Tom lacht. »Ich hab sowas nicht.«
Ich auch nicht, aber woher soll Jeremy das wissen.
Tom will ein Foto von Jeremy im Kilt sehen, aber Jeremy winkt ab. Dafür erzähle ich, was Kendra mir erzählt hat. Dass nämlich jeder Clan ein eigenes Stoffmuster hat, und wenn man nicht vor allzu kurzer Zeit eingewandert ist, weiß man auch, zu welchem Clan man gehört und welchen Stoff man hat. Nicht, dass das im Alltag noch irgendeine Rolle spielen würde. Wenn man Glück hat, gibt es mehrere Familiennamen im Stammbaum und man kann sich den Stoff mit den schöneren Farben aussuchen.
»Schau, so sehen die Kilts unserer Familie aus.« Ich halte Tom mein Handy hin, auf dem ich Kendras Familientracht ergoogelt habe. Hat sie mir damals gezeigt.
»Und welcher Clan ist das?«
Auf die Frage bin ich inzwischen vorbereitet. »Gunn. So heiße ich mit Nachnamen. Es gibt aber genug Leute im Clan, die längst nicht mehr so heißen, die haben trotzdem die Gunn-Tracht.«
Kendra zum Beispiel. Ihren Nachnamen zu klauen, käme mir zu dreist vor, aber zu ihrem Clan würde ich gerne gehören. Außerdem gefällt mir das Muster besser als so manches andere.
»Und die Frauen haben nichts?«, will Tom wissen. »So dirndlmäßig oder so?«
Ich schüttle den Kopf. »Nicht, dass ich wüsste.« Das kann ich zugeben, denn das hat Kendra mir damals auch geantwortet.
»Du und sag, stimmt das, dass ihr drunter keine Unterhosen tragt?« Tom fragt tatsächlich genau die Dinge, die ich Kendra damals auch gefragt habe. Aber klar, das mit den Unterhosen wollen immer alle wissen, hat sie damals gemeint.
»Das hängt davon ab, wie ernst du es nimmst.« Ich grinse. »Und wie sehr du den Leuten in deiner Umgebung vertrauen kannst.«
Tom lacht und will danach nichts mehr über schottische Kleidungsgewohnheiten wissen. Zum Glück.
Tom ist okay, aber auch ein bisschen anstrengend. Ich habe solches Glück mit Andi gehabt, dass ich wohl etwas verwöhnt bin. Schlüssel gibt es diesmal keinen für mich.
Du hast 2 Freundschaftsanfragen steht da, als ich auf IYH einlogge.
blueballoon hat dir eine Freundschaftsanfrage geschickt. Bitte bestätige diesen Link oder weise ihn ab .
Ich bestätige.
blueballoon hat dir eine Bewertung hinterlassen .
Ich scrolle hinunter, um zu lesen, was Andi geschrieben hat.
Dass ich Jeremys erster Gastgeber war, hat man gar nicht gemerkt – so unkompliziert ist es selten mit einem Gast. Wir hatten so viel Spaß zusammen! Viel Glück auf deinem Weg Richtung Balkan, und melde dich auf dem Rückweg, ja?
Auch von Yossi und Anat ist was da. Freundschaftsanfrage und Bewertung.
You have to love Jeremy! steht da. In this superficial world it is rare to find people who are so much themselves. We’re sure our paths will cross again in Vienna and if you ever decide to travel with us you are more than welcome!
People who are so much themselves , denke ich. Ich weiß nicht, ob ich schockiert oder geschmeichelt sein soll. Wahrscheinlich eine Mischung aus beidem. So much myself .
Ich mache mich daran, ebenfalls Bewertungen zu hinterlassen, als Tom mir über die Schulter schaut. Hastig drücke ich die Seite weg. Wenn er sieht, dass ich Andi eine Bewertung hinterlasse, merkt er, dass ich tatsächlich schon in Wien war.
»Wollt nur sagen, dass das Essen fertig ist. Hättest ruhig noch fertigmachen können. Die Nudeln laufen nicht davon.«
Ich stehe auf und schiebe den Stuhl auf die Seite. »Ach, das, was ich tun wollte, auch nicht«, sage ich locker, obwohl ich mich ärgere, dass ich Andi und den beiden nicht gleich eine Bewertung hinterlassen kann. »Und Nudeln werden kalt.«
Tom gabelt mir Spaghetti auf den Teller. »Soße nimm dir einfach selber.«
»Mhm.« Ich leere einen Schöpflöffel voll über meine Nudeln und greife nach dem Parmesan. »Wie hat dir München gefallen?«, will Tom wissen.
