»Sag a mal Berta, ziehst du denn eigentlich auch in das Altenheim, wenn das jetzt so neu und schön wird? Ich meine, betreutes Wohnen hört sich doch gut an, das ist ja eher ein Hotel. Das kann ich mir ganz lustig vorstellen.«
Diese Frage war jetzt allerdings dann wiederum Berta ziemlich unangenehm. Ihre Antwort kam dann schon unter leicht schnaubender Atmung. »Also weißt, Bettina, ja sag einmal, warum soll ich denn in ein Altenheim ziehen? Ich bin doch topfit und erst knapp über sechzig. Was denkst du denn von mir?«, antwortete das rüstige Rentnerfräulein ziemlich eingeschnappt.
»Ich mein ja nur, Berta. Ich glaub, ich würde das schon tun, wenn ich genügend Geld hätte und meinen Lebensabend in Gesellschaft genießen möchte«, versuchte sich Bettina jetzt in Deeskalation. Denn Berta konnte da schon etwas cholerisch sein, wenn es um ihre eigene Person ging.
»Jetzt warten wir, bis der Bau überhaupt erst einmal fertig ist. Du kennst ja den Schmal Harald. Der und seine komische Firma, der treibt ja auch alles, was Gott verboten hat. Dem trau ich nicht für den Dreck unter meinen Fingernägeln. Wie oft hat man denn schon in der Zeitung gelesen, dass die Firma Beton Schmal nicht ganz zuverlässig war. Von den erheblichen Baumängeln, die da aufgetreten sind, ganz zu schweigen.«
Berta hatte offensichtlich keine gute Meinung über die Baufirma, die den Erweiterungsbau an das Altenheim errichtete. Aber Bettina musste sich schon eingestehen, dass der »BND« da nicht ganz im Unrecht war. Denn Harald Schmal, der Chef der Firma, war nicht unbedingt das Synonym für einen seriösen Geschäftsmann. Allein schon sein Auftreten mit den protzigen Autos, solariumverbrannt, dicke Goldkettchen um den Hals, muskelbepackt, circa ein Kilo Gel in seinen pechschwarz gefärbten Haaren … Grundsätzlich war er wohl sehr eitel, Bettina vermutete, dass er vielleicht sogar Botox spritzen ließ. Außerdem schien ihm das Altern nicht ganz leichtzufallen, denn er stylte sich eher wie ein Zwanzigjähriger, war aber mehr als doppelt so alt. Seine Frau Anita konnte einem direkt leidtun. Harald genoss sein Leben in vollen Zügen und dies auch ab und zu gerne mit diversen anderen Frauen. Aber es schien so, als hätte sich Anita, oder Anni, wie sie im Dorf jeder nannte, damit abgefunden. Sie scherte sich nicht mehr um ihren Mann und die Gerüchte. Auch sie lebte ihr Leben und ließ es sich gutgehen. Skiurlaub in Kitzbühel, Wellness in Südtirol, Shopping in New York. Das war die Welt der Anni Schmal.
Eigentlich hatte ja Harald Schmal in die Firma eingeheiratet. Denn Annis Vater hatte mit der Baufirma, die früher noch Filz-Bau hieß, ein kleines Imperium aufgebaut und war ein zuverlässiger und angesehener Baumeister in ganz Niederbayern gewesen. Auch als Arbeitgeber hatte er einen guten Ruf gehabt. Viele gute und fleißige Handwerker aus der Umgebung waren hier beschäftigt gewesen und Annis Vater hatte immer ein offenes Ohr für seine Angestellten gehabt.
Nach seinem Tod hatte dann der Schwiegersohn die Firma übernommen und führte sie nun mit einem etwas anderen »betrieblichen Konzept«, könnte man sagen. Manch krumme Geschäfte, vielleicht auch mal eine kleine Bestechung zwischendurch oder ab und an mal eine kleine planmäßige Pleite einer Tochterfirma kamen in diesem Konzept schon vor. Schlecht bezahlte Arbeitskräfte, viele Hilfsarbeiter, die nicht mal der deutschen Sprache mächtig waren, aber deren Arbeitsleistung bei den Bauherren gerne mal mit den Stundensätzen für Meister abgerechnet wurden. Harald war wirklich recht kreativ in solchen Dingen.
