Familie Stecher vor ihrem neu gebauten Haus in Prad unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg
Die erste Wanderungswelle Südtiroler Mädchen in italienische Städte in den 20er und 30er Jahren umfasst die zwischen 1900 und 1923 Geborenen. Einige von ihnen erlebten noch den Krieg mit und waren geprägt vom Schock des Anschlusses Südtirols an Italien. Der Südtiroler Historiker Hans Heiss schreibt über die Aussichten dieser Kriegs- und Nachkriegskinder: „Wer 1914 in Südtirol zur Welt kam, erfuhr in seiner frühen Kindheit die prägende Erfahrung des Mangels, oft sogar des Hungers. Den Waffenstillstand 1918, den Frieden 1919 erlebten auch die Kinder nicht als Befreiung, sondern übernahmen die Sicht ihrer oft bekümmerten Eltern, die sich um ihre Existenz, um Arbeitsplatz und Einkommen sorgten.“ 17
Die Väter standen meist als Soldaten im Ersten Weltkrieg, oft blieben die Frauen allein mit einer Schar kleiner, hungriger Kinder und harter Arbeit auf dem Hof zurück. Der staatliche Unterhaltsbeitrag für die Angehörigen eines Soldaten war angesichts der enorm ansteigenden Lebenshaltungskosten während des Krieges kaum mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein. 18
Die ältesten der ehemaligen Dienstmädchen haben zwar nur wenige, dafür aber umso eindrücklichere Erinnerungen an den Krieg. Es sind Erinnerungen an Hunger, an die Präsenz von Soldaten und Gefangenen. Die 1910 geborene Rebekka Rungg aus Prad erzählt: „Der Vater hat 1914 einrücken müssen, wir waren noch kleine Kinder. Wir haben das Donnern der Kanonen vom Stilfser Joch herunter gehört. Der Vater musste an die Ortlerfront, er war bei den Standschützen. Mit einem Fernglas hat er vom Stilfser Joch heruntergeschaut und hat gesehen, dass das Korn reif ist, und es war niemand daheim, der es hätte mähen können. Und Brot wäre mehr als notwendig gewesen.“ Regina Walcher aus Eppan erinnert sich, dass die Bauern Vieh, Getreide, Milch und Butter für die Soldaten stellen mussten: „Als nur mehr eine Kuh im Stall war, sollte die Mutter auch die noch abgeben. Manchmal wusste die Mutter nicht, was sie kochen sollte, es war nichts im Haus.“ Auch die Familie von Maria Girardi aus Tramin litt unter der Lebensmittelknappheit während des Krieges. Als Maria 1943 in Innsbruck von der Gestapo in Untersuchungshaft genommen wurde, antwortete sie dem Gefängnisdirektor auf die Frage, wie sie mit dem Essen zufrieden sei: „Wenn meine Mutter während des Ersten Weltkrieges für ihre Kinder so viel gehabt hätte wie wir hier, hätte sie vielleicht weniger geweint.“ Dabei hatte ihr Vater, der Bursche bei einem Offizier war, der Familie manchmal Lebensmittelpakete geschickt und damit die Familie über den schlimmsten Hunger hinweggerettet.