»Warst du noch nie dort?«
Er schüttelt den Kopf. »Nur einmal als ich klein war.«
›Ich auch‹, würde Jakob jetzt antworten. Es ist Ewigkeiten her, dass ich einmal mit Lukas und seinen Eltern in Bayern war. Ich kann mich nur noch an Weißwürste in einer Bierhalle erinnern, aber das erscheint mir so klischeehaft, dass ich daran zweifle, dass es wirklich passiert ist.
»Das Technische Museum dort ist sehr genial«, sage ich, denn daran habe ich auch noch vage Erinnerungen. Ich weiß noch, dass ich es toll gefunden habe und mit Lukas einen ganzen Tag lang durch die riesigen Räume gelaufen bin. Ob ich es jetzt noch immer so gut finden würde, weiß ich nicht. Aber auch sonst weiß ich wenig von München.
»Ja, das hab ich auch schon gehört. Was gibt’s denn dort?«
»Ach, alles Mögliche. Alte Flugzeuge zum Beispiel«, sage ich aufs Geratewohl. Ein technisches Museum hat so etwas sicher.
»Das in Wien ist auch nicht schlecht«, meint Tom.
»Ach, echt?« Ich tue so, als würde ich mich brennend für das Wiener Technische Museum interessieren, um Tom davon abzuhalten, mich noch mehr über das in München zu fragen.
Nachdem wir mit dem Essen fertig sind, weiß ich, dass ich am nächsten Tag ins Technische Museum fahren muss, denn ich habe Jeremy mit großem Interesse für alte Dampfmaschinen ausgestattet, und laut Tom gibt es dort eine ganze Menge davon, die noch dazu jeden Sonntag vorgeführt werden. Morgen ist Sonntag, ich muss mir das also wohl oder übel ansehen, selbst wenn ich dazu nicht die geringste Lust habe. Immerhin fragt mich Tom nicht weiter aus.
Am Montag haben wir Englischschularbeit und ich habe das Buch, zu dem wir garantiert eine Aufgabe bekommen, erst zur Hälfte gelesen.
»Was liest du da?«, will Tom wissen.
Ich halte das Buch in die Höhe, so dass er das Cover sehen kann.
»The Picture of Dorian Gray«, liest er vor. »Findest du so was spannend? Wir mussten das in der Schule lesen.«
»Geht so.«
»Warum liest du’s dann, wenn’s nicht gut ist?«
»Wenn ich ein Buch anfange, lese ich es immer fertig.«
»Auch wenn’s scheiße ist?«
»Auch dann.«
Das ist völliger Blödsinn. Ich täte nichts lieber, als das Buch in eine Ecke zu schmeißen, und mich, so wie Tom, von der Millionenshow berieseln zu lassen.
»Gibt’s so was bei euch auch?« Er deutet auf den Moderator, der einem schwitzenden Mann gerade die 200-Euro-Frage stellt.
»Millionenshow? Ja, so etwas gibt es wohl überall, oder?«
»Wie heißt’n das bei euch?«
Ach Tom, musst du diesen ganzen Scheiß fragen? Ich hab doch keine Ahnung, wie das bei uns heißt. Ich weiß nicht mal, ob wir so was überhaupt haben.
Blitzschnell lege ich mir im Kopf eine Geschichte zurecht, in der Jeremys Eltern Zeugen Jehovas sind und er somit keinen Fernseher hat. Ich weiß zwar nicht, ob Zeugen Jehovas das Fernsehen verboten ist, aber etwas Besseres fällt mir auf die Schnelle nicht ein.
Doch zum Glück stellt der Moderator gerade eine Frage, auf die Tom anscheinend die Antwort weiß.
»Ungelegte, du Dillo!«, ruft er dem Mann im Fernseher aufgeregt zu.
»Ungelegte!« Dann dreht er sich zu mir. »›Um welche Eier soll man sich nicht kümmern?‹ heißt die Frage und dieser Schwachkopf ist sich nicht sicher, ob er ›hartgekochte‹ sagen soll!«
»Wollen Sie jetzt schon Ihren Telefonjoker verbrauchen?«, fragt der Moderator süffisant.
Seine Frage an mich hat Tom anscheinend vergessen. Ich atme erleichtert auf. Gleichzeitig ärgere ich mich über mich selbst. Ich muss mir Jeremys Vergangenheit besser überlegen. Doch ich weiß, dass ich nicht auf alle Fragen vorbereitet sein kann. Wer kann damit rechnen, dass Tom den Namen der britischen Millionenshow wissen will.
»Meine kleine Nichte sagt immer ›Melonenshow‹«, erzählt er lachend.
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