»Demnach haben Sie sie also getötet.« Das war keine Frage, sondern die Bestätigung dessen, was der Monsignore schon wusste.
»Als ich nachts, nachdem ich sie beerdigt hatte, zum Himmel hochschaute, sah ich unheimlich viele Sterne – das hatte ich bis dahin noch niemals getan – und überlegte, ob es über dieses Leben hinaus noch etwas gebe … ein Jenseits.« Kimball hob eine Hand, um auf die Umgebung zu verweisen. »Danach suchte ich nach Gottes Antlitz. Ich wollte unbedingt Zeichen oder Hinweise finden, dass er wirklich existiert. Aber das Einzige, was ich gesehen habe, waren die unterschiedlichen Sternbilder, und in diesem Moment dämmerte es mir, dass ich tatsächlich zu dem geworden war, was ich der Regierung zufolge sei, und was sie aus mir hatte machen wollen.« Eine Pause folgte. »Jemand ohne Gewissen, ohne Schuldbewusstsein oder überhaupt irgendwelche Gefühle. Alles Eigenschaften, auf die ich bis zu jenem Zeitpunkt sogar stolz gewesen war.«
»Womöglich ist Ihnen Gottes Antlitz zu diesem Zeitpunkt nicht sichtbar erschienen, sondern nur als Geistesbild, aber es hat bewirkt, dass Sie sich der Wahrheit über Ihre Person stellen konnten, indem Sie Ihr Gewissen entdeckten«, erklärte der Monsignore. »Gott ist schließlich nicht so beschaffen, wie wir ihn uns sichtbar vorstellen, sondern er ist anders. Es heißt, er habe viele Gesichter, aber nur eine Stimme. Was Sie betrifft, Kimball, so legte diese Epiphanie Zeugnis davon ab, dass Gott Sie in seine Arme geschlossen hat, erkennen Sie das nicht? Sie haben Ihn nicht gesehen, doch Ihre Seele hat ihn dennoch gehört.«
Hayden reagierte zunächst nicht.
»Manchmal, Kimball, erscheint uns Gott unter den seltsamsten Umständen. Durch die Ermordung der Kinder wurde Ihr wahres Wesen erleuchtet.«
»Dann erklären Sie mir doch mal Folgendes«, erwiderte er. »Wie kann Gott die Ermordung von Kindern billigen?«
Giammacio starrte ihn kurz an, bevor er antwortete: »Schämen Sie sich wegen dieser Tat? «
»Selbstverständlich.«
»Dann ist das Ihre Lösung! Gott vergibt denjenigen, die ihre Sünden wirklich bereuen, und aufgrund Ihrer wahren Zerknirschtheit umarmte er Sie auch in jener Nacht.«
Hayden biss sich auf die Unterlippe. Wie leicht sich eine so verwerfliche Tat wegerklären und rechtfertigen ließ, war einfach unerhört. Selbstmordattentäter legten genau die gleiche Denkweise an den Tag.
»Kimball?«
Er erwiderte Giammacios Blick still.
»Sind Sie der Ansicht, dass die Rettung des Papstes im Laufe Ihrer jüngsten Mission im Sinne der katholischen Gemeinschaft gewesen ist?«, fragte der Geistliche nun.
»Ja, das bin ich.«
»Halten Sie den Papst für einen guten Menschen?«
Kimball wusste nicht, worauf sein Gesprächspartner hinauswollte. »Ja, natürlich.«
»Und diejenigen, die ihn entführt haben: Waren das auch gute Menschen?«
»Meiner Meinung nach nicht.«
Der Monsignore nickte. »Also sind Sie gegen diese Männer vorgegangen …« Als Giammacio die Arme hob, rauchte die Zigarette in seiner Hand noch. Als er beide Mittel- und Zeigefinger beugte, setzte er das Wort »diese« in Anführungszeichen. »… um das Leben des Heiligen Vaters zu retten, dessen vordergründiges Ziel der Frieden ist.«
Hayden seufzte. »Kommen Sie irgendwann auch mal auf den Punkt?«
»Mein Punkt, Kimball, ist ganz schlichter Art. Vor Ihrer Bluttat im Irak an den beiden Hirtenjungen hatten Sie schon andere Menschen getötet, nur weil es Ihre Pflicht und nach Ihrem Wunsch gewesen war. Liege ich soweit richtig, zumindest in Hinblick darauf, was ich über Ihre Vergangenheit als Auftragsmörder im Staatsdienst weiß?«
Kimball zögerte wieder. »Soweit ja«, bestätigte er schließlich.
