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In der Mongolei werden die meisten Lebensmittel importiert. Aus China, Russland, Deutschland, Venezuela, Thailand, Niederlande, Amerika … man kann also sehr international essen. Nur mit den regionalen Produkten ist es – abgesehen vom Fleisch – ein wenig schwierig.
Daher war es für mich immer eine große Freude, wenn ich auf den Markt kam und zwischen all den Ständen mit farbigen, ausländischen Angeboten den kleinen Stand des einheimischen Mehlmannes entdeckte. Das einzige Bunte an diesem Stand waren die blauen Plastiktüten, die so schnell entzweirissen, dass man drei brauchte, um das Mehl sicher nach Hause zu tragen. Ansonsten bot sein Stand Mehl in allen bräunlichen Schattierungen an. Erstaunlich, denn alles Mehl aus China oder Russland war strahlend weiß. Sein Mehl war selbst gemahlen, sein Mehl war echtes Vollkornmehl, das Brot aus seinem Mehl schmeckte ungleich leckerer und machte wesentlich länger satt.
So freuten wir uns immer, wenn wir ihn sahen, und er freute sich über uns, weil wir sein Mehl so zu schätzen wussten. Mongolen kauften von Mehl meistens nur wenige Hundert Gramm, da sie es hauptsächlich verwenden, um es mit Butter und Zucker zu vermischen und als Süßigkeit zu essen. Wir kauften gleich mehrere Kilo.
Fast bei jedem Einkauf erzählte der Mehlmann, dass er das Mehl mit einem Stein mahle. Das fand ich natürlich sehr interessant und ich wollte das gerne einmal sehen. Aber so eine Aktion bedarf viel Organisation, denn der Mann mahlte nur alle zwei bis drei Wochen. Um mich daran teilhaben zu lassen, müsste er es frühzeitig planen, was nicht gerade die Stärke der Mongolen ist. Außerdem müsste er mich irgendwo auf dem Markt oder in der Stadt treffen, daran denken, es mir zu sagen, und ich müsste dann auch in der Stadt sein, um zu kommen.
Es vergingen Jahre und es klappte nicht. Als ich dann schließlich wusste, dass ich nicht mehr lange in der Provinz sein würde, sprach ich ihn erneut darauf an und sagte, dass ich wirklich sehr, sehr gerne mal sehen würde, wie er dieses wundervolle Mehl mahle.
Das Wunder geschah, er plante, traf mich, erinnerte sich, lud mich ein, ich war in der Stadt und frei – und ich fand sogar seine Jurte.
Er führte mich hinein und da war alles aufgebaut: zwei große schwere Mahlsteine; ein Stab in der Mitte, der sie auf der Stelle hielt; ein Stab am oberen Stein befestigt; Seile, die von diesem Stab an die Jurtendecke führten; Juteplanen als Unterlage und Säcke mit Korn, die dort standen, um zu Mehl verarbeitet zu werden.
Mongolen lehren nicht, indem sie etwas erklären, sondern sie zeigen dir, wie etwas geht. Und so kniete der Mann sich hin, streute Korn in das Loch in der Steinmitte und begann den Stein zu drehen. Das Seil summte durch die Luft, es sah einfach aus, klang rhythmisch und roch hervorragend nach frischem Mehl.
Nach einer Weile bot er mir seinen Platz an. Ich kniete mich hin, nahm den Stab in meine Hand, wollte loslegen, aber nichts geschah. So einfach war das Ganze also nicht. Selbst als ich es schaffte, den Stein in Bewegung zu setzen, blieb er nicht wirklich in der Mitte; statt Mehl kamen Kornraspeln zum Vorschein und von Summen oder verführerischem Mehlgeruch konnte keine Rede sein.
Der Mehlmann zeigte es mir noch einmal. Ich schaute zu, kniete mich hin und versagte erneut. Aber die Mongolen sind geduldig und haben großes Nachsehen mit uns Ausländern. Also ließ er mir Zeit, machte es mir noch mehrere Male vor und irgendwann drehte sich der Stein auch bei mir in einer gewissen Gleichmäßigkeit, auch wenn von Summen noch immer nichts zu hören war.
Ich strahlte und schwitzte. Unglaublich, was das für eine Kraft beanspruchte! Als Erstes tat der Arm weh, dann der Rücken, dann die Beine vom Knien. Es dauerte nicht allzu lange und ich fand es gar nicht mehr so lustig. Es war eben nicht einfach nur eine Illustration im historischen Museum, sondern richtige Arbeit.
Ich muss gestehen, dass ich nach wenigen Stunden ging. Dankbar, erschöpft und mit einem großen Respekt vor diesem Mann und dem Mehl, das er verkaufte.
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Der Weg zu unserem Büro in der Hauptstadt führte durch die Baumarktstraße. In dieser Straße fand man alles, was man zum Bauen und Renovieren brauchte: Holz, Steine, Beton, Farbe, Nägel, Rohre, Türen, Fenster, Styropor und vieles mehr. Sogar Arbeiter konnte man dort finden. Sie standen oder saßen – gut sichtbar für alle Passanten – auf der breiten Treppe des ersten Geschäfts an der Kreuzung bei der Bushaltestelle. Manche hatten Schilder mit Berufsbezeichnungen in den Händen, andere waren bereit, alles zu tun, wofür man sie anwarb.
Morgens war die Treppe voll, mittags war sie leerer, abends saßen immer noch einige wenige Leute dort. Die Treppe war nie leer. Immer saßen dort noch Menschen, die hofften, von irgendjemandem angeheuert zu werden, um für einen Tag Lohn zu bekommen und etwas Geld nach Hause zu bringen.
Wenn ich das Gleichnis der Arbeiter im Weinberg lese, sehe ich immer diese Treppe mit Tagelöhnern vor mir. Wie der Gutsbesitzer zu der Treppe kommt und Arbeiter anwirbt. Morgens in der Frühe, um neun, um zwölf, um drei und um fünf Uhr. Ja, und selbst um fünf Uhr stehen noch Leute untätig herum und auf die Frage, was sie hier tun, antworten sie: »Es hat uns eben niemand angestellt.« Und statt nach möglichen Gründen zu suchen – vielleicht haben sie zu lange geschlafen und kamen einfach zu spät für die guten Jobs oder sie können nicht viel oder Arbeitgeber haben schon schlechte Erfahrungen mit ihnen gemacht –, stellt der Gutsbesitzer sie einfach ein. Und nach nur wenigen Stunden Arbeit gibt er ihnen einen Tageslohn!
Was für ein Arbeitgeber! Ich bin mir sicher, hätte ich die Tagelöhner auf der Treppe gefragt, ob sie so etwas schon einmal erlebt haben, keiner hätte Ja gesagt. Und ich bin genauso sicher, dass jeder dieser Arbeiter, die um zwölf, drei und fünf Uhr immer noch unerwünscht und arbeitslos herumsaßen, gerne bei so einem großzügigen Menschen arbeiten würde. Einem Menschen, der einem seine Würde wiedergibt und einen mit Geld in der Hand nach Hause gehen lässt.
Wirklich schade, dass die meisten Menschen sich nicht vorstellen können, dass Gott so einem einzigartigen Arbeitgeber gleicht.
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