Als Geliebte König Wilhelms I. von Württemberg polarisierte die gefeierte Diva. Zum Teil wurde Amalie von Stubenrauch sogar als »Württemberger Lola« bezeichnet, in Anlehnung an Lola Montez, die Geliebte König Ludwigs I. von Bayern – auch wenn der Vergleich in mehr als einer Hinsicht hinkt.
Während über Lola Montez eine ganze Reihe von Büchern erschienen ist, fehlt – abgesehen von kleineren Aufsätzen – bis heute eine Biographie von Amalie von Stubenrauch. Das liegt vor allem daran, dass – anders als etwa bei Lola Montez und König Ludwig – die Korrespondenz zwischen Amalie und König Wilhelm bereits zu Lebzeiten vernichtet worden ist. Zudem ließ der königliche Erbe Karl kaum etwas unversucht, Amalie nicht nur in Misskredit zu bringen, sondern sie ganz aus dem Gedächtnis der Untertanen zu streichen.
Die Theaterkarriere der über die Grenzen Bayerns und Württembergs hinaus gefeierten Künstlerin lässt sich anhand der erhaltenen Theaterzettel, umfangreicher Archivbestände und einer Fülle von Zeitungsberichten relativ lückenlos nachvollziehen. Schwieriger ist es, Licht in ihr Privatleben zu bringen. Eine Regenbogenpresse existierte im 19. Jahrhundert nicht, denn die rigide Zensur setzte dem Wirken der Presse enge Grenzen. Auch existieren erstaunlich wenige Bildnisse von Amalie.
Dennoch finden sich zu ihrem Leben auch jenseits des Theaters vielerlei Nachrichten verstreut in Zeitungen, Tagebüchern, Memoiren und Briefen. Letztere vor allem an den königlichen Berater und Dichter Friedrich Wilhelm Hackländer. Doch auch in unterschiedlichen Sammlungen und Archiven war unveröffentlichtes Material zu entdecken. Die diversen Quellenfunde lassen sich zu vielschichtigen Mosaikbildern zusammenfügen, welche die Etappen eines faszinierenden Lebens präsentieren – vom Mädchen aus niederem Adel, zur gefragten Schauspielerin, Literaturkennerin und schließlich der königlichen Lebenspartnerin.
Der steinige Weg zum Erfolg
Das Rätsel um ihre Geburt
Die Lebensgeschichte der gefeierten Schauspielerin beginnt angemessen geheimnisvoll. Amalie von Stubenrauch tritt erst im Jugendalter ins Rampenlicht. Was davor lag, bleibt unklar. Über ihre Geburt gibt es verschiedene Angaben, die schon zu ihren Lebzeiten für Verwirrung sorgten. Es fehlt kaum ein Jahr der ersten Dekade des 19. Jahrhunderts, das nicht als Geburtsjahr genannt worden wäre. Laut einem Nachruf soll sie 1808 zur Welt gekommen sein, nach anderen Quellen schon 1807. »Ungalante«, heißt es dort weiter, »nennen sogar 1806 als Jahr ihrer Geburt«. 1 Es gab jedoch noch Ungalantere wie den Theaterkritiker Adolf Palm, der die Schauspielerin auf dem Höhepunkt ihrer Karriere kennen lernte und behauptete, Amalie sei mit dem Jahrgang gegangen, das heißt im Jahr 1800 geboren. 2 Und Palm ergänzte in seinen Briefen süffisant: »Man weiß ja, die Damen beim Theater werden desto jünger, je älter sie werden!« 3
Die meisten Autoren engten die Geburt jedoch auf 1805 oder 1808 ein. Unwidersprochen aber ist der Geburtstag am 4. Oktober. »4. Oktober 1805« ist die mehr oder weniger einzige erhaltene amtliche Nennung zu ihren Lebzeiten. Sie findet sich in der 1828 angelegten Personalakte des Königlichen Hoftheaters Stuttgart. 4 Damals war Amalie Anfang 20. In diesem Alter macht man sich in der Regel noch nicht jünger.
Amalie selbst gab viel später einmal an, dass sie nicht 20 Jahre jünger als König Wilhelm I. von Württemberg sei, sondern 27 Jahre. 5 Der König wurde am 27. September 1781 geboren. Demnach wäre sie nach eigener Aussage im Jahr 1808 geboren. Nachdem sie damals schon über 50 Jahre alt war, könnte sie hier etwas geschummelt haben, zumal bereits das 1842 in Leipzig erschienene Allgemeine Theater-Lexikon »um 1808« angegeben hatte. 6 Aus dem weitverbreiteten Lexikon wurde verschiedentlich zitiert.
