Während sich der Helikopter dem Landekreuz näherte, drückte der Frachtoffizier einen Knopf, der den Öffnungsmechanismus der Klappe aktivierte. Bull und Danny packten daraufhin einen Griff des klotzigen Kastens und machten sich zum Aussteigen bereit. Kurz darauf spürten die Männer, wie die Räder den Boden berührten, und der Rumpf ein wenig wackelte, bis die Maschine fest stand. Marty, der an vorderster Stelle verharrte, bis sich die Rampe langsam komplett gesenkt hatte, drehte sich auf einmal mit angesäuerter Miene zu Danny und Bull um.
»Aufpassen«, rief er ihnen zu. »Ich glaube, wir kriegen Ärger. Frau General ist da und wartet bereits auf uns.«
Bull schaute über seine Schulter hinweg und sah tatsächlich Samantha, die neben einem Landrover der Armee am Landekreuz stand. Sie hatte wie üblich die Arme vor der Brust verschränkt und erwiderte den Blick der Männer. Ihr Gesichtsausdruck ließ sich dabei nicht genau deuten – ebenfalls wie üblich – weshalb man nicht abschätzen konnte, ob sie nur zur Begrüßung da war oder als Geleit nach Newport, um zu gewährleisten, dass sie sich auch wirklich im Hauptquartier meldeten.
»Scheiße«, fluchte Bull und umklammerte den Kasten an seiner Seite fester. »Ich hätte voraussehen müssen, dass sie hier ist.«
Marty wusste genau, warum Samantha gekommen war und sie hier empfing. Sie würde so tun, als sei sie lediglich an der Mission des Teams interessiert und wolle vor der gründlichen Nachbesprechung mit Gerry, dem Einsatzleiter, einfach nur eine Kurzfassung ihres Berichts. Doch in Wahrheit handelte sie aus aufrichtiger Besorgnis … seit den vergangenen vier Monaten bröckelte ihre Fassade der Gleichgültigkeit allerdings immer mehr.
»Wieso gibt sie denn nicht einfach zu, dass sie uns total geil findet?«, rief Bull Marty ins Ohr.
»Weil sie eine Frau ist! Sie hat einen Dickkopf und will beweisen, dass sie schwer zu haben ist.« Marty grinste ihn an. »Hast du das etwa immer noch nicht gecheckt?«
Draußen auf dem Landeplatz machte Samantha nun mehrere Schritte auf den Hubschrauber zu, während sich die Triebwerke langsam beruhigten und sich heiße Abgase ausbreiteten. Sie hakte die Männer einzeln im Kopf ab, nachdem sie sich stillschweigend ihres Zustands vergewissert hatte. Weil sie so lange von der Isle Of Wight fort gewesen und sich herumgequält hatten, sahen die drei ungepflegt und schmutzig aus. Ihre Bärte wirkten schmierig und da ihre Haare unglaublich dreckig und fettig waren, standen sie steif vom Kopf ab. Samantha ekelte sich schon davor, gleich neben ihnen sitzen und ihren üblen Geruch ertragen zu müssen.
»Wie ist es denn gelaufen?«, fragte sie mit einem Blick auf den Kasten, den Bull und Danny zwischen sich trugen. Sie schickten sich gerade an, ihn in den Stauraum ihres Wagens zu heben.
Marty tat unbeeindruckt. »So wie immer«, antwortete er beiläufig, während er zur Beifahrerseite ging. »In den Ballungsräumen wird es langsam ziemlich eng. Ich würde niemandem raten, jetzt schon dort Immobilien zu kaufen.«
Samantha stieg auf der Fahrerseite ein, wohingegen Danny mit Bull hinten Platz nahm, wo sie es sich bequem machen konnten.
»Was ist mit dem Flugplatz und den Zufahrtswegen dorthin?«, fuhr Samantha fort, während sie den Schlüssel in der Zündung umdrehte. Kurz darauf rollte sie mit dem Landrover vom Landekreuz.
Marty schaute ihr ein paar Sekunden lang lächelnd dabei zu. Sie blickte weiterhin aufmerksam auf die Fahrbahn, die schließlich zu einer schmalen, kurvenreichen Landstraße führte. Nun bemerkte sie, dass er sie neugierig betrachtete, weigerte sich aber, ihm in die Augen zu sehen.
»Du musst immer die Erste sein, die etwas erfährt, Sam, ist dir das schon mal aufgefallen?«, erwiderte er und steckte eine Hand in eine seiner Taschen, um ein Päckchen Zigaretten herauszunehmen. Er bot ihr eine an, doch sie lehnte kopfschüttelnd ab.
