Euphorisch gestärkt und allmählich in weihnachtlich-überirdischer, feierlicher Stimmung ist endlich die wichtige, innere Ruhe eingekehrt. Er konzentriert sich auf die Weihnachtsgeschenke. Immer wieder holt er auch einige Sachen aus der Mülltonne zurück.
»Gerade noch rechtzeitig«, stellt er fest, als das Müllauto anrückt. Dann grübelt er weiter. Das dauert seine Zeit – mindestens vom Oktober bis in den Advent hinein. Bald sind schon die ersten endlosen Lichterketten und kilometerweit strahlenden, turmhohen Event-Sensationen installiert. Die findigen Dekorateure haben jeden Winkel festlich geschmückt. Überall klingt und singt es weihnachtlich beschwingt. Auch die Hochsaison der Weihnachtsmärkte hat begonnen.
»Da habe ich auch heuer wieder sensationell tolle Sachen und einmalige Schnäppchen erworben«, flüsterte er glücklich, als er mit seinem vollbeladenen Wagen zurückgekehrt war. Alles freut sich, und weit und breit merkt es bald jeder: Es weihnachtet umgehend sehr!
Auch der Martl hat allmählich wieder Frieden und innere Ruhe gefunden. Er hat viele Verwandte und Freunde, und alle will er ökologisch-dynamisch beschenken. Aus seinem gewaltigen Sammelsurium lässt er aber nur Objekte heraus, die andere längst eliminiert hätten. Er löst damit seinen Gewissenskonflikt, schafft neuen Platz und fühlt sich noch dazu als vollwertiger Wohltäter. Aber genau das ist sein Problem, wenn die hohe Zeit daherkommt: »Was soll ich denn wieder aussortieren? Was würde ich wegwerfen? Was brauche ich absolut nicht mehr?«
Die Freude der glücklich Beschenkten ist leider keineswegs umwerfend. »Was wird er wieder anschleppen? Ein unreparierbares Tonbandgerät? Einen angeblich historischen Klodeckel? Eine Kunststoffzahnbürste, die ganz bestimmt von Ludwig II. stammen soll?«
So manche eigenartige Gabe verschwindet umgehend in der Mülltonne auf Nimmerwiedersehen. Die tolle, biologisch-wertvolle Geschenke-Euphorie hat jedoch für ihn den großen Vorteil, dass nach langem Hin und Her endlich wieder etwas Platz und Luft für neue Objekte entstehen kann. Eines ist klar: Er braucht Raum für seine Sammelwut. Viele empfindliche, einmalige Dinge stehen sogar immer noch im Freien, und der Rost ist oft schneller als er mit der schwierigen Beschaffung eines trockenen Platzes. Er denkt an sein großartiges, leider rostiges Hochrad, mit dem er im Regen zur Volksbelustigung unterwegs war. Dieses einmalige Gefährt aus einer anderen Zeit ruht aber inzwischen zu seiner Beruhigung und Zufriedenheit im Trockenen. Nur das Entrosten steht noch bevor.
Doch dann ist es endlich wieder so weit. Der Vierundzwanzigste ist da. Fröhlich und freudig summt er in den dichter werdenden Nebel hinaus: »Ihr Kinderlein kommet, o kommet doch all.«
Geburtstagsfeier im Chaos
Es gibt intelligente, originelle Menschen, sogar gute Freunde, denen man überhaupt nichts Negatives, Verrücktes ansieht. Kommt man jedoch in ihre Wohnbehausung, ist jeder Durchschnittsmensch entsetzt. Da merkt man nämlich sofort, dass etwas mit ihnen nicht stimmt. Weil nicht nur Weihnachten naht, sondern auch die Freunde unmittelbar vor der Türe stehen, hat den Martl zur Jahreszeit passend eine Christbaumsammelorgie erfasst. Im Vorgarten seines abgelegenen Hauses stehen eine Edeltanne, eine serbische Omorikafichte, eine Balsamtanne, eine Korktanne, eine Zirbelkiefer, eine Felsengebirgstanne und eine Blaufichte.
»Wo und wie der diese interessanten Sorten Weihnachtsbäume überall aufgetrieben hat, noch dazu sicher alle biologisch zertifiziert, ist das große Geheimnis«, stellt die Anna-Lena erstaunt fest.
Der stolze Fachmann meint später dazu: »Das sind auch auf Frische geprüfte Bäume. Ein Spezialist und Fachmann wie ich kennt dafür den Schüttel-, Streich- und Kratztest.«
Es fehlen leider noch der Schmuck und die obligatorischen Kugeln. Nur echtes, schweres Lametta strahlt silbern und feierlich aus dem Gezweig. Aber als wir später seine diesbezügliche Sammlung bestaunen, ist uns klar: Diese kostbaren, echten, mundgeblasenen, weihnachtlichen Kugelraritäten müssen vorsorglich unter Dach und Fach bleiben.