Erstmals 1930 und dann wiederum 1997 wurde in der Literatur 1803 als Geburtsjahr angegeben – ein Datum das in der jüngsten Literatur meist übernommen wurde. 7 In der in Tegernsee ausgestellten »Todesanzeige« war nämlich zu lesen, dass sie im Alter von 72 Jahren und 6 Monaten gestorben sei, was tatsächlich auf eine Geburt im Oktober 1803 verweisen würde. Dieses Dokument wurde jedoch lediglich aufgrund der mündlichen Angaben des Arztes Dr. Alois Rosner ausgestellt. Amalie von Stubenrauch war in Tegernsee nicht einmal amtlich gemeldet, sondern sie verbrachte dort nur ihren Sommeraufenthalt. Überhaupt sind Aussagen des Arztes mit Vorsicht zu genießen. Zwar war er mit Amalie jahrelang bekannt, doch betrieb er – wie später noch ausführlich gezeigt wird – ein Doppelspiel, indem er sie bespitzelte. Ein mögliches falsches Geburtsdatum kann er mit Absicht, vermutlich aber aus Unwissenheit, falschen Angaben Dritter oder einfach aufgrund einer Verlesung von »3« und »5« in den stets handschriftlich ausgeführten Schreiben angegeben haben.
In den Nachrufen anlässlich ihres Todes im April 1876 finden sich ganz unterschiedliche Altersangaben: So heißt es etwa in der Wiener Zeitung, dass sie im »Alter von 69 Jahren« gestorben sei, in der Augsburger Abendzeitung war man sich nicht sicher und bot 1806, 1807 oder 1808 als Geburtsjahr an. 8
Die Indizien sprechen für eine Geburt im Jahr 1805: zum einen die noch zu beleuchtende Lebensgeschichte der Eltern, zum anderen ist vielfach zu lesen, dass Amalie als »junges Mädchen« ihren Probeauftritt absolviert hätte. Das war im Dezember 1823. Und mit 20 Jahren wurde man nicht mehr als »junges Mädchen« tituliert und schon gar nicht wurde dies als Besonderheit hervorgehoben. Zudem wurde Amalies Freundin aus Kindertagen – die 1806 geborene Schauspielerin Elise Seebach – vielfach als »gleichaltrig« bezeichnet. Den schlagendsten Beweis aber lieferte der heute nicht mehr vorhandene Grabstein am Tegernseer Friedhof. Auf ihm war 1805 als Geburtsjahr in Stein gemeißelt. 9
Ungeklärt bleibt der Geburtsort, obwohl durchgehend München angegeben wurde. Das kann jedoch nicht stimmen. In den Taufmatrikeln der Stadt, die bis heute vollständig erhalten geblieben sind, ist Amalie nicht aufzufinden – weder in den Reihen der legitimen noch der unehelichen Kinder.
Amalie ließ ihre Zeitgenossen und nachfolgenden Generationen über ihre Herkunft stets im Ungewissen. Sie selbst bezeichnete München nie als Geburtsort, sondern lediglich als »Vaterstadt«. In München ist sie aufgewachsen, hier hat sie ihre ersten Bühnenerfahrungen gesammelt; auch die Vorfahren waren – zumindest zum großen Teil – hier beheimatet. Geboren wurde Amalie jedoch mit einiger Sicherheit irgendwo in den Weiten des riesigen Habsburgerreichs, wofür vor allem die Vita der Eltern spricht. Doch da ein Nachweis fehlt, muss die Frage, wo sie höchstwahrscheinlich am 4. Oktober 1805 das Licht der Welt erblickte, unbeantwortet bleiben.
Eine folgenschwere Liebesgeschichte
Johann Nepomuk von Stubenrauch hatte bereits ein bewegtes Leben hinter sich, als er in noch jugendlichem Alter Amalie als erstes Kind erhielt. 10 Er selbst war, wie man einst so schön sagte, »ein Kind der Liebe«. Der Vater allem Anschein nach: Generalmajor Vinzenz Nutius Graf von Minucci. Die Mutter: eine Frau von Stubenrauch. Offensichtlich war die Mutter verheiratet, denn es kursieren verschiedene Angaben zur Herkunft des kleinen Johann Nepomuk in den Quellen. Die eine besagt, Johann Nepomuk sei der am 15. Mai 1781 in Aurolzmünster geborene Sohn eines »Verwalters«. Er selbst nannte später mehrfach Graf Minucci als seinen Vater, als Geburtsort ebenfalls Aurolzmünster und als Geburtsjahr 1783. 11 Aufgrund der jeweiligen Altersangaben ist seine Geburt in der zweiten Jahreshälfte des Jahres 1781 anzunehmen. Keine der Angaben findet jedoch in den Kirchenbüchern von Aurolzmünster eine Bestätigung. 12
Während also der Vater Johann Nepomuks nicht näher zu bestimmen ist, handelte es sich bei seinem stets genannten Erzeuger Graf Minucci um einen Herrn aus hohem Adel. 13 Bereits 1772 war er zum Kammerherrn des bayerischen Kurfürsten ernannt worden; er wurde Ritter des Johanniterordens und Komtur zu Straubing, befehligte als Oberst zunächst das kurfürstliche General Prinz Taxische Dragoner-Regiment, später das General Graf Minuccische Kürassier-Regiment und stieg schließlich zum Generalmajor auf. 14
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