Aurolzmünster mit seinem inzwischen wieder prachtvoll renovierten Schloss liegt heute im oberösterreichischen Innkreis. Das war nicht immer so: Noch bis 1779, also bis kurz vor der Geburt Johann Nepomuks, gehörte das Gebiet zum Kurfürstentum Bayern und dann zum Habsburger Reich. Im Zuge der Gebietsveränderungen zu Zeiten Napoleons wurde das Innviertel noch einmal kurz bayerisch (von 1806 bis 1814). Dieses Hin und Her der Zugehörigkeiten ist vermutlich der Grund, warum für die Familie einmal ein österreichischer, einmal ein bayerischer Ursprung angenommen wurde. Es spricht viel dafür, dass es sich bei der Familie von Stubenrauch ursprünglich um einen niederen österreichischen Adel gehandelt hatte, weswegen Jahrzehnte später Amaliens Bruder auch seine bayerische Staatsangehörigkeit bestätigen lassen musste, während Johann Nepomuk nicht nur in österreichische Dienste treten konnte, sondern 1841 auch durch den Habsburger Kaiser Ferdinand I. in den erblichen Reichsadel mit dem Prädikat »Edler von« aufgenommen wurde. 15
Die ursprünglich aus Venetien stammende Familie der Grafen Minucci dagegen lässt sich seit dem 16. Jahrhundert in Bayern in vielen verschiedenen politischen, kirchlichen und militärischen Positionen nachweisen. Und Generalmajor Vinzenz Nutius Graf von Minucci hatte Beziehungen zu Aurolzmünster. Seine Mutter war eine Gräfin von der Wahl und Erbin des Schlosses von Aurolzmünster, das noch aus bayerischer Zeit stammte.
Wer auch immer der Vater Johann Nepomuks war, sein Sohn erhielt eine gediegene Ausbildung. Vor allem in mathematischen Fächern war er begabt und gebildet. Am 17. September 1797 in noch jugendlichem Alter trat er als »Voluntaire« in das damals noch kurfürstlich baierische Artillerieregiment ein. 16
Im Laufe von acht Jahren machte Johann Nepomuk beim Militär Karriere; am 30. März 1800 wurde der inzwischen vermutlich 18-Jährige zum Unterleutnant ernannt. Im Zuge der Napoleonischen Kriege nahm er an zahlreichen Schlachten teil, wurde verwundet und hat sich durch seinen Einsatz hervorgetan. 17 Als er sich jedoch im Juni 1805 widerrechtlich von seiner damals in Würzburg stationierten Einheit entfernte, erhielt seine Karriere einen Knick. Seit dem 26. Juni wurde er als vermisst gemeldet. Man stellte Nachforschungen an, doch auch seine Hauswirte hatten ihn seit Tagen nicht mehr gesehen. Man durchsuchte sein Zimmer: Weder er selbst noch sein Hab und Gut waren auffindbar. Und auf den entsprechenden Unterlagen im Kriegsministerium vermerkte man: »Deserteur«. Im Zuge der Nachforschungen kam auf, dass auch Walburga Moosmayer verschwunden war. Sie war am 23. November 1873 in München als Tochter des Münchner Hoforganisten geboren. 18 Und man schlussfolgerte ganz richtig, »daß seine alte Verbindung mit Walburga Mosmeyer in München ihn zu diesem Schritte verleitet haben möge.«
Bereits im September des Jahres 1804 hatte Vater Moosmayer (ein Name, der in den Akten in allen möglichen Moos- und Mayer-Varianten geschrieben wurde) beim Kriegsministerium um eine Befreiung des Artillerie-Leutnants von Stubenrauch und die Erteilung einer Heiratserlaubnis nachgesucht, denn als Soldat konnte man seinerzeit nicht ohne Weiteres heiraten. Vielmehr wurde eine entsprechende Heiratslizenz benötigt, die wiederum entsprechende Finanzmittel voraussetzte. Diese fehlten dem jungen Stubenrauch offensichtlich, obwohl die Braut keine ›schlechte Partie‹ war. Immerhin gehörte ihr seit dem 20. Februar 1803 ein Mehrfamilienhaus in bester Münchner Lage. 19 Das Haus Promenadeplatz Nr. 9 hatte vermutlich der Vater als Mitgift für die Tochter erworben. Die Entlassung und die Heiratslizenz wurden dennoch nicht genehmigt. Man befand sich mitten in den Koalitionskriegen und jeder wehrhafte Mann wurde gebraucht.
Walburga war jedoch im Juni 1805 im sechsten Monat schwanger. Zwar waren uneheliche Kinder für Offiziere kein grundsätzliches Problem, doch die Frau und die Kinder mussten mit der ›Schande‹ leben. Vermutlich hatte Johann Nepomuk dies am eigenen Leib erfahren müssen und wollte dieses Schicksal nun Walburga und dem zu erwartenden Kind ersparen.
