Wenn man den Menschen für ein zwiegeschaffnes Bild hielt, weil man sonst nicht wusste wie beides zugleich in ihm sein konnte, Gutes und Böses, so war man genötigt, such einen doppelten göttlichen Ursprung dieser beiden Willensmächte anzunehmen, wie die alten Naturreligionen, von denen oben die Rede war, auch die Gnostiker taten. Ja, eine Partei der letzteren ging so weit, an zwei Urmenschenpaare zu glauben.
Wenn man dagegen annahm, der Mensch wäre ursprünglich gut geschaffen, so konnte man sich das Böse nur als einen Abfall von Gott denken. Dieser unbegreifliche Abfall musste irgend einmal eingetreten und dann nicht wieder gut zu machen gewesen sein: man dachte sich einen Fall Adams des ersten Menschen, und die Vererbung seiner dadurch verkehrten Natur auf seine Nachkommen. Seit dem Falle also ist der einzelne Mensch von Geburt an böse, vermöge der Erbsünde, d. h. der Fortpflanzung eines durch Adam’s Fall zerrütteten Wesens.
Um sich den ersten Sündenfall zu erklären, nahm man wie gesagt, die verführende Einwirkung eines gefallenen Engels an und verlegte somit den Fall eigentlich schon in die vorweltliche Zeit. Satan wurde nun als derjenige Geist betrachtet, in dessen Gewalt seit seinem ersten Siege jeder Mensch von Geburt an ist, sodass man das neugeborne Kind vor seiner Aufnahme in die Gemeinschaft der Erlösten durch Teufelsbannung, Exorcismus erst von der Gewalt des bösen Geistes frei machen müsste.
Man dachte sich ferner, dass durch den ersten Fall die ganze Natur, die ursprünglich gut geschaffen war, verkehrt und in Mangelhaftigkeit, Elend und Vergänglichkeit gestürzt worden war. Daher, wie Paulus sagt, »alle Kreatur sich mit uns sehnet und ängstiget immerdar« (Röm. 8, 22). Die so verschlechterte, verkehrte Natur musste natürlich dem wiedergeborenen Menschen, d. h. dem, welcher von der ursprünglichen Herrlichkeit wusste und sich nach ihr zurücksehnte, hassenswert erscheinen. Er musste begehren, ihrer los zu werden, wie denn auch Paulus sagt: »ich habe Lust abzuscheiden und bei Christus zu sein« (Philipp. 1, 23).
Aus dieser Sehnsucht entsprang dann die Neigung, das Fleisch, wie man es nannte, abzutöten durch allerlei Entbehrung und Kasteiung. Man zog sich aus der Gesellschaft der Menschen in die Einöde, aus dem Genuss der irdischen Güter in die Enthaltsamkeit, aus der Welt des wirklichen Lebens, die man als das Eigentum des Satan ansah, in die Welt der Beschauung Gottes und seiner himmlischen Herrlichkeit zurück. Immer schrecklicher gestaltete sich vor der erhitzten Einbildungskraft des durch Ascetik ausgemergelten und in den Schauern der Einöde geänstigten Büßers das Bild des höllischen Fürsten.
Der herrschsüchtigen Geistlichkeit war sodann die Angst der eingeschüchterten Gläubigen vor den Schrecken des ewigen Feuers ein zu bequemes Mittel, alles in dumpfem Gehorsam und zaghafter Abhängigkeit zu erhalten, da der Priester sich die Macht beilegte das Unheil zu beschwören, um nicht diese Angst immer mehr zu nähren und zu steigern.
Und als endlich die Menschen allmählich vor ihrer eigenen Knechtschaft zu schaudern und ihre Vernunft wieder zu gebrauchen anfingen, als sie die Anmaßung der Priester durchschauten und die Ketten zerreißen wollten, als sie auf das Urchristentum sich berufend, die einen Freiheit des Geistes, die anderen Gleichheit aller Menschen und Manche beides zu ihrer Losung machten, da verwarfen sie auch die Furcht vor der Hölle und die Vorstellung vom Widersacher Gottes.