»Du bist also immer noch Nichtraucherin? Wie lange denn schon?«
»Seit vier Monaten«, antwortete sie geistesabwesend.
»Gut für dich«, meinte Marty. »Wie dem auch sei, die Zufahrtswege … nichts Besonderes. Es gibt ein paar Hindernisse zu überwinden und Dörfer zu durchqueren, aber diese abzusichern, sollte im Großen und Ganzen kein Problem sein. Auf den Straßen wird es zwar ein bisschen schwieriger, doch mit der passenden Ausstattung kommt man da wohl relativ gut durch. Solange dort genug Truppen mit naher Luftunterstützung postiert sind, kann der Korridor so lange offenbleiben, bis wir unsere Ziele erfüllt haben.«
»Und der Flugplatz?«
»Ist unberührt wie eine Jungfrau, und die Treibstofftanks sind auch noch voll, Sam. Dort wieder alles zum Laufen zu bringen, wird ein Kinderspiel sein. Es hängen zwar noch ein paar Madensäcke da rum, doch das ist nichts im Vergleich zum Hafen im Süden. Ich könnte mir vorstellen, dass wir dort Stress kriegen. Denn sobald die Docks frei sind, kommt man ungehindert zum Flugplatz, und von dort aus kann die Vorhut dann anfangen, per Hubschrauber in London einzufallen, während weitere Verstärkung in Fahrzeugen anrückt.«
»Was ist mit London selbst?«
Marty schüttelte den Kopf.
»Keine Chance. Wir kämen gar nicht erst in die Nähe, Sam. Auf den Straßen stehen die Autos Stoßstange an Stoßstange und in den Außenbezirken wimmelt es nur so vor Infizierten. Wir würden es höchstens bis auf fünfzehn Kilometer südwestlich von Hounslow schaffen. Offengestanden weiß ich auch gar nicht, weshalb wir versuchen sollten, die Stadt zurückzuerobern.«
»Der neue Premierminister ist der Meinung, dass es ein symbolischer Sieg wäre, London zurückzuerobern, und die Moral des Volkes heben würde.« Wegen Samanthas Tonfall klang dies allerdings eher nach roboterhafter Rhetorik als nach ehrlicher Überzeugung.
»Massaker trifft es wohl besser«, schnaubte Marty. »Selbst, wenn es uns gelingen würde, die Stadt vollständig von diesen Dingern zu befreien, wäre sie anschließend für die nächsten zwanzig Jahre biologisch verseucht.«
Samantha nickte, ohne den Blick von der Straße abzuwenden, und manövrierte den Landrover nun durch schlängelnde Kurven, wobei sie sich redlich bemühte, den tiefsten Schlaglöchern auszuweichen.
»Hätten wir mehr Luftstreitkräfte, bräuchten wir uns überhaupt nicht um den Hafen zu kümmern«, sagte sie, »aber so wie die Dinge momentan stehen, gibt es wohl keine andere Möglichkeit, als in dem Umfang aufzustocken und für Nachschub zu sorgen, der erforderlich ist, damit die Offensive nicht zum Erliegen kommt. Unsere Priorität besteht darin, den Flugplatz zu sichern. Sobald die erste Welle dort angelangt ist, wird jeder Infizierte im Umkreis von mehreren Meilen gegen die Grenzen des Geländes laufen. Ich hoffe inständig, dass wir dann genug Truppen dort haben und diese in der Lage sind, sowohl den Hafen als auch die Straßen zu räumen, um sich mit den vorgerückten Einheiten kurzschließen zu können.«
»Nun, das hinzubekommen ist die Aufgabe von denen da oben. Wir haben unseren Beitrag geleistet.«
Plötzlich ging ein heftiger Ruck durch den Wagen, weil Samantha durch eine tiefe Mulde in der Straße fahren musste. Die Aufhängung rappelte und Marty wurde im Beifahrersitz durchgeschüttelt. Während er sich am Armaturenbrett festhielt, drehte er sich zu Bull und Danny um, bevor er hinunter auf den Kasten schaute. Bill nickte ihm beruhigend zu.
»Ihr wisst, dass wir euch genau im Auge behalten haben, oder?«, fragte Samantha Marty nun mit einem warnenden Unterton in der Stimme.
Er rieb sich unwillkürlich die Innenseite seines Unterarms, wo der Bio-Tracker implantiert war. Die meiste Zeit über dachte er nicht an das Ding, doch jetzt erinnerte Samantha ihn wieder daran, dass er sich der wissbegierigen Operationsleitung niemals vollkommen entziehen konnte.
»Orwells großer Bruder ist nichts dagegen«, maulte er. »Spielst du etwa darauf an, dass wir ein Areal mehr abgesucht haben, als wir befugt waren?«
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