Walker bäumte sich abermals auf. Sein Gesicht war mittlerweile so rot wie das Blut, das aus den Wunden auf den Tisch floss, und die Adern an seinem Hals traten immer deutlicher hervor. »SIE … DRECKSKERL!«
»Das war ja fast ein Aufschrei, Mr. Walker. Wie untypisch für einen echten Krieger, habe ich recht?«
»Hauen Sie gefälligst ab!«
»Arruti und Grenier, wo halten sie sich auf?«
Walker lachte erneut.
»Mr. Walker?«
Er verlor die Beherrschung während des Lachens.
»Na gut.« Der Mann drückte Walker jetzt die Spitze des Dorns wieder ins Kreuz und vollzog noch einen weiteren waagerechten Schnitt. Wie auf einer Leinwand ergaben die drei Linien nun den Buchstaben I auf der Haut.
Walker verkrampfte sich, um den Schmerz ertragen zu können, dann fragte er mit zusammengebissenen Zähnen: »Sie wollen wissen, wo sie sich aufhalten?«
Sein Peiniger wartete geduldig. Die Spitze seines »Werkzeugs« war mittlerweile rot gefleckt.
»Ich sag's Ihnen. Liebend gern tue ich das … und wissen Sie auch, warum ich es liebend gern tue?«
Als der Mann den Dorn erneut hochhob, funkelte der Stahlzylinder wie ein Spiegel.
»Weil die zwei Sie in Stücke reißen werden«, behauptete Walker. »Egal ob sie wissen, dass Sie kommen, oder nicht, es spielt keine Rolle. Sie können Sie meilenweit riechen. Sie spüren. Sie werden es ahnen … und Sie dann töten.«
»Und wo sind sie?«
Walker verlor offenbar erneut sein Bewusstsein. Seine Stimme wurde schwächer. »Sie finden sie in Maguindanao. Sie beraten die Leute im Kampf gegen die Terroristen dort.«
»Danke, Mr. Walker.«
»Wir sehen uns in der Hölle.«
»Das halte ich für unwahrscheinlich.« Der Mann hielt den Dorn jetzt an Walkers Schädelansatz und drückte die Spitze durch die Öffnung in den Hirnstamm. Damit brachte er ihn um.
Als er erschlaffte, stieß er einen letzten Atemhauch aus, der seine Lungenflügel leerte, und blieb in der friedfertigen Haltung eines Toten liegen.
Nachdem der Fremde dabei zugesehen hatte, wie Walker gestorben war, drückte er den Knopf an dem Zylinder noch einmal. Der Dorn verschwand schneller in dem Röhrchen, als es mit bloßem Auge wahrnehmbar war.
Daraufhin steckte er die Waffe in seine Hosentasche zurück und nahm einen roten Filzstift heraus. Damit schrieb er ein I in den Kreis auf dem Foto rings um Walker und ließ es auf dem Tisch liegen.
Wenige Stunden, dann würde der Mörder in der Provinz Maguindanao eintreffen.
Cotabato City, Philippinen
Die Stadt Cotabato auf Mindanao hatte ungefähr eine Viertelmillion Einwohner, überwiegend muslimischen Glaubens. Außerdem wuchsen dort die Spannungen, weil die al-Qaida und die Taliban dort mehr und mehr Fuß fassten. Langsam entwickelte sich die Region zu einem zweiten Afghanistan im Pazifikraum.
Fünf Jahre zuvor hatte die philippinische Regierung die Blackmill Corporation als unabhängiges Consulting-Unternehmen aus den USA angeheuert und damit in Wirklichkeit mit allen technischen Mitteln ausgestattete Söldner herangezogen, die ihnen dabei helfen sollten, den umstürzlerischen Idealismus einzudämmen, der allmählich zur Geißel des beschaulichen Inselstaates wurde. Cotabato City diente dreißig Kilometer nördlich der Guerilla-Hochburgen als Kommandozentrale des Unternehmens.
In einer kleinen, verrauchten Bar, wo es nach Schweiß roch und der Qualm billiger Zigaretten wenig zur Lufterfrischung beitrug, saßen die Kriegsberater David Arruti und Sim Grenier gerade an einem Tisch, der hinten im Lokal stand, und tranken einen „Kurzen“ nach dem anderen.
Auch als Mittvierziger waren die beiden noch gut in Schuss, weil sie sich fortwährend an strenge Fitnesspläne hielten. Im Vergleich wirkte Arruti mit seinem breiten Schnurrbart, dem Kahlschlag und den dicken Armen, die man umso besser sah, weil er gern ärmellose Shirts trug, wie der Aggressor. Sim Grenier hingegen erweckte eher den Eindruck eines geschäftsmäßigen Denkers – gut gekleidet, obwohl sich gerade der Schweiß auf seinem ordentlich gebügelten Hemd ausbreitete wie ein Rohrschachmuster und in die Flecken unter seinen Achselhöhlen überging – der auch bei so hoher Luftfeuchtigkeit immer penibel auf seine Frisur achtete.