Ja, da sie selbst in Auflehnung gegen das Bestehende waren, so lag nichts ihrem Geiste näher, als den Geist der Auflehnung selbst für nichts Böses, sondern für etwas Gutes und von Gott Gewolltes, für das Ferment der Weltgeschichte, den Teufel für den Geist des Fortschrittes, der Selbsterkenntnis, der Befreiung zu halten.
Diese Sekten sind verschollen und die Welt ist von dem Teufel noch nicht losgekommen; so wenig, dass in diesen unsern Tagen ein neuer Gnostiker in unserer eigenen Mitte wieder aufgetreten ist und mit Gunst der Mächtigen dieser Welt und mit Beifall Vieler, die sich weise heißen lassen, unter großem Zulauf von Hörbegierigen sein gnostisches System öffentlich vortrug in einer Stadt, die gern für den Mittelpunkt der Intelligenz gelten möchte.
Nach seiner fantastischen Auffassung ist aber der Mensch selbst, d. h. der Urmensch, der Typus des Menschen, der noch vor der Welterschaffung in gleicher Mitte zwischen den göttlichen Wesenheiten oder Potenzen schwebte, die Ursache nicht nur des eigenen Falles sondern auch des Umsturzes und der Verkehrung alles Daseins, sodass durch den Fall des Urmenschen, nämlich durch dessen Übermut und Verlangen, selbst Schöpfer und Herr aller Möglichkeiten zu sein, erst diese Welt in ihrer Mangelhaftigkeit entstanden ist.
Diese Welt kam nämlich dadurch zu Stande, dass der Mensch durch sein Losreißen aus dem Zentrum, worin er schwebte, die erste Möglichkeit welche Gott sich selbst vor Augen gehalten hatte, die bloße Materie, das Unbändige, was überwältigt werden sollte und wirklich schon von Gott in der vorweltlichen Zeit überwältigt war, wieder herauf hob und mächtig machte. Durch diese ungeheure Tat des Urmenschen ist diese Materie, die eine bloße Unterlage und das Überwundene und Gebändigte sein sollte, nicht nur frei sondern erst zum Gegengöttlichen, also zum Satan geworden.
Dass diese Fabelei, welche bei allem Vorgeben des Herrn von Schelling, als ob seine Lehre mit der Schriftlehre übereinstimme und deren Erklärung und wahres Verständnis enthalte, dennoch die Bibel wirklich nur verdreht und verunklärt, so großen Applaus bei Dortoren der Gottesgelahrtheit finden konnte, das ist in der Tat sehr merkwürdig und ein großes Zeichen von der unter uns weit verbreiteten Gedankenarmseligkeit.
Aber genug hievon! Sie sehen wenigstens, wie der Satan noch immer spukt; Sie sehen, dass man ihn mit der Versichernng, er müsste doch eine ganz monströse Schöpfung Gottes sein, nicht beschwören kann, denn im Husch ist er statt einer Schöpfung Gottes zu einem Produkt urmenschlicher Tat geworden. Sie sehen, das es nichts hilft, wenn man das Böse im Menschen selbst nicht begreift, dasselbe einem Wesen außerhalb der Menschheit aufzubürden. Die Unbegreiflichkeit bleibt immer dieselbe.
Das ganze Übel kommt daher, dass man das Gute und Böse als feste Bestimmungen und weiterhin als unterschiedene Mächte ansieht, die ein für alle mal die eine schwarz, die andere weiß sind. Es gibt weder solches Gute noch solches Böse. Alles ist gut oder böse nur nach seinen Beziehungen unter einander und zu dem Menschengeiste. Der Mensch kann alles, was von außen her an ihn kommt, als Gutes oder Schlimmes ansehen, je nachdem sein freier Geist es auffasst; nichts tut ihm wehe, wenn sein Geist es überwindet und sich darüber erhebt. So ist das Übel kein Übel.
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