Und nun baute eben diese Firma einen Trakt an das bestehende Altenheim an. Betreutes Wohnen mit 24-Stunden-Service. Der Hochglanzprospekt dazu, der in ganz Unterfilzbach auslag, versprach einen wahr gewordenen Senioren-Wohntraum:
Individuell gestaltete Einzelapartments, Butler-Service, altersgerechtes Unterhaltungsprogramm mit Tagesausflügen (z. B. ins Casino oder in einen Duty Free Shop nach Tschechien), Workshops, Rollator-Tanzgruppe, Altersheim-Band »Die fast Toten Hosen«, Personal-Fitness-Coaches, Snoezelraum für die totale Entspannung, Hair-und-Make-up-Artist-Hausbesuche und noch vieles mehr.
Die Kosten dafür waren natürlich dementsprechend hoch. Das konnten sich jetzt nicht unbedingt die ganz normalen Durchschnittsrentner leisten. Aus dem Bauhof kam die Information, dass Harald Schmal den Bau als Bauträger abwickelte und anschließend an die Gemeinde Unterfilzbach vermieten würde. Der private Betreiber des Altenheims mietete dann das Gebäude wiederum von der Gemeinde Unterfilzbach.
Also man konnte Sachen auch kompliziert machen, fand Bettina. Aber wahrscheinlich war das wieder ein ausgefuchstes Steuersparmodell oder ein geschickt aufgestellter rechtlich verzwickter Vertrag, damit niemand in der Verantwortung und vor allem in der Haftung stehen könnte, falls irgendetwas Unschönes passieren würde, was auch immer.
Berta schien das offensichtlich alles für keine gute Idee zu halten. »Wenn ich Bürgermeisterin wäre, dann würde ich da aber mal ganz genau hinschauen. So was muss alles seine Ordnung haben. Ganz ohne krumme Geschäfte und Hinterfotzigkeiten solcher Betrüger. Ich würd ihnen schon reinhelfen in d’Schuh, der ganzen Bagage.«
Berta versuchte schon seit Jahren, auch politisch aktiv zu werden. Bürgermeisterin wäre absolut ihr Traumberuf, das erzählte sie jedem, ob er es hören wollte oder nicht. Mit ihrer Berufserfahrung als langjährige Bürgermeistersekretärin, ihrem Verhandlungsgeschick, ihrem Einfühlungsvermögen, ihrer totalen Empathie für andere Menschen und ihrem sozialen Engagement war sie geradezu prädestiniert für diesen Job – fand Berta selbst. Allerdings wollte keine Partei oder Gruppierung sie als Spitzenkandidatin haben. Für den Gemeinderat hatte sie gnädigerweise ihr Neffe Roman Groß, der Ortsvorsitzende der Katholischen Union der Konservativen, kurz KUK, bei den letzten beiden Wahlnominierungen immerhin auf den letzten Listenplatz gesetzt. Vielleicht aus Mitleid. Wahrscheinlicher aber, weil er auf das Erbe der ledigen, kinderlosen Berta hoffte. Obwohl die KUK in ganz Bayern eine politische Großmacht war, hatte es Berta bisher nicht in das Gemeindegremium von Unterfilzbach geschafft. Einmal wäre sie fast die siebte Nachrückerin in einer Legislaturperiode gewesen, aber dann war der Weiderer Erwin doch wieder aus dem Koma aufgewacht und zwei Monate später waren dann sowieso Neuwahlen.
Aber hartnäckig war sie schon, die Berta, das musste man ihr lassen. Auch dieses Mal hatte sie sich wieder für eine Kandidatur als Bürgermeisterin bei der KUK beworben. Sie hatte wohl irgendwie ausgeblendet, dass der Amtsinhaber Matthias Brunner, der schon seit zwölf Jahren fest im Bürgermeistersessel saß, gar nicht daran dachte aufzuhören, und dass sie die letzten beiden Male ja auch als Kandidatin von den Stimmberechtigten der Partei deutlich abgelehnt wurde. Mit Flyern, Postern, Roll-ups und einer umfangreichen Power-Point-Präsentation kam sie zur Nominierungsversammlung des KUK-Ortsverbandes beim Dorfwirt.
Berta stand mit ihrem Anliegen nicht mal auf der Tagesordnung. Diesmal wurde sie aber nicht abgelehnt, weil sie keiner als Kandidatin haben wollte, sondern weil sie für das Bürgermeisteramt in Bayern mit ihren neunundsechzig Jahren schon zu alt war. Die KUK-Ortsmitglieder waren heilfroh, dass sie endlich ein nicht zu diskutierendes Argument für die Ablehnung hatten. Berta sah das auch recht schnell ein und betrachtete das Ganze als Teilsieg. Den üblichen letzten Listenplatz für den Gemeinderat hatte sie dann jedoch gleich ohne größere Wortgefechte bekommen. Berta fühlte sich politisch obenauf.
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