»Aber als Sie die Männer umbrachten, um den Papst zu beschützen, entsprach das auch Ihrem Wunsch ? Oder erachteten Sie es als einen Zwang ?«
Der Ritter überlegte einen Moment lang, während sich der Monsignore weiter nach vorn beugte, um ihn eingehend zu betrachten. Durch die Brille hatten seine Augen etwas von Mikroskop-Objektiven, und sein Verhalten ließ ihn an einen wissenschaftlichen Gutachter denken.
Während seiner Zeit als heimlich vorgehender Killer in einer Splittergruppe der US-Regierung hatte Kimball stets pflichttreu getötet. Im Sinne der vatikanischen Grundsätze hingegen tötete er nur, wenn eine friedliche Lösung absolut unmöglich und Selbstverteidigung seine einzige Option war.
»Und darin besteht ein großer Unterschied«, erklärte der Monsignore. »Früher haben Sie getötet, weil Sie der Gelegenheit dazu unterworfen waren, doch seit dem Augenblick, da Sie als Ritter des Vatikan zum Gesandten der Kirche wurden beziehungsweise indem Sie weiter an Ihrer Erleuchtung festhalten und Ihre vergangenen Sünden bereuen, nehmen Sie niemandes Leben mehr, weil Sie es so wollen … sondern weil Sie es müssen . Die Rettung des Papstes kann nur als Notwendigkeit betrachtet werden, und zwar trotz der harten Mitteln zum Erreichen des Ziels. Selbst Gott erachtet es als rechtens, dass sich gute Menschen zu Rettern derjenigen aufschwingen, die sich nicht gegen das unangefochtene Übel verteidigen können.«
Einen kurzen Augenblick lang fühlte sich Kimball zwischen Dankbarkeit und zurückgehaltener Wut hin und her gerissen. Einerseits wusste er es wirklich zu schätzen, dass der Geistliche seine Taten als der Kirche geschuldete Notwendigkeit rechtfertigte, falls er sich dabei an bestimmte Prinzipien hielt, andererseits war es ihm absolut zuwider, dass Terroristen ihre verheerenden Aktionen mit den gleichen angeblichen Prinzipien unter dem Banner ihres Gottes durchführten und verachtenswerte Verbrechen genauso zwanglos beschönigten, wie der Monsignore die Morde des Ritters als begründbar auslegte. Alles hing eben nur davon ab, wie man die Prinzipien betrachtete, an die sich die jeweilige Partei halten sollte, doch Kimball erkannte keinen Unterschied, denn im Kampf war eine Sache stets ganz sicher: Immer maßte sich jede Seite an, Recht zu haben, obwohl ihre Prinzipien nicht gegensätzlicher sein könnten. Wie einfach es doch war, etwas so zu interpretieren, dass man es unter den Tisch kehren und zugleich billigen konnte , dachte er.
»Ich denke nicht, dass Erlösung auf mich wartet«, sagte er nun.
Der Monsignore lehnte sich wieder zurück und drückte die Zigarette im Aschenbecher aus. Sein Gesichtsausdruck blieb weiterhin neugierig, während er die Hände einmal mehr mit gespreizten Fingern verschränkte. »Auf jeden Menschen wartet Erlösung«, hielt er dagegen, »und für jeden löst sich das Rätsel des Jenseits im Augenblick des Todes. Dennoch, Kimball: Sie müssen an Ihrem Glauben festhalten. Gewöhnen Sie sich an, das Gute in Ihnen selbst zu sehen, statt ewig einer Vergangenheit nachzuhängen, in der Sie dem sündhaften Lohn Ihres Stolzes hinterhergejagt haben. Ich glaube Ihnen, dass Sie Ihr damaliges Tun aufrichtig bereuen, aber trotzdem scheinen Sie der Vergebung in Ihren eigenen Augen nicht würdig zu sein, obgleich Ihnen Gott bereits vergeben hat.«
»Es liegt daran, Monsignore, dass meines Erachtens niemand solche schrecklichen Akte kaschieren kann, indem er einfach an etwas glaubt, von dem er annimmt, Gott halte es für rechtens. Wenn Sie mich fragen, machen Sie es sich damit zu einfach.«
»Und aus diesem Grund, Kimball, müssen Sie endlich Ihre Scheuklappen ablegen und sich bewusst machen, dass eine Distanzierung von der Dunkelheit, in der Sie so lange gelebt haben, zugunsten des Lichts dringend vonnöten ist. Mag sein, dass die Führungspersonen im Vatikan Sie als hochrangiges Mitglied in ihren Reihen halten, doch Sie sind auch ein Mann, der sich weit von Gott entfernt hat.«
»Weil ich zu viel von der wirklichen Welt gesehen habe, Monsignore. Und an vielem beteiligt war, worauf ich nicht stolz bin. Vergehen, für die ich am Tag des Jüngsten Gerichts geradestehen muss.«
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