Ich blickte zu Saylor, die strahlte, als sie sich auf die Zehenspitzen erhob und ihren frisch angetrauten Ehemann küsste.
Normalerweise trank ich keinen Alkohol, und sogar das bisschen Champagner machte mich leicht schwindelig. Das Gefühl war mir unangenehm. Ich behielt lieber meine Selbstkontrolle.
Ich checkte die Uhrzeit und dachte mir, dass ich wohl noch mindestens eine Stunde bleiben sollte, und unterhielt mich weiter mit Millie und Brayden. Irgendwann kam Saylor vorbei, umarmte ihren Cousin und sagte mir, wie froh sie war, dass ich gekommen sei. Ich lächelte und sagte, dass sie eine umwerfend schöne Braut war. Und das war keine Lüge.
Saylor sah an sich hinab und tätschelte ihren Bauch. „Das war keinen Moment zu früh. Noch eine Woche, und ich hätte nicht mehr in das Kleid gepasst.“
Millie legte ihre Hand auf Saylors Bauch. „Wie geht es dir?“
„Müde“, sagte sie und seufzte. „Aber gut.“ Saylor kicherte. „Ich kann immer noch nicht glauben, dass es mehrere sind. Ich hätte es mir aber denken können.“
„Mehrere?“, fragte ich.
„Babys“, antwortete sie stolz. „Zwillinge.“
„Oh, wie schön.“ Ich kam mir blöd vor, denn ich wusste nichts über Schwangerschaften, Zwillinge oder sonst irgendwas über das Thema. Außerdem war mir unklar, wieso eine Zweiundzwanzigjährige unbedingt heiraten, Kinder kriegen und sich niederlassen wollte, doch Saylor schwebte im siebten Himmel. Ich nahm an, sie war einfach ein anderer Menschenschlag als ich.
Saylor lachte, riet mir zu einem weiteren Glas Champagner und ging weiter zu ihren anderen Gästen. Die meisten kannte ich nicht. Da war ein Mann um die vierzig, den jemand als Saylors Vater bezeichnet hatte, doch die schlecht gelaunte Blonde an seiner Seite schien nicht ihre Mutter zu sein. Sie wirkte alles andere als froh, hier zu sein. Cords Eltern hatten die Reise nicht angetreten, und von Truly wusste ich, dass die Beziehung zwischen den drei Jungs und ihren Eltern schlecht war. Der einzige weitere Gentry hier war ein Cousin namens Dreck oder Decker oder so ähnlich. Bei der Vorstellung hatte ich nicht wirklich aufgepasst. Er saß in einer Ecke und irgendeine Tussi tanzte über seinem Schoß.
Die anderen Gäste waren eine Mischung aus Cords Arbeitskollegen aus dem Tattoo-Studio, in dem er arbeitete, und ausgesuchten Freunden. Soweit ich es überblicken konnte, war ich die Einzige ohne Partner. Außer Chase. Und das wahrscheinlich nur, weil er sich gern alle Optionen offen hielt.
Apropos Chase. Mir fiel auf, dass er mich erneut ansah, als ich zum tausendsten Mal mit zusammengebissenen Zähnen mein Kleid justierte. Das verdammte Kleid erreichte ein ganz neues Level an Blamage. Als wir uns gestern zur Abreise fertigmachten, fragte mich Truly, wie zum Geier ich es schaffen wollte, ein Abendkleid in meinen Rucksack zu stopfen. Ich zuckte mit den Schultern und erklärte ihr, dass ich sowieso nur Jeans anziehen wollte. Schließlich war das Ganze nur ein kleiner Event im Excalibur , und keine VIP-Party im Bellagio . Daraufhin materialisierte sich ihr Südstaatenakzent, wie immer, wenn sie sauer war.
„Stephanie Bransky, ich verbiete dir, in Jeans zu dieser oder jeder anderen Hochzeit zu erscheinen.“
Dann ließ sie ihren Koffer fallen und eilte in ihr Zimmer. Ich hörte, wie sie ihren Schrank durchsuchte und dabei nicht gerade leise fluchte. Irgendwann tauchte sie mit einem dünnen himmelblauen Kleid auf und drückte es mir in die Hand.
„Das wirst du anziehen“, befahl sie, öffnete einen ihrer Koffer und legte es hinein.