Eine gute Woche nach ihrer Flucht aus Würzburg wurden sie am 4. Juli 1805 in Eger getraut – allerdings erst, nachdem sich Stubenrauch am 26. Juni bei einem Werber für zehn Jahre zum österreichischen Militärdienst verpflichtet hatte. Der am 2. Juli in Eger unterschriebene Anwerbevertrag ist bis heute erhalten und belegt: Johann Nepomuk von Stubenrauch, angeblich in München gebürtig, 24 Jahre alt, hat nicht schlecht geflunkert. Dass er noch ledig war entsprach der Tatsache, nicht jedoch, dass er »Student ohne Profession« sei und noch nie gedient habe. Die Lüge war nötig, da er keinen Entlassungsschein vorweisen konnte. Überprüfen ließen sich seine Angaben allenfalls mit großem Aufwand und ohnehin waren die Anwerber daran nicht interessiert. Es war Krieg und Männer »ohne allen Leibes-Defekt« waren gefragt. 20
Stubenrauch verpflichtete sich auf zehn Jahre bei der K. u. K. Kavallerie als »Gemeiner«, während er in Bayern bereits im Rang eines Offiziers gedient hatte. Bei der Anwerbung sind ihm 28 Gulden Wiener Währung ausgezahlt worden, was immerhin für die Gebühren der Eheschließung genügte.
Während der junge Soldat in Eger seinem Leben eine neue Richtung verpasste, gingen zwischen Würzburg und München diverse Schreiben hin und her: Wie sollte man sich in dieser Angelegenheit verhalten? Auffällig ist, wie milde letzten Endes mit Stubenrauch verfahren wurde. Desertieren war kein Kavaliersdelikt und konnte mit Erschießen, zumindest mit Kerkerhaft geahndet werden. Nicht so in diesem Fall. Stubenrauch wurde nachträglich am 11. Juli 1805 »aus besonderer allerhöchster Gnade« des damaligen Kurfürsten Max IV. Joseph, des nachmaligen ersten Königs von Bayern aus dem Dienst entlassen. Dies lässt vermuten, dass Stubenrauch in München einflussreiche Fürsprecher hatte, möglicherweise Graf Minucci.
Wohin der Dienst Stubenrauch zunächst verschlug, darüber schweigen die Akten. Erst im November 1806 erscheint der »Ausländer« Stubenrauch in der ersten Eskadron des 1802 neu formatierten Dragoner-Regiments Nr. 4 Levenher im südlichen Ungarn zwischen Pécs und Bóly. Ein Pferd war ihm von der Kavallerie gestellt worden. Weiter wurde in der Musterungsliste bzw. Standestabelle vermerkt, dass er verheiratet sei. 21 Die Rubrik »Kinder« ist überraschenderweise leer geblieben. Es ist zu vermuten, dass die etwa einjährige Amalie irgendwo anders aufgezogen wurde – vermutlich in der bayerischen Heimat.
Auch das Taufbuch des Regiments, das in jenen kriegerischen Jahren allerdings nicht konsequent geführt wurde, verzeichnete Amalie nicht, wohingegen die meisten ihrer Geschwister, die in recht regelmäßigen Abständen von etwa zwei Jahren auf die Welt kamen, aufscheinen: am 13. September 1807 Magdalena in der Festung Pécs, am 15. März 1811 Johann Nepomuk in Maria Theresiopol, der jedoch früh verstarb, sodass der am 9. Februar 1813 im mährischen Kojetin geborene Sohn erneut auf den Namen Johann Nepomuk getauft wurde. 22 Daraus lässt sich in groben Zügen das Itinerar der Familie nachzeichnen: Zwischen dem Aufenthalt in Südungarn und der Stationierung in Mähren war Amalies Vater im Sommer 1808 für einige Zeit in Kittsee südlich von Preßburg (Bratislava) stationiert und 1810/1811 in Maria Theresiopol, dem heutigen Subotica in Serbien. 23
Der Soldat Johann Nepomuk von Stubenrauch diente zunächst drei Jahre im »Feuergewehrstande« und ab dem 1. Dezember 1808 fünfeinhalb Jahre als obligater Fourier, 24 als ein mit der Logistik beschäftigter (Unter-)Offizier, wozu ihn seine mathematischen Talente und Vorbildung prädestinierten. In dieser Funktion kam er wohl nicht zum Kampfeinsatz. Die Koalitionen änderten sich während der sogenannten Koalitionskriege mehrfach: So standen sich etwa im April 1809 bei Regensburg Bayern und Österreicher feindlich gegenüber. Allerdings ist unwahrscheinlich, dass Stubenrauch gegen Landsmänner zu kämpfen hatte, denn noch Jahre später verhielten sich die Verantwortlichen im bayerischen Kriegsministerium bis hinauf zum König bei seinen Eingaben um die Erlaubnis zur Rückkehr und um Anstellung nachsichtig, obwohl sein Dienst im Regiment Levenher auch in München bekannt war. Ein Kriegseinsatz gegen bayerische Soldaten wäre indes kaum unberücksichtigt geblieben.
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