Also heischt es meine grosse Liebe zu den Fernsten: schone deinen Nächsten nicht ! Der Mensch ist Etwas, das überwunden werden muss.
Es giebt vielerlei Weg und Weise der Überwindung.- da siehe du zu! Aber nur ein Possenreisser denkt: »der Mensch kann auch übersprungen werden.«
Überwinde dich selber noch in deinem Nächsten: und ein Recht, das du dir rauben kannst, sollst du dir nicht geben lassen!
Was du thust, das kann dir Keiner wieder thun. Siehe, es giebt keine Vergeltung.
Wer sich nicht befehlen kann, der soll gehorchen. Und Mancher kann sich befehlen, aber da fehlt noch Viel, dass er sich auch gehorche!
Also will es die Art edler Seelen: sie wollen Nichts umsonst haben, am wenigsten das Leben.
Wer vom Pöbel ist, der will umsonst leben; wir Anderen aber, denen das Leben sich gab, – wir sinnen immer darüber, was wir am besten dagegen geben!
Und wahrlich, diess ist eine vornehme Rede, welche spricht: »was uns das Leben verspricht, das wollen wir – dem Leben halten!«
Man soll nicht geniessen wollen, wo man nicht zu geniessen giebt. Und – man soll nicht geniessen wollen !
Genuss und Unschuld nämlich sind die schamhaftesten Dinge: Beide wollen nicht gesucht sein. Man soll sie haben –, aber man soll eher noch nach Schuld und Schmerzen suchen ! –
Oh meine Brüder, wer ein Erstling ist, der wird immer geopfert. Nun aber sind wir Erstlinge.
Wir bluten Alle an geheimen Opfertischen, wir brennen und braten Alle zu Ehren alter Götzenbilder.
Unser Bestes ist noch jung: das reizt alte Gaumen. Unser Fleisch ist zart, unser Fell ist nur ein Lamm-Fell: – wie sollten wir nicht alte Götzenpriester reizen!
In uns selber wohnt er noch, der alte Götzenpriester, der unser Bestes sich zum Schmause brät. Ach, meine Brüder, wie sollten Erstlinge nicht Opfer sein!
Aber so will es unsre Art; und ich liebe Die, welche sich nicht bewahren wollen. Die Untergehenden liebe ich mit meiner ganzen Liebe: denn sie gehn hinüber. –
Wahr sein – das können Wenige! Und wer es kann, der will es noch nicht! Am wenigsten aber können es die Guten.
Oh diese Guten! – Gute Menschen reden nie die Wahrheit ; für den Geist ist solchermaassen gut sein eine Krankheit.
Sie geben nach, diese Guten, sie ergeben sich, ihr Herz spricht nach, ihr Grund gehorcht; wer aber gehorcht, der hört sich selber nicht !
Alles, was den Guten böse heisst, muss zusammen kommen, dass Eine Wahrheit geboren werde: oh meine Brüder, seid ihr auch böse genug zu dieser Wahrheit?
Das verwegene Wagen, das lange Misstrauen, das grausame Nein, der Überdruss, das Schneiden in’s Lebendige – wie selten kommt das zusammen! Aus solchem Samen aber wird Wahrheit gezeugt!
Neben dem bösen Gewissen wuchs bisher alles Wissen ! Zerbrecht, zerbrecht mir, ihr Erkennenden, die alten Tafeln!
Wenn das Wasser Balken hat, wenn Stege und Geländer über den Fluss springen: wahrlich, da findet Keiner Glauben, der da spricht: »Alles ist im Fluss.«
Sondern selber die Tölpel widersprechen ihm. »Wie? sagen die Tölpel, Alles wäre im Flusse? Balken und Geländer sind doch über dem Flusse!«
» Über dem Flusse ist Alles fest, alle die Werthe der Dinge, die Brücken, Begriffe, alles »Gut« und »Böse«: das ist Alles fest!« –
Kommt gar der harte Winter, der Fluss-Thierbändiger: dann lernen auch die Witzigsten Misstrauen; und, wahrlich, nicht nur die Tölpel sprechen dann: »Sollte nicht Alles – stille stehn ?«
»Im Grunde steht Alles stille« –, das ist eine rechte Winter-Lehre, ein gut Ding für unfruchtbare Zeit, ein guter Trost für Winterschläfer und Ofenhocker.
»Im Grund steht Alles still« –: dagegen aber predigt der Thauwind!
Der Thauwind, ein Stier, der kein pflügender Stier ist, – ein wüthender Stier, ein Zerstörer, der mit zornigen Hörnern Eis bricht! Eis aber – – bricht Stege !
Oh meine Brüder, ist jetzt nicht Alles im Flusse ? Sind nicht alle Geländer und Stege in’s Wasser gefallen? Wer hielte sich noch an »Gut« und »Böse«?
»Wehe uns! Heil uns! Der Thauwind weht!« – Also predigt mir, oh meine Brüder, durch alle Gassen!
Es giebt einen alten Wahn, der heisst Gut und Böse. Um Wahrsager und Sterndeuter drehte sich bisher das Rad dieses Wahns.
Einst glaubte man an Wahrsager und Sterndeuter: und darum glaubte man »Alles ist Schicksal: du sollst, denn du musst!«
Dann wieder misstraute man allen Wahrsagern und Sterndeutern: und darum glaubte man »Alles ist Freiheit: du kannst, denn du willst!«
Oh meine Brüder, über Sterne und Zukunft ist bisher nur gewähnt, nicht gewusst worden: und darum ist über Gut und Böse bisher nur gewähnt, nicht gewusst worden!
»Du sollst nicht rauben! Du sollst nicht todtschlagen!« – solche Worte hiess man einst heilig; vor ihnen beugte man Knie und Köpfe und zog die Schuhe aus.
Aber ich frage euch: wo gab es je bessere Räuber und Todtschläger in der Welt, als es solche heilige Worte waren?
Ist in allem Leben selber nicht – Rauben und Todtschlagen? Und dass solche Worte heilig hiessen, wurde damit die Wahrheit selber nicht – todtgeschlagen?
Oder war es eine Predigt des Todes, dass heilig hiess, was allem Leben widersprach und widerrieth? – Oh meine Brüder, zerbrecht, zerbrecht mir die alten tafeln!
Diess ist mein Mitleid mit allem Vergangenen, dass ich sehe: es ist preisgegeben, –
– der Gnade, dem Geiste, dem Wahnsinne jedes Geschlechtes preisgegeben, das kommt und Alles, was war, zu seiner Brücke umdeutet!
Ein grosser Gewalt-Herr könnte kommen, ein gewitzter Unhold, der mit seiner Gnade und Ungnade alles Vergangene zwänge und zwängte: bis es ihm Brücke würde und Vorzeichen und Herold und Hahnenschrei.
Diess aber ist die andre Gefahr und mein andres Mitleiden: – wer vom Pöbel ist, dessen Gedenken geht zurück bis zum Grossvater, – mit dem Grossvater aber hört die Zeit auf.
Also ist alles Vergangene preisgegeben: denn es könnte einmal kommen, dass der Pöbel Herr würde und in seichten Gewässern alle Zeit ertränke.
Darum, oh meine Brüder, bedarf es eines neuen Adels , der allem Pöbel und allem Gewalt-Herrischen Widersacher ist und auf neue Tafeln neu das Wort schreibt »edel«.
Vieler Edlen nämlich bedarf es und vielerlei Edlen, dass es Adel gebe ! Oder, wie ich einst im Gleichniss sprach: »Das eben ist Göttlichkeit, dass es Götter, aber keinen Gott giebt!«
Читать дальше