Wann immer sich die beiden zusammensetzten, unterhielten sie sich nur wenig über ihre gemeinsame Vergangenheit als Mitglieder der Acht. Stattdessen kamen die Zukunft und die Unruhen in Mindanao zur Sprache. Sie diskutierten häufig über Strategien und Gegenoffensiven sowie über die möglichen Vorteile, die ihr Erfolg den Filipinos bescheren könnte.
Was allerdings früher gewesen war, wurde nur selten angeschnitten.
An einem Tisch gegenüber im Schankraum saß noch ein weiterer Mann. Er war allein, hatte ein Glas Wasser vor sich und trug einen Busch-Hut in Tarnfarben. So wie es aussah, beschäftigte er sich mit seinem iPhone, auf dessen Display er herumtippte, und schien seine Umgebung gar nicht wahrzunehmen.
Unbemerkt war er deshalb allerdings nicht geblieben.
Grenier behielt diesen scheinbar so harmlosen Typen aufmerksam im Auge.
»Ja, er ist mir auch schon aufgefallen«, sagte Arruti nun. »Sitzt schon etwa eine Stunde da und hat nicht einen Schluck von seinem Wasser getrunken.«
»Er gehört nicht zu unseren Einheiten, oder?«
»Nein.«
»Also dann erklär mir mal, was ein weißer Mann in unmittelbarer Nähe von Mindanao treibt, obwohl ihm doch vollkommen klar sein müsste, dass er damit zur Zielscheibe von Kidnappern werden könnte.«
»Vielleicht ist es ihm nicht klar.«
»Überall hängen schließlich Anschläge mit Warnungen der Regierung, vor allem für Reisende.«
Arruti stürzte noch einen Whiskey hinunter. »Ist nicht mein Problem, wenn sich die Leute so dumm anstellen.«
Zwei Einheimische an einem Nachbartisch bekamen gerade einen ernsthaften Streit wegen des Ausgangs eines Kartenspiels und dessen Pott, etwa dreißig Zigaretten. Als ihr Geschrei endlich nachließ, drehten sich Arruti und Grenier um. Sie bemerkten sofort, dass der Mann verschwunden war. Das Wasserglas stand noch immer unberührt auf seinem Tisch. Aber darunter lag nun ein Hochglanzfoto.
Sie reckten die Hälse, schauten sich um, und suchten in der gesamten Bar nach ihm. Er schien sich wie ein Gespenst in Luft aufgelöst zu haben, oder in dem Zigarettenqualm aufgegangen zu sein, der regelrecht erstickend im Raum stand.
»Merkwürdig«, brummte Arruti.
Als die Bedienung begann, den Platz abzuräumen, nahm sie das Foto, warf einen Blick darauf und schaute dann zu den beiden Beratern hinüber. Anschließend ging sie auf deren Tisch zu.
Während sie sich ihnen näherte, eine Frau mit kakaobraunem Teint und einnehmendem Lächeln, streckte sie die Hand mit dem Abzug aus, sodass die zwei das Motiv erkennen konnten. Sie sahen schon aus einer Entfernung von zehn Fuß, dass es ihr früheres Team zeigte, die Acht.
Die Filipina, die anbetungswürdig niedlich war und als Barkeeperin jobbte, um die Angestellten von Blackmill zu ködern und sich später gegen US-Dollar auf einer fleckigen Matratze im Loft über dem Lokal bespringen ließ, gab Grenier das Foto. »Mr. Sim, hintendrauf steht, das soll Ihnen geben.«
Er nahm es und reichte es dann an Arruti weiter, der es lange und gründlich betrachtete. Sie beide waren rot eingekreist. Walker hingegen hatte jemand mit einem Kreuz durchgestrichen.
Die Bedienung begann, anzüglich mit den Hüften zu kreisen, während sie ihre vollen Lippen leckte. »Wenn ich Feierabend, Sie vielleicht Lust haben, mit mir hochzukommen?«
Grenier lächelte gekünstelt. »Nicht heute Nacht, meine Liebe, womöglich ein anderes Mal.«
Die Frau zog ihre Mundwinkel verdrossen herunter, lächelte aber schließlich doch wieder. »Okay, Mr. Sim. Ein andermal dann.« Sie kehrte mit verlockendem Hüftschwung zu dem anderen Tisch zurück und begann, ihn mit einem schmutzigen Lappen abzuwischen.
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