Ganz bald schlägt die emotionale Energie nach oben aus, der höchste Punkt der Verneinung ist erreicht und alles wird zum Problem. Die Notwendigkeit der eigenen Veränderung wird nicht akzeptiert. Sowohl die Geschäftsleitung als auch die Mitarbeiter reden sich ein, dass der alte Zustand bald wiederhergestellt sein wird. Doch neben den Verteidigern des Altbewährten finden sich auch Befürworter der Veränderung – und damit entstehen schnell Fronten. Symptome der Betroffenen sind Angst, Verwirrung, Wut und Widerstände gegen Unbekanntes sowie Frustration. Diese auch sehr emotionale Phase wird von den Betroffenen zum Teil ungesteuert durchlebt und sämtliche Emotionen werden herausgelassen. Wut mobilisiert Kräfte, Rebellion folgt, und es wird versucht, Veränderungen durch Verhandeln abzuwenden. Typische Aussagen in dieser Phase sind: „Das glaube ich nicht. Wir haben es doch bisher immer richtig gemacht.“ Oder: „Das stimmt doch gar nicht. So ein Quatsch, das zieht an uns vorbei.“ Solche Reaktionen zeigen die Angst, gewohnte Strukturen und eine vertraute Unternehmenskultur zu verlassen.
Jetzt geht es bergab im Strudel der Emotionen, des Widerstands und der Angst, hinein in das Tal der Tränen. Doch irgendwann kommt so langsam die Einsicht, erst rational und dann emotional.
In der zweiten Phase nimmt das Realitätsbewusstsein zu und die Notwendigkeit und auch das Unabwendbare werden klar. Die neue Situation und deren Konsequenzen werden schrittweise akzeptiert. Unternehmer und Mitarbeiter erkennen, dass ihre Ablehnung gegenüber der Krise oder der Veränderung nicht den gewünschten Erfolg bringt und dass der Wandel unvermeidbar ist. Natürlich gibt es weiterhin einige, die am Alten festhalten wollen, aber die Zahl derjenigen, die die Veränderung annehmen, auch wenn sie schmerzlich ist, steigt. Zunächst ist die Einsicht rational da, doch verändern sollen sich bitte die anderen. Wenn überhaupt, dann werden vorerst nur oberflächliche Veränderungen und kurzfristige Lösungen gesucht. Nach der rationalen Akzeptanz folgt die emotionale. Dabei sinkt die Einschätzung der eigenen Kompetenz auf den Tiefpunkt. Schnell ist das Repertoire des Handelns erschöpft. Typische Sätze hier sind: „Jetzt habe ich doch wirklich alles versucht, ich weiß nicht weiter.“ Oder: „Ich schaffe das nicht.“ Das Selbstbewusstsein ist am absoluten Tiefpunkt und das Tal der Tränen ist erreicht. An diesem tiefsten Punkt der Kurve kommt es zur entscheidenden Wendung. Die Mitarbeiter beginnen die Veränderung zu akzeptieren und nicht nur kognitiv zu verstehen. Sie sind bereit, gewohnte Verhaltensweisen aufzugeben, sodass eine Neuausrichtung beginnen kann. Erst jetzt sind die Betroffenen bereit für Neues; alles, was vorher versucht wurde, ist in der Regel vergebens. Das Tal der Tränen muss durchschritten werden, damit das Neue entstehen kann.
In Phase 1 und 2 der Kurve geht es um die Stabilisierung, menschlich und wirtschaftlich, damit sich in Phase 3 und 4 der Raum für die Erneuerung öffnet.
Phase 3 ist die Phase des Annehmens; die Geschäftsleitung und die Mitarbeiter sagen jetzt „Ja“ zur Krise und zu den damit verbundenen Veränderungen. Sie fangen an, mit der Situation konstruktiv umzugehen, und dabei entwickeln sie Neugier auf das Neue und die damit verbundenen Handlungen. Anspannung und Angst sind gewichen, Trauer so weit bewältigt, dass erste Ideen entwickelt werden können und die Betroffenen wieder offen für Vorschläge sind. Sie beginnen neue Fähigkeiten auszuprobieren. Der Prozess des bewussten Lernens von neuen Verhaltensweisen schreitet voran. Durch Erfolge und Misserfolge lernen Unternehmer und Mitarbeiter, welche Verhaltensweisen angebracht sind. Eines der wichtigsten Prinzipien dieser Phase ist die Fehlererlaubnis. Das Ausprobieren muss ausdrücklich erwünscht sein, um den Lernmodus zu begünstigen. Erst in dieser Phase sind unterstützende Maßnahmen wie Trainings, Workshops oder auch Coachings hilfreich. Geduld und Ausdauer sind wichtig, neues Lernen braucht seine Zeit. Es tritt die Erkenntnis ein, dass die Veränderung auch etwas Gutes hat.
