« gelegt. Wie diese Anordnung ausgesehen hat, wird leider verschwiegen.
Eine hoffnungsvolle Elevin
Wie Amalies früheste Jugend in den turbulenten Jahren der Napoleonischen Kriege mit ihren vielfach wechselnden Koalitionen und Fronten ausgesehen haben mag, kann man nur erahnen. Nachdem der Vater in Eger geheiratet hatte, dürfte Amalie am 4. Oktober 1805 irgendwo im großen Habsburgerreich zur Welt gekommen sein.
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