Bevor Payer 1866 die nächsten Besteigungen in Angriff nehmen konnte, brach der deutsche Bruderkrieg aus. Kurz zuvor war er zum Oberleutnant befördert worden. Das mit Preußen verbündete Italien versuchte, Venetien zu erobern. Bei Custozza, einem kleinen Dorf südwestlich von Verona, stießen am 24. Juni 1866 ein österreichisches Heer mit 73.000 Soldaten unter Erzherzog Albrecht von Österreich-Teschen und ein italienisches Heer mit 65.000 Soldaten unter General Alfonso La Marmora zusammen. Österreich ging siegreich aus der blutigen Schlacht hervor, beide Parteien verloren etwa 8000 Mann.
In der Schlacht von Custozza gehörte Payers Regiment Nr. 36 zur Infanterie-Reserve-Division unter Generalmajor Heinrich Rupprecht von Virtsolog. Payer focht im Infanterie-Regiment Graf Degenfeld Nr. 36, kommandiert von Oberst Carl Ritter von Bienerth (1825–1882). Nach der Schlacht von Custozza wurde Payer erneut dekoriert, da er an der Eroberung zweier feindlicher Kanonen beteiligt gewesen war. Trotz der siegreichen Schlacht musste Österreich Venetien an Italien abtreten, weil Preußen nach seinem Sieg bei Königgrätz die Friedensbedingungen diktieren konnte. Von Ende 1866 und bis Frühjahr 1868 war Payer im schlesischen Jägerndorf stationiert. Seine Urlaube im Spätsommer 1866 und im Sommer 1867 widmete er der Erschließung des westlichen und des südlichen Teils der Ortlergruppe.
Zwei Offiziere sollten Payers Leben und Wirken auf unterschiedliche Weise, doch jeder für sich sehr nachhaltig, beeinflussen: der Maler Moritz Menzinger, von Payer ausdrücklich als sein „bester Freund“ tituliert (ÖNB 373/3 Beilage 5), und der k. u. k. Kriegsminister Baron Franz von Kuhn.
MENZINGER, DER BESTE FREUND
Der Offizier und liechtensteinische Maler Moritz Menzinger wurde 1832 im ungarischen Karansebes geboren. Sein Vater Michael Menzinger (1792–1877) ging 1833 nach Vaduz und leitete die Landvogtei, womit der Sohn liechtensteinischer Bürger wurde. Nach Schulbesuch in Vaduz, Feldkirch und Hall in Tirol trat er 1848 als Kadett in das liechtensteinische Militärkontingent ein und wurde nach wenigen Monaten zum Leutnant befördert. Nach dem Militärdienst war er Kanzleigehilfe seines Vaters und führte Landvermessungsarbeiten durch. Dabei entwickelte er eine Vorliebe für das Zeichnen von Landschaften. 1854 begab sich Menzinger in österreichische Heeresdienste. Nach einer ersten Stationierung in Ungarn wurde er nach Mainz versetzt und von 1857 bis 1861 nach Frankfurt am Main. Dort war er Bataillons-Adjutant bei der Kommandantur und beim Präsidenten der Bundeskommission. In Frankfurt machte Menzinger die Bekanntschaft des Malers Carl Theodor Reiffenstein (1820–1893). Bei ihm erweiterte er sein zeichnerisches Können und verbesserte seine Technik des Aquarellierens. 1861 bis 1867 war er in Verona stationiert und erlebte die Schlacht von Custozza als Kompaniechef. Nach dem Krieg wurde er Zeichenlehrer an der Kadettenschule in Olmütz. 1871 erfolgten Moritz Menzingers Beförderung zum Hauptmann und die Anstellung am „Militärgeographischen Institut“ in Wien. Als Oberstleutnant und Bataillonskommandeur ging er 1889 in den Ruhestand. Seitdem lebte Menzinger, der nie heiratete, in Überlingen am Bodensee und widmete sich der Malerei. Er starb 1914, ein Jahr vor Julius Payer.
Wann lernten sich Julius Payer und Moritz Menzinger kennen? Es trennten sie immerhin neun Lebensjahre und entsprechende Rangunterschiede. 1859 waren Unterleutnant Payer und Bataillonsadjutant Menzinger kurz in Mainz stationiert. Gemeinsam waren sie auch von 1861 bis 1863 in Verona in Garnison. Gewiss waren es die gemeinsamen Vorlieben, die Menzinger und Payer zusammenführten: die Freude am Zeichnen und an der Malerei, der Sinn für Topografie und die Fähigkeiten der Vermessung sowie die Leidenschaft für alpine Bergwelten. Verona wurde der Ausgangspunkt für gemeinsame Erlebnisse und Unternehmungen. Seitdem verloren sich die Freunde lebenslang nicht mehr aus den Augen.