Mit dem Aufbruch verlassen wir endgültig die Tiefen des Tals der Tränen, wobei sich die Kurve bereits dort schon ein klein wenig nach oben bewegt, da wir das System und die Menschen darin stabilisieren und sie so loslassen können. Der Aufbruch ist das Drehmoment in der Krisenkurve, und im weiteren Fortschreiten zwischen Ausprobieren und Scheitern kommt es in Phase 4 zu Erfolgen bei den Mitarbeitern.
Das Handlungsspektrum der Unternehmer und Mitarbeiter hat sich inzwischen erweitert. Erfolge stellen sich ein und damit verbunden die Erkenntnis, wann das neue Verhalten angemessen ist und wo die alten Handlungsmuster noch Platz haben. Das neue Verhalten sowie neue Kompetenzen werden von den Betroffenen vollständig in den Alltag integriert und als selbstverständlich betrachtet. Die wahrgenommene eigene Kompetenz und Selbstwirksamkeit der Mitarbeiter steigen über das Niveau vor der Krise an. Die Bedeutung der Krise und der damit verbundenen Veränderungen für das Unternehmen und für die persönliche Entwicklung wird deutlich und die neue Energie beginnt langsam Früchte zu tragen. Aus dieser Energie entwickeln sich Produktivitätssteigerung und Zufriedenheit. Das neue Verhalten wird zur angenehmen Gewohnheit.
Alle Firmen wollen Erfolge, Wachstum und Innovationen. Doch vor der Innovation kommt meistens ein Tiefpunkt, eine Krise, ein einschneidendes Erlebnis, eine größere Veränderung. Schon Goethe sagte: „Und so lang du das nicht hast,/ Dieses: Stirb und werde!/ Bist du ein trüber Gast/ Auf der dunklen Erde.“ Es geht bergauf und auch wieder bergab und so weiter. Doch bevor es in einer Firma und für ihre Mitarbeiter wieder bergauf gehen kann, muss auf der wirtschaftlichen wie auf der menschlichen Ebene eine Stabilisierung erfolgen. Diese Stabilisierung ist die Voraussetzung für die Erneuerung. Wir wollen Schritt für Schritt erläutern, was zu tun ist, wenn eine Krise oder ein anderes schwieriges oder bedrohliches Ereignis einschlägt.
Die vier Königsdisziplinen bei Krisen
„Die Treppe kehrt man am besten von oben.“ Eine Krise will – wie jede andere Veränderung – gemanagt werden und muss es sogar, um weiter gehenden Schaden zu vermeiden. In unsicheren Zeiten blicken alle nach oben auf die Inhaber, das Topmanagement und die Führungskräfte. Jetzt heißt es hier, in die Verantwortung zu gehen, Entscheidungen zu treffen, klar und einfach zu kommunizieren, Vorbild zu sein, Empathie für die Betroffenen zu zeigen und Mut zu machen. Nicht jeder Manager hat die notwendige Krisenerfahrung, um mit der Krisenbewältigung umgehen zu können. Bei der Coronapandemie als Ausnahmeereignis beispielsweise wurden viele Manager ins eiskalte Wasser geworfen. Um weder in hektischen Aktionismus zu verfallen noch auf reaktive Passivität reduziert zu sein, ist gute Krisenbewältigung unabdingbar. Diese erfordert einiges an Geschick, Führungskompetenz, Agilität und strategischer Ausrichtung und besteht aus den vier Königsdisziplinen Krisenmanagement, Krisenstab, Krisenplan und dem Herzstück, der Krisenkommunikation.
Krisenmanagement ist das systematische Bemühen um eine Lösung der Probleme und damit um die Bewältigung der Krise. Gerade bei einem harten Kriseneinschlag machen sich schnell Verschwörungstheorien und Fluchttendenzen bei Führungskräften und auch Mitarbeitern breit. Panik und Zerfall des Zusammenhalts sind genauso Gift für das Unternehmen wie gegenseitige Schuldzuweisungen. Angst und sonstige negative Gefühle sowie auch das Ausüben von Druck durch die Führungsmannschaft schaffen einen negativen Effekt, der schnell um sich greift. In Krisensituationen suchen Mitarbeiter Orientierung und Sicherheit. Alle schauen zum Unternehmer bzw. Management auf und diese Vorbildfunktion gilt es zu nutzen und die Verantwortung für den Prozess der Krisenbewältigung zu übernehmen.
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