Meine handgezogenen, zwanzig Zentimeter langen Bienenwachskerzen aus einer alten Manufaktur, von denen ich genügend besitze, werde ich an diesem 24. Dezember, wenn es dunkel ist, für ein paar Stunden anzünden. Und vielleicht schneit es heute auch noch weihnachtlich-romantisch. Ich sitze schon beinahe jeden Adventstag auf meiner Veranda mit Blick auf den leuchtenden, weihnachtlichen Wald von Lampen und bunten Lichterketten überall da drüben und trinke andächtig einen selbst gebrauten Punsch aus einem kleinen antiquarischen Drei-Liter-Eimer aus dem Jahr 1795. Selbst die Christbaumständer der Baumauswahl im Garten sind verschiedener Art, teilweise handgeschmiedet und offensichtlich aus Martls reichhaltiger, antiquarisch-kunstvoller Kollektion. Da es bisher noch nicht geschneit hat, sind sie als interessante Sammlerstücke auch im Freien gut zu betrachten. Und kaum stehen nicht nur wir, sondern auch Weihnachten und sein Geburtstag vor der Türe, geht sie auf, und der Martl begrüßt uns im feierlich blaugrünen Festanzug und einer Krawatte mit goldstrahlendem Christkind. Aber schon wird das normale Vorwärtskommen von einem Sammelsurium aller möglichen und unmöglichen Dinge blockiert. Da muss man sich hindurchwinden. Das historische Gerümpel stapelt sich an den Wänden, an Haken befestigte, vorsintflutliche Werkzeuge und Fahrräder hängen so tief von der Decke, dass man den Kopf einziehen muss.
Wie man sieht: Unser Freund Martl ist ein echtes Original, wahrlich ein waschechter Messie. Er kann nicht nur exzellente Sprüche machen und erfundene Geschichten fantasiereich ausschmücken, sondern ist auch einer schlimmen Sammelwut verfallen.
»Hoffentlich wirkt sie nicht ansteckend auf uns«, meint die Anna-Lena spöttisch. Und er, der Meister, hat noch dazu an Weihnachten Geburtstag. Deshalb sind wir erstaunlicherweise in diesen beengten Räumen bei ihm eingeladen, und das ist eine besondere Ehre für uns. Wir wissen, dass er sonst den Weihnachtsabend gerne ganz alleine verbringt.
Der Marcel meint: »Viel hat da nicht mehr Platz in deinem Wohnzimmer. Das wird aber eng.« Dann räumt er einfach das alte Kanapee und einen hochbeladenen Barockstuhl so weit ab, dass wir, wenn auch sehr gedrängt, unter dem ganzen historischen Gerümpel eintauchen können.
Missbilligend sagt der Martl sofort: »Vorsicht, das sind teilweise wertvolle Sammlerobjekte«, und schlängelt sich in die Küche durch. Mit mehreren Flaschen exklusiver Spätlese und alten, handgeschliffenen Gläsern aus Böhmen taucht er wieder auf. Auch ein Tischtuch aus dem vorvorigen Jahrhundert hat er dabei und breitet es vorsichtig auf dem Boden aus, dem einzigen kleinen freien Platz. Dann holt er noch eine üppige, schokoladenverzierte Geburtstagstorte. In Schwabacher Zierlettern steht darauf: »Martl, du bist älter geworden!«
Er schneidet sie an und kommentiert: »Die habe ich von meiner Mutter.« Als alles ebenerdig deponiert ist, sucht er sich ebenfalls einen schmalen Sitzplatz auf einer gotischen Kirchenbank.
Die praktisch veranlagte Anna-Lena meint: »Ich schlage vor, dir einen passenden, gehobenen Titel zu verleihen, nämlich: Seine Durchlaucht, der größte Messiekönig aller Zeiten.«
Der Marcel hat auch eine besondere verbale Auszeichnung für den Gerümpelliebhaber: »The Earl und Collector of historic Krempel.«
Doch diese spöttischen Titel scheinen ihn keinesfalls zu stören. Im Gegenteil fühlt der Martl sich sogar geehrt und verkündet stolz: »Danke. Wie ihr seht, habe ich eine tolle, spezielle Sammlung von historisch-wertvollen und einmaligen Objekten zusammengetragen. Teilweise stammen einige besondere Stücke aus meinem damaligen Aufenthalt als Kommandeur im Bürgerkrieg von Kroatien. Ihr könnt mir ruhig glauben, da stecken sehr viele Stunden Arbeit und Fachkenntnisse dahinter. Ich war bisher auf jedem Flohmarkt in der näheren und entfernteren Umgebung. So manche Dinge sind durch mein schlaues Feilschen wirklich billig in meinen Besitz gelangt. Für weitere größere Objekte wie historische Fahrräder und Pferdeschlitten sind mir aber, wie ihr seht, inzwischen leider Grenzen gesetzt.«
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