Name |
Geburtsjahr |
Johanna Reisigl * |
1887 |
Karolina Ebner * |
1900 |
Hedwig Wallnöfer * |
1900 |
Anna Tappeiner * |
1901 |
Rosa Kobler * |
1903 |
Sophie Wallnöfer * |
1903 |
Lidwina Rungg * |
1904 |
Maria Tappeiner * |
1904 |
Maria Kaserer * |
1905 |
Emma Sagmeister * |
1905 |
Anna Ennemoser * |
1906 |
Luise Kaserer * |
1906 |
Kreszenzia Mair * |
1906 |
Ida Noggler * |
1906 |
Paula Wallnöfer |
1907 |
Hedwig Wieser * |
1907 |
Rosa Kaserer * |
1908 |
Josefa Tappeiner |
1908 |
Antonia Fuchs * |
1909 |
Hermine Lutt * |
1909 |
Rosa Moser |
1909 |
Maria Straudi * |
1909 |
Elisabeth Zischg * |
1909 |
Maria Theresia Saurer * |
1910 |
Annamaria Mussner |
1910 |
Rebekka Rungg |
1910 |
Elisabeth Thöni |
1910 |
Rosa Asper |
1911 |
Maria Elisabeth Gruber * |
1911 |
Berta Tappeiner |
1911 |
Luisa Tschenett * |
1911 |
Regina Walch |
1911 |
Toni Wallnöfer |
1911 |
Maria Blaas |
1912 |
Barbara Foppa * |
1912 |
Sofia Höchenberger |
1912 |
Adele Pamer |
1912 |
Maria Wunderer |
1912 |
Helena Blaas |
1913 |
Josefa Brunner |
1913 |
Edith Genta |
1913 |
Maria Girardi |
1913 |
Luise Mader |
1913 |
Anna Morandell * |
1913 |
Amalie Ramoser |
1913 |
Anna Telfser |
1913 |
Anna Unterthiner |
1913 |
Johanna Wallnöfer |
1913 |
Mathilde Andergassen |
1914 |
Herma Felderer * |
1914 |
Hilde Gius * |
1914 |
Marianna Parth |
1914 |
Hilde Pinggera |
1914 |
Antonia Saurer * |
1914 |
Rosa Stofner |
1914 |
Antonia Auer |
1915 |
Anna Egger |
1915 |
Johanna Pamer |
1915 |
Paula Wörndle |
1915 |
Maria Erlacher |
1916 |
Anna Frank |
1916 |
Paula Nössing |
1916 |
Anna Pinggera |
1916 |
Hilde Tschenett |
1916 |
Maria Stolzlechner |
1917 |
Hanni Kostner |
1918 |
Josefine Wieser * |
1918 |
Klara Blaas |
1919 |
Anna Ortner |
1919 |
Irma Kuen |
1920 |
Hedwig Platter |
1920 |
Maria Ortler |
1921 |
Theresa Tschenett |
1923 |
*Diese Frauen sind bereits verstorben oder waren nicht mehr ansprechbar. Die Informationen stammen aus Gesprächen mit Angehörigen.
Den Hunger weniger zu spüren bekamen Familien, die eine Mühle, Metzgerei oder Bäckerei besaßen. „Wir hatten Milch und Brot, wir hatten eigentlich immer genug zu essen. Während des Ersten Weltkrieges hatten wir Russen in unserem Haus, Kriegsgefangene, die haben bei der Grödner Bahn gebaut. Bei uns war so eine Art Lazarett. Aber die Russen hatten so großen Hunger, die bekamen sehr wenig zu essen. Das war schrecklich, da sind viele gestorben. Und dann sind die armen Kerle immer zu uns gekommen, und die Mutter mit ihrem großen Herz hat ihnen immer was gegeben“ , erzählt Annamaria Mussner aus St. Ulrich.
Sehr dramatisch war der Krieg für die Bewohner von Trafoi, sie mussten das Dorf verlassen, da im Ortlergebiet eine der wichtigen Verteidigungslinien gegen die Italiener verlief. Die Familie von Paula Wallnöfer übersiedelte mit Sack und Pack nach Prad: „Wir sind vorübergehend auf dem Nauhof in Prad untergekommen. Auf dem Dachboden war eine große Kommode, da hat man die untere Schublade herausgezogen, da haben zwei Buben darin geschlafen. Wir Kinder waren gerne auf dem Hof, die Mutter nicht, denn sie musste mit der Naubäuerin auf einem Herd kochen.“
Auch die Jahre nach Kriegsende waren noch vielfach von Entbehrungen und Hunger geprägt. Vielerorts erreichte die Not in den Jahren nach dem Krieg ihren Höhepunkt. Es fehlte an allem. Besonders hart traf es jene Familien, deren Väter im Krieg ums Leben gekommen waren, wegen ihrer Kriegsverletzungen arbeitsunfähig blieben oder daran starben. Manche Frauen waren noch Jahre auf sich allein gestellt, weil ihre Männer in Kriegsgefangenschaft waren.
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