„Wie soll das gehen?“ Ich schnaubte. „Sieh dir deine Figur an und dann meine. Ich müsste das Oberteil mit Socken ausstopfen, und dann würde kein Mensch die Braut ansehen, weil alle zu fasziniert von meinen dicken Implantaten wären.“
Truly runzelte kurz die Stirn und winkte dann ab. „Ach Quatsch. Ich nähe es etwas ein wenn wir dort sind.“
Das hatte sie versucht, doch es ging nicht, ohne das Kleid mühsam umzuschneidern. So etwas passierte eben, wenn man ein Kleid, das für eine Frau mit DD-Körbchen gedacht war, für eine anpassen wollte, die nicht mal an ihren aufgeblähtesten Tagen des Monats ein B-Körbchen ausfüllte. Truly war der Verzweiflung nah, als ich mich weigerte, meine Oberweite mit irgendwas auszustopfen. Am Ende ertrank ich geradezu in dem dämlichen Ding von der Taille an. Ich fühlte mich lächerlich, als ob ich das Abschlussballkleid meiner großen Schwester auftrug. Ich nahm an, dass Chase mich deswegen ständig ansah. Wahrscheinlich lachte er sich innerlich kaputt.
Nachdem Saylor zu den anderen Gästen weitergezogen war, fuhren Brayden und Millie fort, eine Unterhaltung mit mir zu versuchen. Mir wurde klar, dass sie mir damit einen Gefallen taten, denn ohne sie hätte ich hier einsam und allein für alle sichtbar herumgesessen und mich unwohl gefühlt. Dennoch behielt ich die Zeit im Auge und fragte mich, wie lange ich noch bleiben musste, bevor ich auf mein Zimmer verschwinden konnte.
Truly setzte sich neben mich. „Denk nicht mal daran.“
Sie lächelte mich breit an. Ihr dichtes schwarzes Haar war glamourös gestylt und umgab ihr herzförmiges Gesicht wie eine Wolke. Das dunkelgrüne Kleid hatte sie sich selbst genäht. Eine Woche lang hatte sie daran geschneidert. Truly war von der Art umwerfende Frau, bei der die Männer reihenweise schwach wurden.
„Du wirst nicht abhauen“, befahl sie unverblümt und schnappte sich ein Brötchen aus dem Korb auf dem Tisch.
„Das Spiel läuft“, protestierte ich. „Außerdem muss ich endlich aus diesem Kleid raus.“
„Warum denn?“
Ich zupfte an dem Stoff des Oberteils. „Es ist unbequem und oben viel zu eng.“
Truly verzog die Lippen. Zwar war sie bereits fast ein Jahr meine Mitbewohnerin, aber wir waren uns erst kürzlich näher gekommen. Ansonsten hatte ich nur Bekannte oder Geschäftspartner. Lange Zeit hatte ich es so gewollt. Die Freunde, mit denen ich aufgewachsen war, die Familienmitglieder, die nichts mit mir zu tun haben wollten, hatte ich alle hinter mir gelassen und dachte nicht mehr an sie. Ich hatte mir Arizona ausgesucht, weil es nichts mit New York zu tun hatte. Dort hielt ich es für leichter, dem Schatten zu entkommen, Nick Branskys Tochter zu sein. Doch ein Neuanfang ist nie einfach. Und ohne Geld fast unmöglich. Das Studium war teuer und ich hatte nichts übrig von meiner privilegierten Kindheit. Das Vermögen meiner Eltern war von Bußgeldern, Anwälten und Krankenhausrechnungen gefressen worden. Als mir die Studiengebühren über den Kopf wuchsen, wandte ich mich an einen alten Kontakt und begann, eine Buchmacherin zu werden. Da ich das Geschäft schlecht mitten im überfüllten Studentenheim der Arizona State University ausüben konnte, suchte ich mir ein Apartment. Ich rechnete mir aus, es schaffen zu können, wenn ich mir eine Mitbewohnerin suchte, die sich die Kosten mit mir teilte und mich ansonsten in Ruhe ließ. So hatte ich Truly und ihre Katze kennengelernt.
„Du versuchst gar nicht erst, dich zu amüsieren“, schmollte sie und stieß mir gegen die Schulter.
„Doch. Für mich bedeutet das eben was anderes als für die meisten Leute.“
„Ich weiß. Aber Steph, deswegen musst du kein Gesicht ziehen, als hättest du in eine Zitrone gebissen.“
„Oh.“ Nun verzog ich tatsächlich das Gesicht. „Sehe ich wirklich so schlimm aus?“
Truly lächelte. „Chase findet das jedenfalls nicht.“
„Du spinnst ja. Das hat er dir nicht gesagt.“
„Muss er auch nicht. Er sieht dich bei jeder Gelegenheit an. Du hättest sehen sollen wie geknickt er war, als du gestern nicht zum Abendessen erschienen bist.“
„Ich war müde.“
„Blödsinn.“
Vorsichtig blickte ich zu Chase hinüber. Er erzählte Cords Freunden eine lebhafte Geschichte und gestikulierte dabei so, dass ich davon ausging, dass es sich um eine unanständige handelte. So war Chase normalerweise. Seine Gedanken waren nur leicht schmutziger als eine Kloake. Doch Truly erzählte mir gern, dass hinter seiner unzüchtigen Art ein intelligenter, lieber Kerl steckte. Manchmal war Truly auch etwas zu optimistisch veranlagt.
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