Bettina freundete sich zeitgleich mit Maria an, und aus dieser Informationsquelle wusste Hansi, dass wohl auch Maria sehr gelitten hatte, weil sie Sepp verlassen musste. Aber sie stellte damals in München fest, dass sie schwanger war. Leider nicht von Sepp, sondern von Reiner. Und so nahm das Schicksal seinen bisher tragischen Lauf, denn Bettina fand, dass Sepp und Maria auf alle Fälle zusammengehörten. »Man sieht förmlich die Liebe zwischen den beiden«, sagte sie immer zu Hansi.
Hansi durchquerte Sepps wunderbaren Gemüse- und Nutzgarten, wie ihn kein Gärtner schöner hätte anlegen können. Dem sah man jetzt im Januar seine Pracht natürlich nicht an, aber im Sommer war es das reinste Paradies hier, im Reich von Hansis bestem Freund.
Hansi klingelte an der Haustür. Als die sich öffnete, fiel er um ein Haar in Ohnmacht. Wer sonst sollte hinter der Tür stehen außer sein Sepp? Die Tür öffnete dann aber tatsächlich: Ashanti!
Ashanti war ein Endvierziger und ehemaliger Versicherungsvertreter, der eigentlich amtlich Alois Amberger hieß. Das allein war ja schon eine Ohnmacht wert, zumindest einen kleinen Schwindelanfall. Aber das war noch nicht mal das Überraschendste. Ashanti stand wahrhaftig in einem weißen, über und über mit Glitzersteinen bestickten Kleid mit wahnsinnig ausladendem Reifrock in der Tür. Dazu trug er weiße Satinhandschuhe bis zu den Ellenbogen und in seinen langen grauen Haaren war ein funkelndes Diadem drapiert. Die Frisur hätte wohl eine Flechtfrisur werden sollen. Mit verschiedenen Farbklecksen im Gesicht, die wohl ein Make-up darstellen sollten, erinnerte diese Gestalt Hansi direkt an eine schlechte Parodie der Kaiserin Sissi.
Als Ashanti sich nach dem Öffnen lasziv in den Türrahmen lehnte und mit schriller Stimme und gespieltem österreichischem Akzent quakte: »Fraaanz, Eure Majestät, komm rein!«, war Hansi sicher, das sollte tatsächlich die Kaiserin Sissi darstellen. Offensichtlich erwartete »Sissi« alias Ashanti alias Alois jemand anderes als Hansi. Denn er war mindestens genauso fassungslos wie Hansi selbst. Peinlich berührt versuchte Ashanti die Flucht zu ergreifen, jedoch verhängte sich der ausladende Reifrock im Türrahmen und er konnte weder vor noch zurück. Ein wenig verzweifelt sah er dabei aus, der Esoterik-Guru von Unterfilzbach, amüsierte sich Hansi.
Ashanti war ein selbsternannter Heiler, Yoga- und Kamasutra-Meister. Nebenbei besaß er seiner Meinung nach noch einige weitere herausragende Fähigkeiten und Talente. Angeblich war er eine Zeit lang in einem indischen Ashram gewesen und wurde dort »erleuchtet«. Ashanti war der intelligenten Indira immer schon sehr suspekt vorgekommen und sie hatte vor ein paar Monaten ein wenig in seiner Vergangenheit gewühlt. Es stellte sich heraus, dass der indische Ashram eigentlich eine niederbayerische Justizvollzugsanstalt war. Dort hatte er wegen Veruntreuung und Betrugs seines ehemaligen Arbeitgebers, einer großen bayerischen Versicherung, eingesessen. Aber die Verkaufsschulungen in Sachen Rhetorik und Kundenüberzeugung für Versicherungen aller Art waren wohl sehr lehrreich gewesen, denn Ashanti konnte wirklich eloquent und überzeugend sein. Letztes Jahr hatte er mit seinen angebotenen Kursen an der Volkshochschule die gesamte Gemeinde Unterfilzbach in ein wahres Kamasutra-Fieber versetzt.
Im Grunde aber war der Amberger Loisl ein Luftikus, der sich von heute auf morgen durch das Leben schlug. Auf die Dauer nervtötend war seine penetrant missionarische Art. Da konnte er einen wirklich in Grund und Boden reden. Furchtbar! Hansi hatte da schon so seine Erfahrungen gemacht und deshalb ging er dem grauhaarigen Esoterik-Messias lieber aus dem Weg.