Moritz Menzinger, Offizier und Maler, Payers bester Freund (R. Rheinberger/ N. Hasler, Moritz Menzinger 1832–1914, Konstanz 1986)
Ein gut dokumentiertes Zeugnis freundschaftlicher Zusammenarbeit findet sich in vier der fünf alpinistischen Hefte Payers. Nach dessen zeichnerischem Entwurf führte Menzinger die Titelbilder aus. Es handelt sich um das Frontispizbild „Ansicht aus der Adamello Gruppe“ (1865), die „Ansicht der Königspitze von Osten (dem Eisseepass) aus“ (1867), Menzingers Gemälde „Der Ortler 12356’ von der Schwarzen Wand aus“ (1868) und das Gemälde „Der Monte Saline vom Cerno Vios aus“ (1869). Auf dem letzten Bild sehen wir vor einer großartigen Bergkulisse rechts eine Gruppe von drei Männern. Während die beiden Führer sich gerade bei einer Flasche Wein ausruhen, steht Payer hinter dem Messtisch und notiert seine Beobachtungen. Ebenfalls 1869 erschien ein Titelbild Menzingers „Die Marmolata aus dem Fassathale“ zu Payers Aufsatz „Die Bocca di Brenta“ im Jahrbuch des Österreichischen Alpenvereins (5/1869). Die Frontispizabbildung des 1872 erschienenen Heftes fertigte nicht Moritz Menzinger an, sondern der britische Holzschneider und Alpinist Edward Whymper.
Die Jahre von 1869 bis 1872 waren Menzinger und Payer zeitweilig am Wiener Militärgeographischen Institut tätig, unterbrochen von zwei Polarreisen Payers. Als Payer im Frühjahr 1872 beabsichtigte, noch kurz vor der dritten Expedition seine Verlobte Marie Trousil zu heiraten, erstellte er eine lange Liste der zur Vermählung einzuladenden Personen. Ganz oben auf der Liste stand bekanntlich „Menzinger, mein allerbester alter Freund“. Die Hochzeit wurde jedoch verschoben. Vor der Abreise Richtung Nordpol im Mai 1872 bat Payer den Freund, der Verlobten in allen Dingen hilfreich zu sein. Noch aus Bremerhafen schrieb er ihm einen herzlichen Abschiedsbrief und instruierte ihn nochmals, sich im Sinne des Freundes um Marie Trousil zu kümmern.
Nach der Rückkehr von der abenteuerlichen Polarreise im September 1874 stand Menzinger wieder an seiner Seite. Payers polare Abenteuer wurden zum Bestandteil seines eigenen Schaffens. Nach Payers Vorlagen und Motiven malte er Bilder in Farbkreide und Pastell wie etwa das Bild „Polarnacht“ mit der „Tegetthoff“ im Eis (Städtisches Museum Überlingen, LLM A 26). Über Briefe blieben die Freunde weiterhin in ständigem Kontakt. Nach der Trennung von Frau und Kindern war Menzinger der erste, den Payer im Sommer 1890 in Überlingen für vier Tage besuchte.
General Franz von Kuhn (Mazzoli 2003)
DER LEUTNANT UND DER GENERAL
Die für Julius Payers Leben alles entscheidende Begegnung war jene mit General Franz von Kuhn (1817–1896). Franz Freiherr Kuhn von Kuhnenfeld hatte 1860 in Trient das Kommando über das 17. Infanterieregiment übernommen. 1862 wurde der ausgewiesene Kenner Tirols Generalmajor und Brigadier. In dieser Position lernte ihn der junge Leutnant Julius Payer kennen. General Kuhn war von 1868 bis 1874 k. u. k. Kriegsminister und reorganisierte mit der ihm eigenen Tatkraft das Wehrwesen der Monarchie. 1873 stieg er in den Rang eines Feldzeugmeisters auf und wurde nach seinem Abschied als Minister Kommandierender General in Graz. 1888 wurde er mit großen Ehren in den Ruhestand verabschiedet.
Die so bedeutende Begegnung zwischen Payer und Franz von Kuhn ereignete sich im September 1864. Payer hatte 17 Tage Urlaub vom Heeresdienst, den er kartografischen Aufnahmen in der Adamello- und Presanellagruppe widmete. Auf dem Rückweg kam er durch Tione und meldete sich vorschriftsgemäß beim örtlichen Kommandanten. Es war ein Major der Jäger, mit dem Payer im selben Regiment gedient hatte und der ihn zur Übernachtung einlud. Am nächsten Morgen verabschiedete sich Payer von seinem Gastgeber und bestieg ein Fuhrwerk, das ihn nach Trient zur Bahn bringen sollte. In letzter Minute eilte der Major herbei, um ihm ein Fässchen mit lebenden Forellen anzureichen. Payer sollte dieses Fässchen seiner Exzellenz General von Kuhn übergeben. Am selben Nachmittag meldete er sich in Trient bei dem General, stellte sich vor und überreichte ihm auftragsgemäß die lebendige Fracht. Der General, hemdsärmelig zivil und ohne Uniform, fragte den Leutnant nach seinem Treiben. Daraus entwickelte sich ein Gespräch, das für Payer weitreichende Folgen haben sollte. Payer skizzierte den Dialog 1909, also Jahrzehnte später, aus der Erinnerung (Müller 1956, S.14):
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