Die damalige Rolle der jüdischen Stellvertreterbourgeoisie zeigt, wie stark die Macht des städtischen Handelskapitals durch die feudalen Strukturen begrenzt wurde. Im vorindustriellen Rahmen funktionierte die kleine Kaufmannsschicht eher wie eine geschlossene Kaste innerhalb des Adelsstandes, so daß von ihr keine Impulse für Industrialisierung oder soziale Umstrukturierung ausgehen konnten. Es ist zutreffend, vom kastenähnlichen Charakter der Kaufmannselite im Feudalismus zu sprechen, zumindest was Berlin anbetrifft. Denn sowohl die nichtjüdischen als auch die jüdischen Kaufleute waren durch einen breiten sozialen Graben von anderen gleicher Einkommensstufe getrennt, vor allem von Landbesitzern oder Beamten, aber auch von den unteren Schichten innerhalb ihrer eigenen Glaubensgemeinschaft. Darüber hinaus war die Kluft, die nichtjüdische und jüdische Kaufleute – bedingt durch Sprache, Familiengröße und Lebensstil – voneinander trennte, genauso tief und breit wie die zwischen den Kaufmannseliten und den unteren Schichten.
Friedrich der Große hatte seine Vorstellungen durchgesetzt: Kaufleute beider Glaubensrichtungen ließen Kapital zirkulieren, ohne daß dadurch die Standesgrenzen tangiert wurden. Die reichen Kaufleute verursachten keine radikale Transformation der im wesentlichen starren Sozialstruktur. Trotz der absolutistischen und merkantilistischen Zwänge zahlte sich die Entscheidung, Juden im Land aufzunehmen, für die preußische Entwicklung aus. Indem sie Münzen prägten und in Umlauf brachten, das Heer mit Uniformen und Lebensmitteln versorgten, Adligen Kredite zu hohen Zinssätzen gewährten und örtliche Handwerker mit Rohmaterialien belieferten, förderten die reichen Juden Preußens die kommerzielle Entwicklung und taten sich dabei selbst einen guten Dienst.
Das Hauptparadoxon im jüdischen Leben während des letzten Viertels des 18. Jahrhunderts war, daß die kulturelle und soziale Integration trotz der entwürdigenden und starken rechtlichen Beschränkungen rasch voranschritt. Der damalige jüdische Wohlstand ist weit weniger erstaunlich als die kulturelle Anpassung und soziale Integration, die dieser Reichtum ermöglichte. Juden durften nur deshalb in Berlin leben, weil sie bestimmte ökonomische Funktionen übernahmen. Reichtum war eine notwendige Voraussetzung für die Berliner jüdische Elite, um sich kulturell anpassen und sozial integrieren zu können. Doch um spezifische Entwicklungen zu erklären, um eine Antwort auf die Fragen zu finden, warum reiche Mitglieder der jüdischen Gemeinde in Berlin Bücher auf deutsch schrieben, ihre Töchter Henriette nannten und Fürsten zum Tee einluden, müssen wir mehr über das Leben in Berlin erfahren.
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