Und jetzt stand der also vor ihm. Er, der angeblich allen irdischen Besitztümern abgeschworen hatte. Was ein Leichtes war, weil Ashanti quasi keinerlei Besitz mehr hatte. Ashanti stand da also als Kaiserin Sissi verkleidet in der Haustür seines besten Freundes und hing mit seinem Reifrock am Türrahmen fest. Wenn er nicht so unglaublich überrascht gewesen wäre, hätte Hansi ihm vielleicht sogar geholfen. Aber dieser Anblick war einfach zu komisch. Es war fast wie bei einem Unfall, man konnte gar nicht wegschauen.
»Hallo Hansi, ich hab’s gleich, hihi«, stammelte Ashanti verlegen, während er wie wild an seinem Unterrock zerrte.
»Servus Hansi«, war jetzt Sepps Stimme aus der Dunkelheit zu hören. Mit einem Kasten Bier in der Hand kam Sepp nun zu dieser skurrilen Szene hinzu.
»Was machst jetzt du da? Ashanti? Alles klar bei dir?« Auch Sepp schien ein wenig überrascht über den Anblick, der sich ihm in seiner Haustür bot. Endlich konnte Ashanti sich befreien und eilte schnell in das Haus zurück, dass sein Kleid nur so raschelte.
»Ähm, was ist jetzt da bei dir los, Sepp?«, wollte Hansi natürlich gleich wissen.
Als Antwort kam lediglich ein tiefes Seufzen, was Hansis Spannung auf die Auflösung jedoch nicht geringer werden ließ.
»Bist jetzt schwul geworden, weil dich die Maria nicht mag?«, wollte Hansi mit einem kleinen Witz die Stimmung ein wenig auflockern.
Augenblicklich verzogen sich allerdings Sepps Gesichtszüge und er warf seinem Bauhofkollegen einen sehr ernsten Blick zu, sodass Hansi für einen Moment sogar befürchtete, er könnte recht gehabt haben.
»Wenn du eh nur blöd daherredest, kannst gleich wieder abhauen, Scharnagl«, entgegnete Sepp ihm sehr betroffen und stapfte mit seinem Kasten Bier wieder ins Haus zurück.
Hansi vermutete, dass Sepp immer noch großen Liebeskummer hatte. Der arme Kerl. Gleich tat ihm sein Spruch über die mögliche sexuelle Neuorientierung wieder leid. Hansi folgte ihm und dem Kasten Bier.
Sepp war in der Küche und schichtete die Flaschen naturtrübes Filzer Hell wortlos in seinen Kühlschrank. In der Küche verteilt lagen überall Räucherstäbchen und LoFi-Massagestäbe. So was hatten auch die Scharnagls daheim, seit Bettina auf Yoga schwor. Das müssen Ashantis Sachen sein , dachte Hansi. Denn soviel er wusste, war Sepp nicht unbedingt ein Fan von diesem esoterischen Zeug.
»Tut mir leid, Sepp, ich hab das nicht so gemeint«, entschuldigte sich Hansi kleinlaut. »Aber jetzt sag mir bitte, was der Ashanti hier zu suchen hat.«
»Mei Hansi, ich kann halt nicht nein sagen, das weißt doch. Vor ein paar Tagen hab ich die Stille hier im Haus nicht mehr ausgehalten und bin kurzentschlossen zu einem Kurs bei der VHS gegangen – Bring positive Energie in dein Leben. Ich war dann wirklich auch besser drauf, weil so ein positiver Energiefluss hilft schon ein bisserl. War gar nicht mal schlecht, die ganze Sach’. Auf jeden Fall hat der Wiggerl den Ashanti rausgeworfen, oder vielmehr seine Hilde. Da hat er doch als Untermieter gewohnt. Also hat der mich dann so dermaßen zugetextet, bis ich gesagt hab, ja dann bleibst halt ein paar Tage da. Und jetzt ist er halt da. Ich sag dir, ich könnt ihn manchmal an die Wand klatschen.« Sepp war sichtlich genervt von seinem neuen Mitbewohner.
»Typisch! Hätt’st ihn halt gleich nicht aufgenommen«, schimpfte Hansi seinen gutmütigen Freund. »Und jetzt läuft er hier den ganzen Tag als Sissi rum?«, erinnerte sich Hansi schmunzelnd wieder an das soeben Erlebte.
»Ach, was weiß ich, der spinnt halt. Er will mit auf den Feuerwehr-Faschingsball gehen. Also, falls ich ihm bis dahin noch nicht an die Gurgel gegangen bin. Blöderweise hat er mitbekommen, dass ich den Ball als Feuerwehrkommandant organisieren muss, und er fühlt sich jetzt mitverantwortlich. Ich komm mir vor, als wenn ich verheiratet wär. Stell dir vor, er möchte, dass wir in einem Partnerkostüm gehen. Also lange pack ich den nimmer, ich sag’s dir, der geht mir so was von auf die Nerven«, klagte Sepp sein Leid über die Eigenarten Ashantis.
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